Pars pro toto – Ein Bild für viele: Das österreichische Stummfilmplakat am Beispiel von Theo Matejko und dem Atelier „Trioplakat“

Die Uniformität heutiger Filmposter, die weltweit in verschiedenen Sprachen aber mit nur einem Sujet produziert werden und die nur einen verschwindend kleinen Teilaspekt in einer umfassenden Marketingstrategie darstellen, ist dem historischen Filmplakat der Stummfilmära vollkommen fremd und macht die zeitliche Distanz mehr als deutlich.

Während heute das Poster eine vernachlässigbare Größe in einer umfassenden Werbekampagne für einen Spielfilm ist, in ihrer Gewichtung und Budgetierung weit hinter dem Filmtrailer und Pressematerialien für Fernsehen und Printmedien zu reihen, war das Plakat der Zwischenkriegszeit das primäre Werbemedium der Filmwirtschaft.

Obwohl das Filmplakat so alt wie der Film selbst ist und bereits die Streifen der Gebrüder Lumière mit Affichen beworben wurden, lassen sich in Österreich die ersten Filmplakate zu nennenden Reklameanschläge um das Jahr 1912 nachweisen, fallen also zeitlich mit dem Entstehen des heimischen Filmwesens zusammen. Zwar gab es bereits vor 1910 Filmplakate in den Straßen Wiens zu sehen, diese waren allerdings in den Herkunftsländern, vor allem Deutschland und Frankreich, entworfen, gedruckt und von den ausländischen Produktionsfirmen mit den Filmrollen mitgeliefert worden. Eines der frühesten österreichischen Filmplakate zu einem österreichischen Langspielfilm ist Gottfried Lorenz Ankündigung für den Streifen Der Unbekannte (Österreich 1912, Luise Kolm), eine Produktion der Wiener Kunstfilm, der am 15. März 1912 in Wien Premiere hatte. Zu dieser Zeit war es noch nicht üblich, mit den Namen der Schauspieler und des Regisseurs auf dem Plakat zu werben.

Das Filmplakat als repräsentativer Ausschnitt des Films und pars pro toto, oft nach Vorlage eines Standfotos entstanden, ist quasi Symbol der Fragmentierung des Lebens und der arbeitsteiligen Gesellschaft am Beginn des 20. Jahrhunderts. Zum ersten Mal gehorchte die Positionierung der Bilder im öffentlichen Raum den Regeln des Warenverkehrs. Plakatierungsgesellschaften entstanden, die die Freiflächen nach marktwirtschaftlichen Richtlinien vermieteten. So in Wien nach Ende des Ersten Weltkrieges die gemeindenahen Firmen Gewista und Wipag mit ihrem branchenunüblichen Monopolstatus, der gelegentlich auch die Vorzensur einschloss. Die intendierte Transformation des vom Bild Eingefangenen sollte unterbewusst erfolgen: Der Betrachter des Plakates sollte zum Konsumenten des Films werden.

Das Filmplakat wirbt mit visuellen Mitteln für ein visuelles Medium, ein Einzelbild wirbt für eine Abfolge von Bildern. In kaum einem anderen Bereich der Plakatgraphik hat sich eine derart spannende Symbiose zwischen werbendem und beworbenem Medium entwickelt – eine Symbiose aus gebrauchsgraphischen Schnellschüssen und künstlerischen Approximationen, aus vordergründiger Effekthascherei und kreativer Adaption eines verwandten Mediums im Spannungsfeld zwischen Kunst und Kommerz.

