„Die Revue im Dienste der Reklame“

Maria Lenz mit dem „Tanz um die GÖC-Zünder“, in: Der Kuckuck, 8.12.1929, S.5 (Österreichische Nationalbibliothek, ANNO)

„Die Idee, die Bühne, das bunte, wechselnde Geschehen eines flüssigen Operettenlibrettos oder die flüchtige Szenenreihe einer Revue irgendwie in den Dienst der Reklame zu stellen, ist nicht neu“, meinte Ludwig Thonner 1934 in seinem Beitrag „Die Revue im Dienste der Reklame“ in der Zeitschrift „Österreichische Reklamepraxis“.[1] Im Speziellen würdigte der Werbefachmann in dem Artikel den Erfolg der sogenannten „GÖC-Revuen“.

„GÖC“ ist die Abkürzung für „Großeinkaufsgesellschaft für österreichische Consumvereine“. Die Gesellschaft wurde im Jahr 1905 im Einflussbereich der Sozialdemokratischen Partei gegründet, um die Konsumvereine unabhängig vom Großhandel zu machen und die Erzeugung von eigenen Produkten zu ermöglichen. Größere Bekanntheit erlangte GÖC als Betreiberin von eigenen Kaufhäusern, im Jahr 1930 gab es bereits 20 Filialen. Zur Bewerbung dieser Geschäfte sowie auch der dort angebotenen Eigenmarken kreierte man im Jahr 1929 eine eigene Reklame-Revue, die den Titel „Ein Tanz um die Welt“ trug und die zu einem unerwartet großen Erfolg wurde.

Hans Neumann, Plakat, 1922 (Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv und Grafiksammlung)

Revuen sind eine Form des musikalischen Unterhaltungstheaters, wobei insbesondere der Musik und dem Tanz bedeutende Rollen zukommen. Einen durschlagenden Erfolg hatte etwa im Wien des Jahres 1926 die Ausstattungs-Revue „Wien lacht wieder“ nach dem Buch von Fritz Grünbaum und Karl Farkas.[2] Diese Revue und ähnliche Projekte dienten wohl als Vorlage für die Idee, das Verkaufsangebot von „GÖC“ in unterhaltender Form zu bewerben und damit überdies Einnahmen aus dem Verkauf der Eintrittskarten zu lukrieren.

Für das Bühnenbild von „Ein Tanz um die Welt“ war der Architekt Artur Berger zuständig, der in Österreich und ab 1936 in Moskau auch als erfolgreicher Filmausstatter tätig war. Der aus Berlin stammende Architekt George Karau, der bereits Wahlplakate für die Sozialdemokraten gestaltet hatte, lieferte Illustrationen für das Bühnenbild. Bei den meisten Aufführungen dieser ersten GÖC-Revue trat die bekannte Tänzerin Gisa Geert auf, die aus der renommierten Kompagnie von Gertrude Bodenwieser kam. Geert war dann nach dem Zweiten Weltkrieg als erfolgreiche Choreografin für italienische und spanische Film- und Fernsehproduktionen tätig. Als Darsteller bei „Ein Tanz um die Welt“ wirkten der Schauspieler Hans Gregor, der Conférencier Ferry Micheler sowie der Werbefachmann, Kabarettist und spätere Direktor des städtischen Plakatierungsunternehmens „WIPAG“, Dr. Karl Denk, mit.

Anlässlich der 50. Aufführung von „Ein Tanz um die Welt“ hieß es in der sozialdemokratischen Illustrierten „Der Kuckuck“ zum Erfolg dieser Verkaufs-Revue: „Daß die Idee glücklich war, beweisen die ausverkauften Vorstellungen und der stürmische Beifall, mit dem diese Revue überall aufgenommen wird. Lustige Scherze führen die Zuschauer um die ganze Welt überallhin, wo es Waren gibt, die auf dem Weg über die ‚GöC‘ dem Verbraucher zugeführt werden.“[3] Dass diese „tour de monde“ mit nationalen Klischees und leider auch mit rassistischen Elementen versehen war, gehört zu den negativen Seiten des damaligen Zeitgeistes, vor dem sogar die Linke nicht gefeit war.

