Anton Reckziegel und die frühe Tourismuswerbung

Es gehört zu den spannenden Herausforderungen der Historiografie des Grafikdesigns, dass es dabei immer noch so viel Grundlegendes zu erforschen gibt. Ein besonders interessantes Beispiel dafür ist Anton Reckziegel, denn auch er war ein Grafiker mit großer Wirkung aber von geringer Bekanntheit. Im Jahr 2016 hat Christian Maryška im Rahmen der Basler Tagung „‚Von Weltformat‘. Das Schweizer Plakat aus historischer und bildwissenschaftlicher Perspektive“ den Vortrag „Das Schweizer Plakat vor dem ‚Schweizer Plakat‘. Anton Reckziegel, ein Österreicher als Schweizer Plakatkünstler“ gehalten. Diese im Titel enthaltene Präzisierung des Themas entspricht sehr genau der Persönlichkeit und dem Werk von Anton Reckziegel. Denn der aus Österreich stammende Künstler und gelernte Lithograf prägte tatsächlich die Entwicklung der eidgenössischen Tourismuswerbung, noch bevor man dort zu dem für das Land typischen modernen Stil fand.

Nun hat das „Alpine Museum der Schweiz“ in Bern Anton Reckziegel eine eigene Ausstellung gewidmet und, was der Materie noch dienlicher ist, eine umfangreiche Begleitpublikation dazu herausgegeben. „Reklamekunst und Reiseträume. Anton Reckziegel und die Frühzeit des Tourismusplakates“ lautet der Titel des Bandes, der hervorragend recherchierte Beiträge von den beiden Reckziegel-Spezialisten Urs Kneubühel und Agathon Aerni sowie von Roland Flückiger-Seiler, Beat Hächler, Hans Hirt-Tenger und Christian Jaquet beinhaltet.

Der Direktor des „Alpinen Museums“, Beat Hächler, meint in seiner Einleitung zu der Publikation: „Gehört Anton Reckziegel zu den Wegbereitern des Plakates in der Schweiz? Wir meinen ja, allerdings ist er ein bisher Übersehener, teils Vergessener, teils bewusst Geschmähter. In der Blütezeit seines Schweizer Wirkens, zwischen 1893 und 1909, prägt Reckziegel die Sprache des jungen Mediums ‚Plakat‘ wie kein Zweiter.“

Links: Anton Reckziegel, Jungfrau-Bahn, 1903 (Sammlung alps) / Rechts: Anton Reckziegel, Zermatt, 1902 (Sammlung alps)

Exemplarisch wurde da für das Buch die Biografie des Grafikers aufgearbeitet: Anton Reckziegel wurde im Jahr 1865 in Gablonz in Nordböhmen (heute Jablonec nad Nisou / Tschechien) geboren. Er erlernte zunächst den Beruf des Lithografen und ging 1885 nach Graz, um dort eine künstlerische Ausbildung zu erhalten. 1893 übersiedelte Reckziegel in die Schweiz, wo er als Lithograf, Plakat- und Postkartenmaler bei verschiedenen grafischen Betrieben sowie auch als freier Künstler arbeitete. 1909 kam er nach Wien, wo er für die umfangreichen Postkartenserien des „Deutschen Schulvereines“ viele Ansichten entwerfen konnte. Von 1912 bis zu seinem Tod im Jahr 1936 lebte er vor allem als freier Künstler in Mödling.

Im Laufe seiner Tätigkeit als Grafiker schuf Reckziegel neben einer Vielzahl von Ansichtskarten auch 90 Plakate. Dabei arbeitete er im Wesentlichen mit jenen traditionellen künstlerischen Mitteln, die das frühe illustrierte Tourismusplakat generell auszeichneten: Das „schön gemalte“, detailreiche Landschaftsbild war gefragt, oft waren die Affichen noch dazu in mehrere kleinteilige Veduten unterteilt. Eine „plakative“ Vereinfachung der Farben und Formen war noch kaum zu beobachten und setzte sich erst allmählich durch. Im Katalog wird dazu der Schweizer Experte Jean-Charles Giroud zitiert, der die Arbeitsbedingungen des Grafikers einmal folgendermaßen charakterisierte: „Reckziegel hat Plakate realisiert, welche die Erwartungen seiner Auftraggeber erfüllt haben. Dabei hat er die künstlerische Dimension so weit vorangetrieben, wie es im gegebenen, engen Rahmen möglich war. Wenn auch einige seiner Plakate keinen unvergänglichen Eindruck hinterlassen, so heben sich andere durch ihre Qualität deutlich von den damals üblicherweise produzierten touristischen Plakaten ab.“

Reklamekunst und Reiseträume. Anton Reckziegel und die Frühzeit des Tourismusplakates, Zürich 2016.

Die Ausstellung fand vom 27. Januar 2017 bis 23. April 2017 im Alpinen Museum der Schweiz in Bern statt. Der Katalog hat als eigenständige Publikation weiterhin Bestand.