Das Stummfilmplakat war ein Refugium für die realistische Darstellung und einer konservativen Kunstauffassung, die in den freien Künsten von den avantgardistischen Strömungen verdrängt wurde. Filmplakate erreichten selten die Klarheit und Strenge der Produktreklame. Zeitgenössische Tendenzen innerhalb des Plakatschaffens wurden kaum rezipiert. Das deutsche Sachplakat mit seiner Reduktion auf einfache, flächige Darstellung des Produktes in den Primärfarben, das ab den zehner Jahren stilbildend und mit dem Namen Lucian Bernhard verbunden war, hatte keinen Einfluss auf Filmplakate. In Österreich kam es auch zu keiner Rezeption der Formensprache des Bauhauses, obwohl in der führenden österreichischen Fachzeitschrift1 die revolutionären Filmplakate von Jan Tschichold für den Münchner Phoebus-Palast ausführlich besprochen wurden. Tschicholds Entwürfe stellten einen radikalen Bruch mit den konventionellen Filmplakaten dar. Er reduzierte die Darstellung auf Groteskschrift in schräger Zeilenrichtung, Linien, Quadrate, Kreise und ein Standfoto, eliminierte jedes Ornament und adaptierte filmische Techniken wie die Projektion für das Plakat. Nur das Atelier Waldner versuchte ansatzweise einige Neuerungen im Tschichold’schen Sinne um 1929 zu übernehmen und das österreichische Filmplakat zu reformieren. Doch blieb dieser Versuch singulär und ohne Einfluss auf das weitere Filmplakatschaffen, das sich auf die konventionelle Darstellung, ergänzt nur durch modernere Schriften für den Filmtitel, beschränkte.

Die führenden österreichischen Plakatkünstler arbeiteten kaum für die Filmwirtschaft. Von den renommiertesten österreichischen Gebrauchsgraphikern der Zwischenkriegszeit, Joseph Binder und Julius Klinger, sind keine Plakate für den Film aus dieser Zeit bekannt. Der für seine Wahlplakate für die Sozialdemokratische Arbeiterpartei bekannte Victor Slama schuf ab Dezember 1928 exklusiv Stummfilmplakate für die Mondial-Film2 in seinen bevorzugten Farben Schwarz-Weiß-Rot und der vor dem Horthy-Regime nach Wien emigrierte Mihaly Biró3 war für einige Plakate zu russischen Filmen im Auftrag des Newa-Verleihs verantwortlich. Die einflussreichen Grafiker Hans Neumann, Ernst Deutsch-Dryden und Bernd Steiner, die 1918 von Deutschland nach Österreich zurückkehrten, schufen nur einige wenige Filmplakate. In der bedeutendsten, vom Bund österreichischer Gebrauchsgrafiker4 veranstalteten Plakatausstellung der Zwischenkriegszeit waren nur drei Filmplakate zu sehen. Die Ausstellung Das österreichische Plakat im Museum für Kunst und Industrie, versammelte im Jahre 1929 rund 100 Exponate der wichtigsten Plakatkünstler Österreichs. So hatte auch die Interessensvertretung durch die Gewichtung dokumentiert, dass das Filmplakatschaffen nur ein Nebenprodukt der Plakatgestaltung darstellte. Auf diese Marktnische haben sich einige Grafiker spezialisiert, die fast ausschließlich Filmplakate entwarfen. Namen wie Paul Aigner, Rudolf Bayerl, Else Czulik, Rudolf Kerschbaum, Margit Kováts (Kovács), Rudolf Ledl, Robert Schmidt, Rudolf Vogl, A. H. Waldner, Emmerich Maria Weninger, Reinhart Wettach oder Anton Ziegler sind heute nahezu unbekannt.5

