Joseph Roth über Filme und Plakate

Detail aus dem Cover der neuen Joseph-Roth-Anthologie zum Thema Kino, Umschlaggestaltung: Susanne Gerhards unter Verwendung eines Fotos von Lothar Rübelt „Kreuz-Kino in der Wiener Wollzeile“ (1934)

Joseph Roth gehört mit Romanen wie „Radetzkymarsch“ oder „Kapuzinergruft“ zweifellos zu den bedeutendsten deutschsprachigen Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Neben seinem imposanten literarischen Oeuvre hat der Autor aber auch ein spannendes journalistisches Werk hinterlassen. Roth war über lange Zeit für renommierte Blätter, wie die Frankfurter Zeitung, das Prager Tagblatt, den Pester Lloyd oder die österreichische Arbeiter-Zeitung, tätig. Als Feuilletonist war Joseph Roth ein überaus interessierter Beobachter und präziser Analytiker der ihn umgebenden Welt. In genauer Weise widmete er sich den vielfältigen Alltagsphänomenen seiner Zeit, wobei zu diesem Darstellungsspektrum auch das relativ neue Massenphänomen der Plakatwerbung zählte. Bereits Anfang 1920 publizierte Joseph Roth seine Beobachtungen über die seltsame Bildwelt der Plakatwerbung („Plakate“). Noch im selben Jahr folgte ein Bericht über die „Sowjetausstellung in Berlin“, in der vor allem Plakate und Fotografien präsentiert wurden. In diesem Beitrag prägte Roth die ebenso schön wie treffend formulierte Sentenz „Plakate sind durch künstlerische Mittel wirkende Tendenz“.

1921 schrieb der Autor eine kurze und prägnante Besprechung über die Berliner „Jupp-Wiertz-Ausstellung“. Im selben Jahr veröffentlichte er einen sehr respektvollen Bericht über einen Vortrag von Dr. Hans Sachs zum Thema „Politik, Völkerpsychologie und Künstlerplakat im In- und Auslande“: „Dr. Sachs sprach geistreich, wohlgeordnet“. 1924 erschien in der „Frankfurter Zeitung“ eine Rezension über eine Ausstellung von Filmplakaten in Berlin. Darin bringt Roth die Eigenschaften eines gelungenen Plakates in heute noch gültiger Weise auf den Punkt: „Die Aufgabe des Plakats ist mit der eines guten Buchtitels zu vergleichen. Es soll wie dieser Neugier erwecken und dennoch komprimiert alles enthalten. Es muß reizen und zugleich befriedigen. Es muß auffallen und darf nicht verletzen. Es muß bannen, ohne zu stören.“ („Plakatkunst“)

1920 beschäftigte sich Joseph Roth unter dem Titel „Der Nabel der Sittlichkeit“ mit dem Thema „Wie Plakate zensiert werden“. Unter anderem geht es in dem Beitrag um die Intervention der Berliner Zensur im Zusammenhang mit dem Sumrun-Filmplakat von Theo Matejko. Dieser kritische Text findet sich auch in der vor kurzem erschienen Joseph-Roth-Anthologie „Drei Sensationen und zwei Katastrophen. Feuilletons zur Welt des Kinos“. Herausgegeben wurde der Band von den beiden Roth-Experten Helmut Peschina und Rainer-Joachim Siegel und enthält fast hundert, zum Teil erstmals in Buchform veröffentlichte Texte zu den verschiedensten Facetten des Themenbereiches Film und Kino. Vom Kunstfilm bis zur Populärkultur reicht dabei das Spektrum von Roths Reportagen und Rezensionen.

Die Beiträge wurden von den beiden Herausgebern vorbildlich ediert und mit ausführlichen informativen Kommentaren versehen. So heißt es in der von Helmut Peschina verfassten Anmerkung zu „Nabel der Sittlichkeit“: „Mit Werbung und vor allem Plakatwerbung hat Roth sich in seinen Feuilletons immer wieder auseinandergesetzt. Schon früh hatte er die Werbewirksamkeit von Plakaten auch in der Filmindustrie erkannt und sah in der Plakatkunst eine eigene Kunstform[…].“ Die Qualität der gesammelten Feuilletons zeigt, dass die Texte über die Tagesaktualität hinaus als frühe medien- und kulturwissenschaftliche Analysen gelesen werden können und damit weiterhin Bestand haben werden.

Peschina, Helmut – Rainer-Joachim Siegel (Hrsg.): Joseph Roth. Drei Sensationen und zwei Katastrophen. Feuilletons zur Welt des Kinos, Göttingen 2014.