Der Erfolg des Projekts lässt sich in eindrucksvollen Zahlen darstellen: In Wien kam es zu 64 Aufführungen mit einer gesamten Besucherzahl von 49.800. Auch in den Landeshauptstädten spielte man vor ausverkauften Häusern, aber auch in kleineren Städten, wie Gloggnitz, Leoben, Mürzzuschlag, Villach und anderen mehr, konnte man die Show sehen. Doch die Tournee ging noch weiter: In Dresden wurde die Revue siebenmal im Zirkus Sarasani, der einen Fassungsraum von mehr als 4000 Plätzen hatte, gespielt. Eine weitere Gastspielreise führte die GÖC-Truppe dann noch in die Schweiz und in die Tschechoslowakei.[4] 80 Prozent der Produktionskosten konnte man über den Kartenverkauf wieder hereinbringen, der Werbewert des Projekts war dabei noch gar nicht berücksichtigt.[5]

Dieser überzeugende Erfolg verlangte nach einer Fortsetzung – im Oktober 1930 fand die Premiere der zweiten GÖC-Revue unter dem Titel „Flieg mit mir durch Österreich!“ im „Bayrischen Hof“ in Wien statt. Die sozialdemokratische Boulevardzeitung „Das Kleine Blatt“ berichtete begeistert: „Auch die neue Revue ist wieder ein Rahmen für harmlose Heiterkeit, für drollige Späße, farbenfrohe Bilder, für Tanz und Gesang, ein zierliches Geranke von fast kindlicher Lustigkeit um den ernsten Gedanken der Genossenschaftsidee.“[6]

„The Six Co-operative Girls“ der zweiten GÖC-Revue in der Choreographie von Gisa Geert, Illustration aus „Die Unzufriedene“, 20.12.1930, S. 6 (Österreichische Nationalbibliothek, ANNO)

Der Autor dieser Produktion war der Film- und Theaterkritiker der „Arbeiter-Zeitung“, Fritz Rosenfeld. Wie schon bei „Ein Tanz um die Welt“ wirkten Dr. Karl Denk und Hans Gregor als Darsteller mit, diesmal unterstützt durch Fritz Demand und Alice Pauli. Artur Berger sorgte wieder für die Bühnenausstattung, die bewährte Gisa Geert für die Choreographie der von der Truppe „The Six Co-operative Girls“ dargebotenen Tänze.[7] Die sozialdemokratische Frauenzeitschrift „Die Unzufriedene“ meinte dazu: „Natürlich fehlen auch Girls nicht. Sie tanzen in drolligen Aufzügen durch ganz Österreich und stellen zum Schluß die österreichischen Bundesländer sehr anmutig vor.“[8]

Im folgenden Jahr sollte die Serie weitergehen: Anfang November 1931 feierte die dritte Ausgabe der GÖC-Revue im traditionsreichen Favoritner Arbeiterheim Premiere. Die „Arbeiter-Zeitung“ wusste über den vom Publikum mit Begeisterung aufgenommenen Abend zu berichten: „Trotz der schlechten wirtschaftlichen Lage haben die Großeinkaufsgesellschaft österreichischer Konsumvereine und Konsumgenossenschaften Wien auch in diesem Jahre wieder eine neue Propagandarevue herausgebracht. Sie heißt ‚Hallo! Wer macht uns das nach?‘ und schildert die lustige Jagd des ungeschickten, dummen Detektivs Pepi Holmes auf ein durchgebranntes Liebespaar. Unter den zehn Bildern der Revue ist das karikierte Gesangsquintett am lustigsten; aber auch die andern, mit vielen Scherzen, Gesangsduetten und Tänzen ausgestatteten Szenen erfüllen ihren Zweck, auf die hohe Qualität der Erzeugnisse genossenschaftlicher Betriebe hinzuweisen und dem Genossenschaftsgedanken neue Anhänger zu werben. Die Tänze hat wieder Gisa Geert einstudiert. Greta Böck und Agathe Michel führen sie sehr hübsch aus.“[9]

Für die launige Textvorlage der Revue sorgten die sozialdemokratische Nationalratsabgeordnete Emmy Freundlich und der populäre Kabarettist und Librettist Fritz Grünbaum.[10] Dekorationen und Kostüme entwarf der damals 25-jährige Grafiker Walter Harnisch[11], der im selben Jahr gemeinsam mit Arnold Meiselmann für die „künstlerische Dekoration” der Eröffnung der „Arbeiter-Olympiade“ im neuen Wiener Stadion mit 4000 Mitwirkenden verantwortlich zeichnete und der bis in die 1960er Jahre unter anderem Plakate für die Sozialdemokratie und ihr nahestehende Organisationen gestaltete.

Im Dezember 1932 fand im Favoritner Arbeiterheim die nächste Premiere der Genossenschaftsrevue unter dem Titel „Komm mit mir ins Paradies!“ statt. Für die Textfassung sorgte wieder Emmy Freundlich. Diesmal musste sich die Frauenaktivistin und frühere Präsidentin der „International Cooperative Women’s Guild“ allerdings von einer Genossin auch herbe Kritik gefallen lassen. Finny Rohringer schrieb in „Die Unzufriedene“: „Die ‚GöC‘-Revue ist sehr hübsch und wird bei den Frauen sicher viel Beifall finden, weniger gefallen wird aber die Gestalt der ‚alten Jungfer mit dem Mops‘, die sich krampfhaft bemüht, auch noch einen Mann zu finden. Wir alle wissen, wie schwer sich heute die berufstätige ledige Frau durchs Leben kämpft; sie zu verhöhnen, weil sie ‚keinen Mann bekommen hat‘, also auf Frauen- und Mutterglück verzichten muß – sollten Sozialisten der bürgerlichen Unterhaltungsliteratur überlassen.“[12]