Betrachtet man die formalen Aspekte des Stummfilmplakates, kam es in Österreich zu einigen Sonderentwicklungen. In Österreich wurden, von wenigen Ausnahmen abgesehen, maximal zwei Plakatsujets für einen Film ausgeführt. Auch Großproduktionen bildeten keine Ausnahme. In den USA oder in Deutschland wurden für bestimmte Filme bis zu acht verschiedene Plakate für eine Produktion entworfen. Auftraggeber der Filmplakate waren die Verleihfirmen. Anders als in Berlin, wo die großen Kinos eigene Plakate drucken ließen, war dies in Wien unüblich. Nur das Apollo-Kino und die Urania ließen regelmäßig eigene Plakate drucken. Dafür gab es bei den Wiener Stummfilmplakaten die Möglichkeit, in einem zweiten Druckvorgang im untersten Bereich des Plakates, Kino, Zeit und Ort eindrucken zu lassen. Die Wiener Stummfilmplakate waren großformatiger als die in anderen Ländern. In den frühen zwanziger Jahren war das Wiener Standardformat 126 x 95 bzw. 190 x 126 (aus zwei Teilen bestehend). In der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre kam dann das Großformat 280 x 126 in Verwendung, das aus drei Teilen bestand und eine ganze Litfaßsäulenhöhe beanspruchte. In Berlin hatte das vergleichbare Großformat die Maße 210 x 95. Neben Kinofassade und -foyer standen im Wien des Jahres 1928 über die Werbeflächen von Gewista und Wipag 3000 Plakattafeln und 300 Plakatsäulen, davon allein 190 im 1.Bezirk und davon wiederum 115 an Ringstraße und Kai, zur Verfügung.6

Als Vorlage für das Sujet wurden Film-Stills von der Verleihfirma mitgeliefert, in manchen Fällen war es auch für die Grafiker möglich, die Voraufführung für das Fachpublikum zu besuchen. Danach wurde ein kleiner Entwurf angefertigt und dem Auftraggeber präsentiert. Nach der Absegnung wurde ein Entwurf in Originalgröße ausgeführt.

Exemplarisch für das österreichische Stummfilmplakat der zwanziger Jahre sollen nachstehend ein Plakatkünstler, Theo Matejko, und ein Plakatatelier, Trioplakat, näher vorgestellt werden.

Theo Matejko

Theo Matejko (1893 – 1946) war im Wien der Jahre 1918 bis 1920 die zentrale Figur der Plakatszene. In der ganzen Stadt konnte man seinen Plakaten nicht entgehen. An jeder Straßenecke war ein Matejko affichiert. „Plötzlich sah man an allen Anschlagwänden von Wien Plakate politischen Inhalts, im Dienste sämtlicher Parteien, Kinoplakate, Geschäftsplakate, alle von einer schwungvollen Leichtigkeit, Treffsicherheit – gezeichnet: Theo Matejko. Sie bildeten das Gespräch von Wien. […] Sie hatten einen so durchschlagenden Erfolg im Publikum, daß man enttäuscht durch die Gassen ging, wenn einmal eine Woche kein neues Matejko-Plakat brachte.“7 Eindeutiger Schwerpunkt seines Plakatschaffens waren die Filmplakate.

Matejkos realistische, mit dickem Kreidestrich gezeichnete Plakate waren untypisch für die damaligen Entwicklungen der Plakatkunst, die mehr auf sachliche oder dekorative Darstellung abzielten. So steht sein Plakatschaffen eher der französischen Plakatkunst der Jahrhundertwende nahe als der deutschen bzw. österreichischen seiner Zeitgenossen. Gleichzeitig kam Matejkos Zeichenstil der outrierten Theatralik des Stummfilms entgegen. Sicherlich war dies ein Grund für den großen Erfolg seiner Filmplakate in Wien und Berlin.

