Alain Weill: Encyclopédie de l’Affiche

Buchcover unter Verwendung eines Plakates von Makoto Saito aus dem Jahr 1987 (Ausschnitt)

Wer sonst könnte und sollte eine Enzyklopädie des Plakates verfassen als Alain Weill? Der frühere Direktor des Pariser „Museé de l’Affiche“ und nunmehr freischaffende Publizist Weill hat ein nahezu unüberschaubares Oeuvre zum Thema „Plakat“ vorzuweisen. Besonders nachhaltig wirkte seine zum Standardwerk gewordene Studie „L’Affiche dans le monde“, die in ihrer ersten Fassung 1985 erschienen ist. Es folgte eine Vielzahl von Publikationen zum Thema.

In den Pariser „Editions Hazan“ hat Alain Weill nun die „Encyclopédie de l’Affiche“ herausgebracht. Obwohl Weill schon so viel über Plakate veröffentlicht hat, gelingt es ihm in dieser im Oktober 2011 erschienenen Publikation, die in einem derartigen Grundlagenwerk zu erwartenden Standards mit neuen, frischen Sichtweisen zu verbinden. Die Kapitelübersicht reicht dabei von Plakaten für die Wirtschaft, für den Tourismus, für Veranstaltungen, Museen, Verlage, Zeitungen bis hin zu Affichen, deren Themen Kriege und Politik sind. Die Konzeption des Buches ist dabei sehr offen und kommt dem Charakter einer Enzyklopädie damit sehr nahe: Es werden einzelne Künstler vorgestellt, aber auch Druckereien und vor allem Auftraggeber. Auch Themenstellungen wie „La Vitesse“, „Le cinéma soviétique“ oder „Affiches peintes pour les vidéo clubs du Ghana“ illustriert und analysiert Alain Weill in ebenso origineller wie kompetenter Weise.

Im Hinblick auf die Zielsetzung des Autors, die gesamte Entwicklung des Mediums „Plakat“ exemplarisch darzustellen, schneidet die österreichische Szene eigentlich gar nicht so schlecht ab. Im Bereich des kommerziellen Plakates taucht in der Darstellung der Produkte der Berliner Firma „Hollerbaum & Schmidt“ Ernst Deutsch(-Dryden) auf, ein eigenes Kapitel ist Julius Klinger gewidmet. So wie diese beiden genannten Grafiker aufgrund ihrer Leistungen in Berlin in das Kompendium aufgenommen wurden, so werden die austro-amerikanischen Designer Herbert Bayer und Joseph Binder im Kapitel „États-Unis“ entsprechend gewürdigt. In „La Sécession viennoise“ finden Plakate von Gustav Klimt, Ferdinand Andri, Koloman Moser und Bertold Löffler Berücksichtigung. Dazu bemerkt Alain Weill: „Mouvement totalement à part, la Sécession marque par ses ruptures [avec tout ce qui existait] une invitation à la liberté et à l’innovation et proclame la mort de l’académisme.“ (Als eigenständige Bewegung stellt die Secession durch ihre Brüche [mit allem Bestehenden] eine Einladung an die Freiheit und Innovation dar und proklamiert den Tod des Akademismus.)

Im Teil über den Ersten Weltkrieg scheint ein Kriegsanleihe-Plakat des Tiroler Grafikers Carl Heinrich Walter Kühn auf, im Kapitel über den Zweiten sind eine Arbeit von Theo Matejko für Nazi-Deutschland und ein Plakat von Joseph Binder für die U.S. Army abgebildet. In der Darstellung der Plakatentwicklung für die Zeit nach 1945 kommen keine Arbeiten österreichischer Grafikdesigner mehr vor. Liegt dies an mangelnder Qualität oder – aus der Sicht des Rezensenten wahrscheinlicher – an der mangelnden Selbstdarstellungskraft der österreichischen Szene?

Weill, Alain: Encylopédie de l’Affiche, Paris 2011.