1933 wurde in Österreich das Parlament ausgeschaltet, der konservative Bundeskanzler regierte von nun an autoritär, die Möglichkeiten der Sozialdemokratischen Partei wurden stark eingeschränkt – verständlich, dass da die Funktionärinnen und Funktionäre der linken Genossenschaften kein Interesse an einer Neuproduktion der Revue hatten. Im Zuge des Bürgerkrieges im Februar 1934 wurde die Sozialdemokratische Partei und sämtliche ihr nahestehenden Organisationen verboten, mit einer Verordnung der Bundesregierung wurde die GÖC ab 16. Februar 1934 unter kommissarische Verwaltung gestellt.

Von links nach rechts: Göc-boy, Kakao, Kindernährmittel, Tee – Kostümentwürfe für die Revue „Hallo, wer macht uns das nach“ von Hansi Lehner-Rosner (Lero), in: Österreichische Reklamepraxis, Dezember 1934, S. 14f. (Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv und Grafiksammlung)

Wie populär die GÖC-Revuen geworden waren und sich in das kollektive Gedächtnis der Konsumentinnen und Konsumenten eingeprägt hatten, beweist die Tatsache, dass auch unter dem neuen politischen Regime im Jahr 1934 eine GÖC-Revue produziert wurde. Die erfolgreiche Grafikerin und Modeillustratorin Hansi Lehner-Rosner, die zeitweise mit dem Pseudonym „Lero“ signierte, entwarf diesmal die Kostüme: „Göc-boy“, Kakao, Eierteigwaren, Lebensmittel, Kaffee, Seife, Kindernährmittel und Tee wurden in der von Lehner-Rosner gestalteten Kleidung von den Tänzerinnen symbolisiert. Der Titel der Schau war gleichlautend mit jenem der dritten Revue aus dem Jahr 1931 – auch dies ein Beweis für das Bemühen um Kontinuität. Ludwig Thonner berichtete dazu: „Die fünfte Göc-Revue – ‚Hallo, wer macht uns das nach‘ – die über 100 Aufführungen in Österreich erlebte, fand in allen größeren Städten der deutschsprechenden Schweiz großen Beifall.
Erwähnung verdient eine Wanderausstellung, die aus 20 Schaufensterkasten bestand und einer große Wirkung auf die Besucher ausübte. Diese Kasten wurden meist im Foyer oder in den Zugängen zu den Theatersälen aufgestellt, so daß jeder Besucher daran vorüber mußte.
Solche Aufführungen erfordern viel Mühe und Arbeit, die nur der ermessen kann, der an solchen Aktionen schon einmal mitgewirkt hat. Es ist aber immer eine Freude, wenn man ein vollbesetztes Haus sieht. Wenn sich nachher entsprechende Verkaufserfolge einstellen, so macht sich auch die wochenlange Vorarbeit bezahlt.“[13]

Nach dem „Anschluss“ Österreichs an Nazi-Deutschland kam die „GÖC“ unter die Verwaltung der neuen Machthaber und wurde schließlich dem „Gemeinschaftswerk der Deutschen Arbeitsfront“ eingegliedert. 1945 konnte die Genossenschaft ihre Vorkriegsfunktion wieder wahrnehmen. Im April 1979 entstand durch Fusion von GÖC und 14 regionalen Genossenschaften der österreichweit tätige „Konsum Österreich“.

Aktualisierung der Printfassung: Denscher, Bernhard: „Die Revue im Dienste der Reklame“, in: Denscher, Bernhard (Hg.): Werbung Kunst und Medien in Wien (1888–1938), Wolkersdorf 2021, S. 171ff.

[1] Thonner, L[udwig]: Die Revue im Dienste der Reklame, in: Österreichische Reklamepraxis, Dez. 1934 S. 14f.
[2] Saary, Margareta: „Revue‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online.
[3] Tanz um die Welt. Die „GöC“ Revue, in: Der Kuckuck, 8.12.1929, S. 5.
[4] Das Kleine Blatt, 21.10.1930, S. 13.
[5] Thonner (Fußnote 1), S. 15.
[6] Das Kleine Blatt, 21.10.1930, S. 13.
[7]  Ebenda.
[8] Die Unzufriedene, 20.12.1930, S. 6.
[9] Arbeiter-Zeitung, 7.11.1931, S. 4.
[10] Tagblatt, 30.9.1931, S. 7.
[11] Arbeiter-Zeitung, 7.11.1931, S. 4.
[12] Die Unzufriedene, 10.12.1932, S. 4.
[13] Thonner (Fußnote 1), S. 15.