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Eines der über hunderte Filmplakate, die Theo Matejko zwischen 1918 und 1920 in Wien entwarf, ist das 1919 entstandene Plakat zum Film Madame Dubarry von Ernst Lubitsch. In Wien lief der Film, obwohl bereits für Herbst 1919 angekündigt, erst am 24. Jänner 1920 im Rotenturm-Kino an, nachdem im 7. Akt Szenen der französischen Revolution zensuriert wurden. In der „Neuen Freien Presse“ stand zu lesen: „Der Film darf zu den wirkungsvollsten Hervorbringungen der Kinematographie überhaupt gerechnet werden, denn nicht nur in darstellerischer, sondern auch in szenischer und technischer Beziehung wirkt er geradezu verblüffend.“8 Matejkos freie Darstellung stieß auf Widerspruch bei der zuständigen Behörde, der Polizeidirektion Wien, und musste vor der Plakatierung noch die Hürden der Zensur bewältigen. Später meinte er darüber: „O bitte, auch der Umgang mit Zensur will gelernt sein […] Schließlich beherrschte ich sie in Wien. Dort malte ich die Dubarry, von Todesangst verzerrt, wie sie sich in den rauhen Armen des Henkers windet. Die Dubarry war weiß wie frisch gefallene Unschuld. Der Sansculotte dunkelbraun, harte grausame Züge, brutal, phrygische Mütze und so. Freunde sagten, es sei mein bestes Plakat, und richtig, – es wurde auch verboten. Revolutionär – aufreizend! Da ich aber, wie gesagt, Zensur gelernt hatte, verlor das Plakat seinen revolutionären Reiz nach einer kurzen Unterhaltung mit dem Landeshauptmann, die Revolution ist in Wien noch immer nicht ausgebrochen, die Dubarry viele tausende Male geköpft worden. Aber daran mag die Schläfrigkeit der Wiener schuld sein. Oder es sind alle meine Freunde Ignoranten und am Plakat nicht viel los. Jedenfalls verlor durch dieses Erlebnis die Wiener Zensur für mich jeden Anreiz.“9

Im Sommer 1920 ging Matejko nach Berlin. Möglicherweise wegen seines Dubarry-Plakates wurde er von der Ufa beauftragt, für den nächsten Lubitsch-Film Sumurun, das Premierenplakat für den Ufa-Palast am Zoo für den 1. September 1920 zu entwerfen. In der Folge sollte er regelmäßig für die Ufa und für diverse Blätter des Ullstein-Verlages, vornehmlich die Berliner Illustrirte Zeitung, tätig werden.

Von Madame Dubarry, das wie fast alle Wiener Matejko-Plakate bei Waldheim & Eberle gedruckt wurde, sind insgesamt vier Varianten in drei unterschiedlichen Formaten von Matejko entworfen worden: ein vierteiliges Plakat (248 x 190), ein zweiteiliges (126 x 95) und ein Einbogen-Plakat (84 x 59).10 Für jede dieser Farblithographien hat Matejko einen Entwurf des gleichen Sujets geliefert. Erst bei genauerem Vergleich der Streifen der Pantalons oder dem Schriftzug „Madame Dubarry“ bzw. der Signatur Matejko erkennt man die Varianten und ihre unterschiedliche Ausführung und Übertragung auf den Lithostein. Zusätzlich gibt es noch eine vierte Variante, die explizit mit der Hauptdarstellerin Pola Negri warb.11

Im Gegensatz zum Berliner Uraufführungsplakat von Robert L. Leonard, das den Aufführungsort, die Produktionsfirma, die Autoren und den Regisseur am Plakat nennt, beschränkte sich Matejko auf die Nennung des Filmtitels. Es gibt überhaupt keinen Hinweis darauf, dass es sich dabei um einen Film handelt. Darüber hinaus gestaltet Matejko die Hinrichtungsszene sehr frei. Natürlich sind im Film die nackten Brüste Pola Negris nicht zu sehen, während Leonard einfach ein Standfoto des Films abzeichnete.

Die phrygische Mütze zählte zu den Lieblingsmotiven Matejkos, kommt sie doch mehrmals in seinen Plakaten vor. Zum einen im ebenfalls 1919 entstandenen Plakat, das für die Zeitschrift Wiener Woche wirbt.12 Darin balanciert eine triumphierende Marianne als Personifikation der Republik mit entblößter Brust und erhobenem Arm wie in Delacroix Die Freiheit führt das Volk auf die Barrikaden, auf einem umgestürzten Thron sitzend, die Krone des untergegangenen Habsburgerreiches auf ihren Zehen und wirbt für die eine Krone teure Wochenschrift. Ein weiteres Mal taucht eine aggressive Marianne mit phrygischer Mütze auf dem 1923 entstandenen Plakat Hände weg vom Ruhrgebiet! auf.13

