Alexander Dorn: Bilder als Handelsagenten (1888)

1888 fand in Wien eine repräsentative Plakatausstellung  statt. Angeregt hatte diese  der Volkswirt und Publizist Alexander v. Dorn (1838–1919), der auch ein sehr früher Sammler von Werbematerialien verschiedenster Art war. Er hatte am 22. Februar 1888 im „k.k. Österreichischen Handelsmuseum“ einen Vortrag mit dem Titel „Das Bild als Handelsagent“ gehalten. In der von ihm herausgegebenen „Volkswirtschaftlichen Wochenschrift“ fasste er in der Folge seinen Vortrag sowie die Intentionen der Plakatausstellung folgendermaßen zusammen:

Die Verwendung bildlicher Darstellungen zum Zwecke der Anpreisung von Waaren und Anlockung von Käufern war schon in den ältesten Zeiten üblich. Sobald einmal die Theilung der Arbeit so weit vorgeschritten war, dass Einzelne gewerbsmässig die Erzeugung von Vorräthen gewisser Gebrauchsartikel betrieben, war auch das Bedürfniss gegeben, vor Allem das Vorhandensein dieser Vorräthe bekannt zu machen; der Weg der persönlichen Mittheilung erschien bald zu beschwerlich, und da ergab sich denn von selbst die Sitte, dass die einzelnen Gewerbsleute an der Thüre ihres Hauses entweder durch Aushängen eines ihrer Erzeugnisse oder durch eine bild­liche Darstellung die Aufmerksamkeit der Vorüber­gehenden auf das Vorhandensein des Vorrathes oder auf die Bereitwilligkeit und Kunstfertigkeit des Erzeugers zu lenken suchten. Die bildliche Darstellung zeigte entweder direct einen jener Gegenstände, mit deren Er­zeugung oder Verkauf sich der Gewerbsmann befasste, oder sie hatte einen symbolischen Character, indem sie z. B. ein characteristisches Werkzeug des betreffenden Gewerbes vor Augen führte. So entstanden die Haus- und Ladenschilder oder die ausgehängten Gewerbszeichen, deren Vorhandensein schon bei den Egyptern, Griechen und Römern nachgewiesen werden kann. Diese Schilder spielten in verschiedenen Formen auch im Mittelalter bis herauf in die neueste Zeit eine wichtige Rolle im städtischen Leben, insbesondere, so lange einerseits das System der Strassenbenennung und Häusernummerirung noch nicht allgemein in Anwendung war und anderseits auch die wichtige Kunst des Lesens noch keine allzugrosse Verbreitung gefunden. Für die Anfertigung der Schilder wurden von wohlhabenden und strebsamen Geschäftsleuten mitunter grosse Opfer gebracht. Aus der Zeit, in welcher es noch üblich war, die Schilder an vorstehenden Trägem in die Strasse hineinhängen zu lassen, stammen werthvolle Arbeiten der Kunstschlosserei, welche diesem Zwecke dienten; als dann die Gewohnheit Platz griff, die Schilder flach an der Wand oder an den Ladenthüren zu befestigen, verwendete man mitunter grosse Sorgfalt auf die Herstellung der betreffenden Gemälde, und wir sehen beispielsweise in Wien selbst heute noch eine ganze Reihe von Ladenschildern, welche aus der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts stammen und von hervor­ragenden Künstlern, die zu ihrer Zeit grosse Namen hatten, gemalt sind. Gegenwärtig haben jedoch diese gemalten Schilder wesentlich an Bedeutung verloren und sind fast gänzlich durch Firmatafeln mit Aufschrift verdrängt.

Die bildliche Darstellung zum Zwecke der Anpreisung ist aber darum nicht verschwunden, sondern hat sich nur auf einem anderen Felde Geltung verschafft, und zwar ist dies zunächst das Gebiet des Strassenanschlages. Auch diese Verwendung ist nicht neu, denn wir wissen, dass auch schon bei den Römern sich das Bedürfniss fühlbar gemacht hat, sich bezüglich der Anbringung von lockenden Bildern nicht blos auf den Ort zu be­schränken, wo das Geschäft, für welches Kunden ange­lockt werden sollten, ausgeübt wurde, sondern auch an solchen Punkten, wo ein grösserer Verkehr von Menschen stattfand, die Aufmerksamkeit durch bildliche Darstel­lungen zu erregen. So befand sich beispielsweise auf dem römischen Forum eine in Felder eingetheilte, weisse Wandfläche, Album genannt, welche für die Aufnahme von Ankündigungen bestimmt war, und da waren es namentlich die Gewerbe der Schaustellungen, wie Theater und Fechterspiele, welche dort bildliche Darstellungen packender Scenen oder berühmter Künstler aufmalen liessen, und Plinius nennt sogar einen gewissen Callades, welcher als Maler solcher Gemälde Berühmtheit erlangt hatte. Gegen Ende des Mittelalters und noch mehr im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert, als das bürgerliche Leben wieder kräftiger sich zu entwickeln begann, und namentlich als die Papiererzeugung und der Buchdruck einige Fortschritte gemacht hatten, fand die Anwendung von Anschlagzetteln steigende Verbreitung, und im vorigen Jahrhunderte kamen dabei auch schon, mitunter mit Zuhilfenahme des Holzschnittes, illustrirte Placate zur Anwendung. Einen wirklichen Aufschwung nahm jedoch das illustrirte Placat im modernen Sinne erst in den Dreissigerjahren in Paris, wie dies Ernest Maindron in einem diesem Gegenstände gewidmeten Werke nachweist.*) Damals betrieben die Pariser Ver­leger mit grossem Eifer die Herausgabe von illustrirten Werken und Zeitungen und verwendeten für die Bekannt­machung derselben illustrirte Placate, deren Zeichnungen von Künstlern ersten Ranges stammten und deren Aus­führung durch die bereits zu einiger Vervollkommung gelangte Lithographie ermöglicht wurde. Bald be­mächtigten sich nicht nur Theater- und andere Schau­stellungs-Unternehmungen, sondern fast sämmtliche Ge­schäftszweige dieses wirksamen Ankündigungsmittels. Auch sah sich nach einiger Zeit die schwarze Lithographie durch den Farbendruck verdrängt, und heute finden wir in allen Ländern zahlreiche und grossartige Etablissements mit der Herstellung von mitunter ganz kunstvoll ausgeführten Bildern beschäftigt, welche die Anlockung von Kunden zum Zwecke haben und somit geradezu als Handelsagenten bezeichnet werden können.

