„Wien wird jetzt zur Grossstadt demolirt“ – mit dieser Feststellung leitete Karl Kraus 1896, anlässlich der Schließung des legendären Literatencafés Griensteidl, seine Streitschrift „Die demolirte Literatur“ ein. Ein derartiges Verdikt wäre wohl ein paar Jahrzehnte zuvor, anlässlich der Entscheidung, die pittoresken Stadtmauern zu beseitigen und den Prachtboulevard der Ringstraße zu errichten, noch um einiges mehr angebracht gewesen.
1857 verfügte Kaiser Franz Joseph die Schleifung der Basteien und genehmigte damit auch die Bebauung des bis dahin frei gehaltenen Glacis. Am 1. Mai 1865 eröffnete der Kaiser dann die Wiener Ringstraße. Obwohl die meisten der wesentlichen Bauten erst in Planung waren, konnte man die Straße selbst bereits durchgehend befahren.
Aus Anlass dieses 150-Jahr-Jubiläums gibt es 2015 in Wien zahlreiche Aktivitäten. Eine davon ist die Ausstellung „Wien wird Weltstadt“, die derzeit im Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek zu sehen ist. Anhand von vielfältigen Dokumenten wird die Geschichte der Ringstraße von der Planung über die Bauphase bis zur Vollendung dargestellt. Allerdings ist es inmitten der barocken Pracht des Prunksaales überaus schwierig, optisch wirkungsvolle Ausstellungen zu gestalten, und bisher haben noch alle, auch die inhaltlich interessantesten Präsentationen gegen das dominante Ambiente verloren. Auch im aktuellen Fall ist es – trotz aller kuratorischen Courage – nicht anders. Ein eigener, neutraler Präsentationsraum für die stets höchst kompetenten Ausstellungen der Österreichischen Nationalbibliothek wäre somit wünschenswert.
Doch erfreulicherweise liegt auch diesmal ein Katalog vor, der über die derzeitige Schau hinaus spannende Aspekte dieses wichtigen Kapitels der Wiener Stadtgeschichte ausführlich beleuchtet. Während es etwa in der Ausstellung kaum Hinweise auf die detaillierte Entwicklung der Möblierung der Ringstraße gibt, enthält die zur Präsentation erschienene Publikation einen überaus aufschlussreichen Beitrag von Peter Payer über den „Inszenierten Raum“ dieses auch für das heutige Wien immer noch so bedeutenden Boulevards. Darin schreibt Payer: „Zu wichtigen Informationsdrehscheiben wurden auch die Reklamesäulen, die nach Pariser und vor allem Berliner Vorbild – der Drucker und Verleger Ernst Litfaß hatte sie ab 1854 massiv propagiert – nun in Wien Einzug hielten. Private Ankündigungsunternehmen erhielten ab den 1870er-Jahren die Berechtigung, sie am Rand der Gehallee aufzustellen. Ab 1888 wurden sie durch eine zweite Serie der Firma J. Weiner ersetzt. Zur Jahrhundertwende gingen die Säulen in das Eigentum der Stadt über, die sie ihrerseits an Werbefirmen vermietete. Die zylindrischen Säulen wiesen einen gusseisernen Sockel auf und einen Korpus aus Eisenblech, an der Spitze befand sich eine reich verzierte Kuppel mit dem Wappen der Stadt Wien und der genauen Standortbezeichnung.“
So wurde die Plakatsäule zu einem nicht gerade dominierenden, aber doch nicht zu unterschätzenden Detail des Gesamtkunstwerkes der Wiener Ringstraße. Auf dieser Prachtstraße, an der sich das neue Großbürgertum ihre repräsentativen Palais errichten ließ, repräsentierte die Litfaßsäule als eine Art moderner Bildstock das neue interkonfessionelle Glaubensbekenntnis zum Kapitalismus und wurde ebenso zu einem Symbol für die neue vielfältige Medienlandschaft.
Der Designexperte der Österreichischen Nationalbibliothek Christian Maryška nahm diesmal Urlaub vom Plakat und schrieb einen lesenswerten Beitrag zu den kulturhistorischen Aspekten des Boulevards unter dem aussagekräftigen Titel „Die prächtigste moderne Stadt der Welt“.