Während Matejkos Wiener Zeit kam es in der ersten Jahreshälfte 1920 bei einigen wenigen Arbeiten zu einer Zusammenarbeit mit Marcel Vértes (1895 – 1961), einem ungarischen Grafiker und Bühnenbildner, der 1925 nach Paris ging und dort als Zeichner der vornehmen Pariser Gesellschaft Karriere machen sollte. Zu den Gemeinschaftsarbeiten zählen das Wiener Plakat zu Das Cabinet des Dr. Caligari14 und Die Wohltäterin der Menschheit, ein Film von Joe May. Da sie sich im Stil deutlich von den anderen Matejko-Plakaten unterscheiden, legen sie den Schluss nahe, dass bei diesen Arbeiten der Anteil Vertés größer war als der Matejkos.

Nach seiner Übersiedlung nach Berlin wurde Matejko neben Josef Fenneker zum erfolgreichsten und vielbeschäftigten Filmplakatschaffenden Deutschlands und sollte bis in die Kriegsjahre tätig sein.

Trioplakat

In der Hochblüte des Stummfilms, im letzten Drittel der zwanziger Jahre, in der wöchentlich Dutzende neue Filme in den Wiener Kinos anliefen, war das Atelier Trioplakat einer der produktivsten und präsentesten im Straßenbild der Filmmetropole Wien.

Margit Sidonie Kováts (Kovács)15 (1909 Wien – 2001 Wien), verheiratete Doppler, besuchte von 1923 bis 1926 wie viele österreichische Gebrauchsgrafiker und -grafikerinnen der Zwischenkriegszeit die „Graphische Lehr- und Versuchsanstalt“ in Wien. Ihre Lehrer waren für die Abteilung farbige grafische Komposition, worunter auch das Plakat fiel, Professor Erwin Puchinger16 und für den Bereich Typographie Professor Rudolf von Larisch17. Zwei Wochen nach dem erfolgreichen Abschluss der „Graphischen“ begann sie siebzehnjährig im Atelier Georg Pollak in der Neubaugasse 36 für ein Monatsgehalt von hundert Schilling zu arbeiten. Das Atelier Pollak, das bis 1932 nachgewiesen ist, war in den zwanziger Jahren die führende Entwurfswerkstätte für Filmplakate. Es wurde ausschließlich im Auftrag der Filmproduktions- und Verleihfirmen gearbeitet, Plakate für Produktreklame oder politische Plakate wurden nicht angefertigt. Im Atelier arbeiteten die Graphiker Rudolf Bayerl, Else Czulik, Rudolf Kerschbaum, Robert Schmidt und Anton Ziegler. Pollak selber entwarf nicht. Im Gegensatz zu den anderen Grafikern des Ateliers durfte die junge Margit Kováts die Plakate nicht signieren.

Nachdem sich die Auftragslage äußerst günstig entwickelt hatte und das Atelier immer ausgelastet war, wurde 1927 auf Betreiben von Hugo Brod, des Onkels von Kováts, ein eigenes Atelier in der Mariahilferstraße 85 eröffnet. Brod fungierte als Firmengründer und Finanzier. Trioplakat, wie sich das Atelier nannte, bestand aus drei Personen: Hugo Brod, der für die finanzielle Seite verantwortlich war und nicht selber entwarf sowie den beiden Graphikern Margit Kováts und Anton Ziegler, dem ersten Zeichner des Ateliers Pollak, der von Hugo Brod abgeworben wurde. Ein Teil des Kundenstammes des Ateliers Pollak konnte übernommen werden und Trioplakat fasste schnell in der Filmbranche Fuß. Das Signet mit den drei Pilzen zwischen den Wörtern „TRIO“ und „PLAKAT“ wurde schnell zur Trademark für auffallende Filmplakate im Wiener Straßenbild.18 Die Ablöse des Stummfilms durch den Tonfilm hatte zur Folge, dass bedeutend weniger Filme in den Verleih kamen und somit auch die Auftragslage für Filmplakate sich drastisch verschlechterte. Ende 1929 musste daher das Atelier Trioplakat nach nur zwei Jahren geschlossen werden und Margit Kováts arbeitete für ein Jahr im renommierten Atelier Joseph Binder.19 Gleichzeitig entwarf sie für den Verleih Dr. Hauser die Plakate der United-Artists-Filme bis zu ihrer Übersiedlung 1936 nach Istanbul. Darunter für Filme wie Lichter der Großstadt (USA 1931, Charlie Chaplin), Das Privatleben Heinrich VIII. (GB 1934, Alexander Korda) oder Gespenst auf Reisen (GB 1936, Rene Clair).