Welch’ grosse Fortschritte auf diesem Gebiete gemacht worden sind, davon gibt die eben jetzt in den Blumen­sälen der Gartenbau-Gesellschaft stattfindende Inter­nationale Ausstellung von illustrirten Placaten ein übersichtliches Bild, welches zugleich ungemein lehrreich ist und unseren Geschäftsleuten, die den Besuch dieser Ausstellung ja nicht versäumen sollten, mancherlei nütz­liche Aufmunterung und Anregung zu geben vermag. Ich habe Gelegenheit gehabt, im Februar d. J. im k. k. Handelsmuseum in einem Vortrage die Bedeutung dieser Verwendung bildlicher Darstellungen für commercielle Zwecke zu besprechen, und war schon damals in der angenehmen Lage, durch eine ziemlich reichhaltige Collection von Placaten aus verschiedenen Ländern meine Auseinandersetzungen zu illustriren; ich bin glücklich, dadurch die Anregung gegeben zu haben, dass jetzt ein, in seiner Art so grossartiges Bild den weitesten Kreisen des Publicums vorgeführt wird. Es ist das Verdienst des Freiherrn von Schwarz-Senborn, die Tragweite dieses Gegenstandes erkannt zu haben, und seiner rastlosen Thätigkeit in der Ausnützung seiner über die ganze Welt verbreiteten Verbindungen ist es zu danken, dass diese ungemein reichhaltige Ausstellung eröffnet werden konnte, deren, hoffentlich recht bedeutendes, Erträgniss dem edlesten aller Zwecke, dem der Volksbildung, zu­gewendet wird.

Die Benützung des Bildes für Reclamezwecke ist aber bei den Strassenplacaten nicht stehen geblieben; für viele Industriezweige ist das Placat für die Erreichung ihrer Zwecke nicht ganz geeignet, und namentlich bei solchen Artikeln, welche, wie z. B. der Zwirn oder manche Genussmittel auf einen weit ausgebreiteten Kundenkreis bis in die untersten Volksschichten und bis in die entlegensten Orte reflectiren, hat sich ein anderes Mittel als nothwendig erwiesen; dies hat sich gefunden im Reclamebilde (Showcard). Es ist dies ein oft wahrhaft künstlerisch ausgeführtes Bild von kleineren Dimensionen, welches in Kaufläden aufgehängt oder in deren Schaufenstern ausgestellt wird und den Zweck hat, die Aufmerksamkeit der Käufer auf die Producte der betreffenden Firma zu lenken. Zum Theile wird in diesen Bildern die Vortrefflichkeit der angebotenen Producte symbolisch dargestellt, z. B. indem durch einen Zwirnfaden ein Löwe gebunden oder ein Eisenbahnzug aufgehalten wird, zum Theile aber handelt es sich nur darum, durch ein schönes Bild, etwa einen reizenden Mädchenkopf, die Aufmerksamkeit anzuziehen, und eine Inschrift, welche den Artikel und die Firma nennt, thut dann das Uebrige. Diese Art der bildlichen Reclame hat namentlich in den letzten 10 oder 15 Jahren einen riesigen Aufschwung genommen, wozu hauptsächlich durch die ausserordentlichen Fortschritte des Farben­druckes die Möglichkeit gegeben wurde. Auch von solchen Reclamebildern ist in der Ausstellung eine sehr reich­haltige Collection zu sehen.

