Peter Weinberger ist der letzte in Wien Ansässige einer ehemals großen jüdischen Familie. Der Physiker mit literarischen Ambitionen ist seit 1997 im Österreichischen Literaturforum mit Erzählerischem vertreten und veröffentlichte 2013 unter dem Titel „Wohlgeordnete Einsamkeit“ den ersten Teil seiner Autobiografie als völlig kunstloses, dafür umso echteres Bild einer Kindheit und Jugend in Wien, verschränkt mit dem tragischen Schicksal der Elterngeneration. Über den Zuspruch, den dieses Buch erhalten hat, war Weinberger erstaunt, und so setzte er unter dem Titel „Örtliche Gleichgültigkeit“ die Erzählung seines Lebens bis zum Ende des Jahrhunderts fort.
Sein Fin de Siècle illustriert er mit Wahlplakaten aus den 1950er, 60er und 80er Jahren, dem berühmten Kolaric-Plakat aus dem Jahr 1973 und Schlagzeilen und Artikelausschnitten der „Arbeiter-Zeitung“, dem offiziellen Organ der „Sozialistischen Partei Österreichs“. Schon allein deswegen, weil ja auch die „Arbeiter-Zeitung“ gegen Ende dieses 20.Jahrhunderts (1989) ihr Erscheinen einstellte. Sein Vorwort endet Weinberger mit der Aussage, dass sein Fin de Siècle kulturell weniger spektakulär als das des letzten Jahrhunderts gewesen sei, aber dafür umso beruhigender. Um dann sein Leben weiter zu erzählen, vom Studium und der linken Politik, zu der er sehr bald eine Affinität entwickeln sollte, vom ersten Kennenlernen eines ganz anderen Israels, als es sich heute darstellt und den vielen, vielen Auslandsaufenthalten. Zurückhaltung übt er bei näherer Beschreibung seines Studiums (wahrscheinlich wäre die Theoretische Festkörperphysik auch nicht so leicht allgemein verständlich zu erläutern), aber auch das Private nimmt er – entgegen dem heutigen Zeitgeist – eher zurück, davon erzählt er nebenbei, streut nur ein paar Bilder von Frau, Kindern und Verwandten ein.
„Über die Akteure in jenen Zeiten und deren politische Praxis ist inzwischen eine Reihe von Büchern erschienen. Allerdings, so kritisch und umfangreich diese auch sein mögen, sie können nicht wiedergeben, wie sehr sich Plakate, zum Beispiel zu Nationalratswahlen, in das Unterbewußtsein der damaligen Kinder und Jugendlichen verankert haben.“
Weinberger, Örtliche Gleichgültigkeit, S. 8f.
Im Vordergrund steht zunächst einmal die Beschäftigung mit der österreichischen Innenpolitik, sehr bald wendet er sich auch der internationalen Politik zu. Seine Karriere führt ihn in die Vereinigten Staaten, was aber nicht heißt, dass er nicht immer wieder auf die österreichischen Verhältnisse der damaligen Zeit aufmerksam macht. Und die „Arbeiter-Zeitung“ ist ihm da wichtigstes Anschauungsmaterial. Apropos Zeitung, Weinberger kann es natürlich auch nicht lassen, selbst journalistisch tätig zu werden, als Kommentator in der „Arbeiter-Zeitung“ und in anderen Publikationen, die heute nicht mehr existieren. Die Erregungen rund um Waldheim sind ihm ein Kapitel wert, welches mit „Örtliche Gleichgültigkeit“ dem ganzen Buch den Titel gegeben hat. Und dann doch auch wieder das große Familientreffen (Nicht nur, um sich da besser auszukennen, sollte man den ersten Teil seiner Biografie auch gelesen haben). Als einen Mr. Jekyll und gleichzeitig einen Mr. Hyde sieht sich Peter Weinberger. Einerseits veröffentlicht er Fachliteratur, publiziert umfangreich Wissenschaftliches, andrerseits drängt es ihn, doch auch Geschichten zu erzählen. So lässt er also in seinen Büchern einen Geschichtenerzähler eine Zeitreise machen, veröffentlicht Fast-Kriminalgeschichten aus der Wiener Leopoldstadt und erzählt Geschichten über Menschen entlang der Wiener Straßenbahnlinie D.
Das nun vorliegende Buch „Örtliche Gleichgültigkeit“, den zweiten Teil seiner Autobiografie, beendet er wieder mit Geschichten. Diesmal sind es aber keine erfundenen, sondern solche, die sich tatsächlich zugetragen haben, es sind die Geschichten von Edith und Egon, von zwei Familienmitgliedern, die Theresienstadt, Mauthausen und Auschwitz überlebt haben.
Peter Weinberger: Örtliche Gleichgültigkeit, Wien 2014.