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Anton Ziegler20 (1894 Wien – 1974 Wien), der zweite Zeichner von Trioplakat, besuchte die Akademie der bildenden Künste in Wien und begann sich nach Abschluss des Studiums auf den Entwurf von Filmplakaten zu spezialisieren. Nach seiner Zeit bei Trioplakat arbeitete er ab 1929 freiberuflich, vornehmlich im Auftrag der österreichischen Verleihfirmen Ufa, Terra, Hugo Engel und Huschak. Ziegler war in den zwanziger und dreißiger Jahren Zeit der meistbeschäftigte Filmplakatentwerfer Wiens. Auch gab es keinen anderen österreichischen Grafiker, der so lang Plakate für den Film entwarf, nämlich mehr als dreißig Jahre. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges gestaltete er zahlreiche Verleihplakate für die Ringfilm.
Aus der Frühzeit der österreichischen Kinematographie haben sich nur relativ wenige Plakate erhalten, bedenkt man, dass in den zwanziger Jahren tausende Stummfilme in den Wiener Kinos gezeigt wurden.21 Stummfilmplakate, die das Publikum in die Kinos locken sollten, wurden immer als Gebrauchsgrafik angesehen, die nicht für einen längeren Zeitraum oder gar für eine Archivierung bestimmt waren. Nachdem ein Film von den Spielplänen verschwunden war und es weder eine Abgabepflicht an staatliche Institutionen22 noch einen nennenswerten Sammlermarkt gab, wurde das Filmplakat zu Makulatur.

Aktualisierte Fassung des 1999 erstmals erschienenen Artikels:
Maryška, Christian: Pars pro toto – Ein Bild für viele. Das österreichische Stummfilmplakat, in: Bono, Francesco – Paolo Caneppele – Günter Krenn (Hrsg.): Elektrische Schatten – Beiträge zur österreichischen Stummfilmgeschichte, Wien 1999, S. 169ff.