Es bietet ein grosses, culturhistorisches Interesse, zu  beobachten, wie sich auch in diesen, im Dienste des Geschäftsbetriebes stehenden Bildwerken der Charakter der verschiedenen Nationen ausspricht. Der auf‘s Grosse gehende Zug der angelsächsischen Race dies- und jenseits des Oceans, ist in den englischen und ameri­kanischen Placaten deutlich zu sehen, die Placate selbst nehmen riesige Flächen ein, 12 — 20 Quadratmeter Raum  scheint das gewöhnliche Maass zu sein; darauf finden wir entweder riesige Köpfe, oder ganze grosse Scenen mit überlebensgrossen Figuren, alles in kräftigsten Farben, packend und deutlich. Bei den Franzosen spielen Pikanterie und feiner Witz die Hauptrolle, während bei den Italienern dem rein künstlerischen Elemente ein grösserer Einfluss gewahrt bleibt. Mit Befriedigung kann übrigens constatirt werden, dass die Wiener Placate neben allen anderen sich ganz wohl sehen lassen können, und dass sie sowohl mit Rücksicht auf die künstlerische Conception, als auch auf die technische Ausführung alle Anerkennung verdienen. Was die Reclamebilder betrifft, so zeigt sich in der Ausstellung, dass wohl auf diesem Gebiete die französische Production allen anderen voraus ist. Es wird ja wohl von Oesterreich, Deutschland und England auch sehr Anerkennenswertes geleistet, allein die französischen Bilder zeichnen sich doch ganz besonders durch künstlerischen Werth und eine bewunderungswerthe Vollendung in der Ausführung aus, und die reizenden Köpfe und Genrebildchen, welche da z. B. von Champenois und Cie. in Paris ausgestellt sind, können geradezu als Zierden jedes Boudoirs bezeichnet werden, und man muss voraussetzen, dass es eine sehr wirksame Reclame ist, wenn dem Beschauer eines solchen Bildes zugleich der Name irgend einer Firma vorgeführt und in’s Gedächtniss ein­geprägt wird.

Um aber der Gerechtigkeit die Ehre zu geben, muss hier Eines hervorgehoben werden. Aus dem, was die Aus­stellung bietet, ist mit ziemlicher Deutlichkeit ersichtlich, dass es bei uns in Oesterreich, wo ja bekanntlich Kunstsinn und Geschmack einen angeborenen Zug der Bevölkerung bil­den, keineswegs an Fähigkeit oder Geschicklichkeit mangeln würde, sowohl in der Herstellung der grossen Plakate, als auch auf dem Gebiete der feinen Reclamebilder ebenso  Vorzügliches zu leisten, als in irgend einem anderen Lande; dass dies im grossen Ganzen nicht geschieht, ist auf Rechnung des Umstandes zu setzen, dass solche Arbeit hier nicht bezahlt wird. Eine durchgreifende und allgemeine Vervollkommnung dieser ganzen, hochwichtigen und wirtschaftlich höchst werthvollen Industrie ist nur möglich, wenn auch ein grosser Absatz sicher ist; nun ist man aber bei uns, wie im Reclamewesen überhaupt, so auch in Bezug auf Plakate und Bilder ungemein schüchtern und sparsam. Die Firmen, welche den Muth und das Verständniss haben, für die Bekanntmachung ihrer Erzeugnisse und für die Anlockung von Käufern im grossen Style zu arbeiten, sind bei uns sehr dünn gesäet und obwohl man glauben sollte, dass die unleugbar grossen Erfolge, welche sie damit erzielen, doch zahlreiche Geschäftsgenossen zur Nachahmung aufmuntern könnten, behält dennoch im Allgemeinen Engherzigkeit und übel angebrachte Sparsamkeit noch immer die Ober­hand. Darum sind auch die Erzeuger von Plakaten und Reclamebildern bei uns vor Allem darauf angewiesen, auf möglichst billige Herstellung zu sehen, und diese muss umsomehr auf Kosten der Qualität erzielt werden, als auch dann der Absatz immer noch ein beschränkter bleibt. Es mag der heimischen Industrie dieses Zweiges hiebei noch zu besonderem Lobe dienen, dass, wie der Vergleich in der Ausstellung zeigt, der Unterschied im Preise der ausländischen und inländischen Erzeugnisse ein bedeutend grösserer ist, als jener in der Qualität. Es zeigt sich aber hier wieder deutlich, dass die Fort­schritte auf den verschiedenen Gebieten des Wirtschafts­lebens mit einander Hand in Hand gehen, dass ein Zweig auf den anderen angewiesen ist, und dass nur in gemein­samem Streben eine allgemeine Hebung des Niveau‘s erreicht werden kann. Erfreulich ist es jedenfalls, aus dem Vorhandenen die Ueberzeugung schöpfen zu können, dass, wenn einmal Industrie und Handel auch bei uns sich entschliessen werden, das wirksame Mittel der bild­lichen Reclame in grossem Maassstabe in Anwendung zu bringen, bei uns auch die Kräfte nicht fehlen werden, welche den höchsten Anforderungen genügen können.

*) Ernest Maindron, Les Affiches illustrées. ouvrage orné de 20 Chromolithographies par Jules Chéret. Librairie artistique H. Launette & Cie, Editeur 197 Boulevard Saint Germain. 1886.

Alexander Dorn, Bilder als Handelsagenten, in: Volkswirtschaftliche Wochenschrift, 19.4.1888, S. 301–303.