Einleitend sei gleich einmal gesagt, dass die Gestalter des Buches „Mid-Century Modern Complete“ einfach alles präsentieren, was in der Mitte des vorigen Jahrhunderts schön und glamourös war. Und zwar so vorstellen, dass man – auch wenn die eigenen Erinnerungen vielleicht nicht so „phantastisch“ sind – dem opulenten Angebot dieses Bandes erliegt.

Sofa- und Stoff-Entwurf des in Baden bei Wien geborenen und 1933 nach Schweden emigrierten Josef Frank, 1940er Jahre (©Svenskt Tenn, Stockholm)
Mit Optimismus und Hoffnung, Wiederaufbau und Wachstum beginnt Dominic Bradbury sein Werk. Bradbury ist der Verfasser zahlloser Bücher, einschlägiger Essays und Artikel zum Thema Architektur und Design. Er stellt gleich zu Beginn fest, dass dieser Neubeginn nach dem Zweiten Weltkrieg eine Chance bot, sowohl für die Hersteller als auch für die Verbraucher. Und speziell in den amerikanischen Verbrauchern sieht er die Auslöser für eine massive Expansion in der Welt des Designs. Logos, Marken und Werbeplakate wurden verlangt. Außerdem war Befreiung angesagt: politische, soziale und sexuelle. Diese Befreiung spiegelt sich besonders in Rock and Roll, Flower-Power und Pop-Art wider. In Amerika findet Bradbury das Zentrum der Design-Welt, stellt aber überall – von Brasilien bis Skandinavien – ganz spezielle Entwicklungen fest. Das, was damals entwickelt wurde, hat immer noch Bestand, war doch der Geist des Mid-Century-Modern, also die Designerwelt der 1950er und 1960er Jahre, zukunftsweisend. So schließt der Herausgeber folgerichtig seine Einleitung, indem er behauptet, dass die Geburtsstunde unserer heutigen Welt in diesen Jahren lag.
Designer und Disziplinen nennt er das erste Kapitel, das sich zuerst den Designern der skandinavischen Möbel und der italienischen Leuchten widmet. Dann ist von denen die Rede, die mit Glas, Keramik und Textilien arbeiteten, bevor er zum Produkt- und Industriedesign kommt. An dieser Stelle besonders interessant sind natürlich die Beiträge über Grafikdesign. Nachdem da Bradbury unter anderem den Schweizer Stil anspricht und die Einflüsse moderner Kunst, kommt Steven Heller zu Wort. Er ist als Art-Director, Journalist, Autor, Kritiker und Herausgeber einer der Fachleute auf diesem Gebiet. Er behandelt in seinem Aufsatz die Berührungspunkte zwischen Schrift, Design und Technologie und konfrontiert die Leserschaft mit drei vorrangigen amerikanischen Designansätzen jener Zeit: „rational (oder modern), eklektisch (oder historisch), sowie anarchisch (oder ‚underground‘)“. So einfach ist die Einteilung natürlich nicht, weil keiner der Grafikdesigner ausschließlich in der ihm zugesprochenen Kategorie arbeitete. Heller erklärt auch Motive, Anliegen und Impulse, die zu neuen Schriftarten und Typografien führen.

Links: Otl Aicher, Plakat, 1971 (© International Olympic Commitee) / Rechts: Bonnie MacLean, Plakat, 1967 (© Museum für Gestaltung, Zürich)
Sophie Churcher behandelt das Reiseplakat der 1950er und 1960er Jahre hauptsächlich vom Aspekt der Sammler her, die in das touristische Leben der damaligen Zeit eintauchen möchten. Und nun folgt eine Reihe von elf Designern – von Soul Bass bis Paul Rand – denen besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird. Max Bill und Otl Aicher werden da diejenigen sein, die im deutschsprachigen Raum besonders bekannt sind, Letzterer war ja für die Corporate Identity der Olympischen Spiele 1976 in München verantwortlich. Das Erstaunen über seine Piktogramme ist heutzutage wahrscheinlich nur schwer zu vermitteln, weil man ja in der Zwischenzeit gelernt hat, eher bildlichen als schriftlichen Anweisungen zu folgen. Kritisch könnte man hier vermerken, dass die Auswahl auf US-amerikanische und westeuropäische Künstler beschränkt bleibt. Es bleibt unverständlich, warum hier kein osteuropäischer Meister – man denke nur an die „Polnische Schule der Plakatkunst“ – vorgestellt wird. Aber man hätte vorgewarnt sein können, trägt der einleitende Aufsatz von Jana Scholze zu diesem Kapitel, in dem sie primär die Spannung zwischen Technik und Design beschreibt, den Untertitel: „Design in der Ära des Kalten Krieges“. Und auf welche Seite sich Bradbury als Herausgeber schlägt, ist klar.
„Häuser und Interieurs“ heißt das letzte Kapitel, in dem einleitend vom Wert der Architektur die Rede ist und in dem auch die Jetztzeit ins Spiel kommt, wenn in einem Aufsatz über das Restaurieren Puristen und Pragmatiker aufeinander stoßen. Dann aber wird hergezeigt und beschrieben, was die Architekten damals konnten, von Alvar Aalto über Mies van der Rohe und Richard Neutra bis Oscar Niemeyer, um nur einige zu nennen. Wieder dominieren die in den USA und Westeuropa gebauten Häuser, abgebildet auf dem höchsten Niveau der Architekturfotografie und dementsprechend beschrieben, auch die Geschichte der Bauwerke bis in unsere Tage.

Pirelli-Werbung, 1962 (© Pentagramm/Alan Fletcher)
Ein ausführlicher und wieder reich illustrierter Anhang, ein A – Z der Designer und Hersteller beendet diesen Prachtband. „Was waren das doch für herrliche Zeiten!“ könnte man sich denken. Wäre da nicht dieser eine Aufsatz über den Kalten Krieg, der einen gleich wieder zurückholt aus der Begeisterung und über Design und schönen Schein nachdenken lässt.
Bradbury, Dominic: Mid-Century Modern Complete. Design des 20.Jahrhunderts, Köln 2014.