1 Österreichische Reklame. Offizielles Organ des Verbandes Österreichischer Reklamefachleute und des Bundes Österreichischer Gebrauchsgraphiker.
Der Artikel stammte von Sebastian Watzal: Der Bauhaussteil. Beispiele aus der Praxis: Filmplakate von Jan Tschichold, Jahrgang 1928, Heft 9, S. 11-14.
2 Vgl. Gerda Barth: Victor Th. Slama und der Film. In: Von der Sinnlichkeit der roten Farbe, Hrg. Bernhard Denscher, Wien 1990, S.83.
So u.a. für die Filme Eva in Seide (Deutschland 1928, Carl Boese), Unter der Laterne (Deutschland 1928, Gerhard Lamprecht) und Nackte Tatsachen (Deutschland 1929, Carl Boese). In der ÖNB befindet sich auch ein ganz frühes Slama-Plakat zum österreichischen Film Die Schuldigen (Österreich 1922, Fritz Freisler).
3 So entwarf er die Plakate für die Filmklassiker Mutter (1926, W. Pudowkin), Iwan der Schreckliche (1926, Y. Tarisch), Oktober (1927, S. Eisenstein). In der ÖNB befindet sich auch ein ganz frühes Biró-Plakat zum Sascha-Film Die Gottesgeissel (Österreich 1920, Michael Kertesz).
4 Der Bund österreichischer Gebrauchsgraphiker wurde nach dem Vorbild des Bundes deutscher Gebrauchsgraphiker im November 1926 gegründet.
5 Ein Lexikon österreichischer Gebrauchsgrafiker gibt es bis dato nicht. Es zählt daher zu einem wichtigen Desiderat und zeigt, dass die Forschung auf diesem Gebiet erst in den Anfängen steckt.
6 Vgl. Plakat Handbuch. Albacharys Führer durch das Plakatwesen. Berlin 1928, S. 303.
1928 gab es in Berlin 1550, in Hamburg 280 und in München 150 Litfaßsäulen.
7 Stella Kamrich: Die Plakate von Theo Matejko. In: Das Plakat, Heft 6, Juni 1920, S. 277.
8 Neue Freie Presse, 24.1.1920.
9 Theo Matejko: Ich studiere Filmzensur. In: Das Plakat, Heft 10, Oktober 1920, S. 480.
10 Alle drei Varianten befinden sich in der Österreichischen Nationalbibliothek.
11 Vgl. Das Plakat, Heft 6, Juni 1920, vor S. 279 abgebildet.
12 Vgl. Tagebuch der Straße. Geschichte in Plakaten. Herausgegeben von der Wiener Stadt und Landesbibliothek (Red.: Bernhard Denscher), Wien 1981, S. 134.
13 Vgl. Verführungen. Plakate aus Österreich und Deutschland von 1914 bis 1945, Heidelberg 1998. S. 83.
14 Ein Exemplar befindet sich im Deutschen Historischen Museum, Berlin. Das zweite Wiener Caligari-Plakat stammt vom Atelier Ledl & Bernhard.
15 Margit Sidonie Kováts (21. Jänner 1909 Wien – 27.11.2001 Wien) schuf daneben auch Arbeiten für Produktreklame, wie für Meinl und Kunz Kaffee, Persil, das Teppichhaus Schein in der Mariahilferstraße. Außerdem war sie Schöpferin des Kirstein-Blockmalz-Männchens.
16 Erwin Puchinger (31. Juli 1876 Wien – 24. Juni 1944 Wien) war Maler, Graphiker und Kunstgewerbler, besuchte den Abendkurs der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt und die Kunstgewerbeschule ab 1896 als Schüler von Hans Matsch. Seit 1901 unterrichtete er selbst an der Graphischen. Er malte hauptsächlich Hochgebirgslandschaften und ihre Menschen und entwarf Plakate (z.B. Kriegsanleiheplakate im Ersten Weltkrieg), Postwertzeichen, Karikaturen und Urkunden.
17 Rudolf von Larisch (1. April 1856 Verona – 28. März 1934 Wien) war ab 1902 Professor an der Wiener Kunstgewerbeschule, lehrte aber auch an der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt und der Akademie der bildenden Künste. Er war Gründungsmitglied des Österreichischen Werkbundes und Autor mehrerer Bücher über künstlerische Schriftgestaltung.
18 In der Österreichischen Nationalbibliothek befinden sich rund 50 Filmplakates des Ateliers Trioplakat aus der Zeit 1927-1929.
19 Die Angaben beruhen auf einem Gespräch, das der Autor am 10. Dezember 1998 mit Margit Doppler-Kováts führte. Auf den Plakaten gibt es auch die Namenvariante „Kovács“.
Siehe: Interview – Margit Doppler: „Manchmal habe ich die ganze Nacht durchgearbeitet!“
20 Von Anton Ziegler gibt es in der Österreichischen Nationalbibliothek rund 120 Filmplakate aus der Zeit 1925-1938 bzw. 1949-1955.
21 Paimanns Filmlisten, die alle in den österreichischen Kinos anlaufenden Film besprachen, verzeichnen für die Jahre 1916 bis 1929 insgesamt 16000 Einträge mit Filmtitel, wobei man bei dieser Zahl allerdings bedenken muss, dass sie auch zahllose Originaltitel und Zweittitel beinhalten.
22 Eine Ausnahme ist die Wienbibliothek, die ab 1923 von der Gewista regelmäßig mit Plakaten beliefert wurde, allerdings ohne gesetzliche Grundlage.