Sepp Innerkofler und die Drei Zinnen, das ist eins. Da entstehen Bilder in mir, Südtiroler Bergbilder. Nicht nur, weil die Zinnen neben dem Fujiyama und dem Matterhorn wahrscheinlich zu den imposantesten und markantesten Bergformationen gehören, Bergbilder schlechthin sind, sondern auch, weil es prägende Erinnerungen aus der Jugend sind, als noch eine Schotterstraße zur Zinnenhütte hinaufführte, uns am Morgen die Alpini mit ihrem Gesang weckten und die Wanderung rund um die drei Zinnen zu einem der schönsten Bergerlebnisse meines Lebens wurde. Und immer der Name Sepp Innerkofler mit dabei, damals allerdings noch mit diesem gewissen nationalen Unterton: Er war der Held im Ersten Weltkrieg, er verteidigte Österreich, er verteidigte seine Berge. Begeistert lasen wir damals auch „Der Sepp“ von Karl Springenschmid. (Nichts wissend davon, dass der ein Nazi-Schriftsteller und für die Bücherverbrennung 1938 in Salzburg verantwortlich war.)
Gut, dass es jetzt – anlässlich Sepp Innerkoflers 150. Geburts- und 100. Todestages – eine Biografie gibt, oder besser gesagt: zwei Biografien über ein Leben in einem Buch. Der italienische Historiker – und Südtiroler Politiker – Hans Heiss würdigt zuerst einmal „Die Bedeutung von Sepp Innerkofler für den Tourismus des Hochpustertals und Sexten“, bevor dann Rudolf Holzer, der ehemalige Lehrer und Dorfchronist von Sexten, das Leben des Sepp Innerkofler „für die Heimat und die Berge“ noch ganz und gar im alten Biografen-Stil beschreibt.
Ein „Angelpunkt des zentralalpinen Verkehrs“ war das Südtiroler Hochpustertal schon immer, „kein ländlicher Siedlungsraum, vielmehr eine Zone von Bewegung, Unruhe und Aufbruch“, leitet Heiss ein, und dass all diese Dörfer, wie zum Beispiel Innichen oder Sexten, „keine abgeschiedenen Orte bäuerlicher Selbstversorgung“ waren, sondern schon sehr früh „eine Mentalität der Marktorientierung“ entwickelten. Dazu kam, dass sich dort bereits im 17. und 18. Jahrhundert Fremdenverkehr einnistete. Transit, Sommerfrische und Bäderwesen prägten diese vor-touristische Zeit. Mitte des 19. Jahrhunderts war es dann soweit: der erste Innerkofler schrieb sich als „Sextner Führer in die Geschichte des Alpinismus ein“. Ein Steinmetz war der, Mühlsteine stellte er her, und „nicht des Geldgewinnes, sondern aus Ehrgeiz“ war er Bergführer. So schrieb der Wiener Arzt Paul Grohmann in der „Zeitschrift des Deutschen Alpenvereins.“ Grohmann bezwang mit ihm als Führer mehrere Dolomiten-Berge. Franz Innerkofler konnte sich von dem, was er als Führer verdiente, bereits einen stattlichen Gasthof errichten, es war auch maßgeblich sein Verdienst, „dass Sexten als Ausgangspunkt für Bergtouren bleibenden Ruf gewann“. Der Fremdenverkehr in Südtirol entwickelte sich: durch die Errichtung des Südbahnhotels in Toblach und den Bau der Pustertalbahn. Es war an der Zeit, denn dem Land drohte durch Überschwemmungen eine Verarmung. Aber, „die großen Hilfskampagnen und Benefizaktionen ließen sich zu einer wirkungsvollen Werbeaktion für Tirol ummünzen.“ Unmittelbar nach den Katastrophenjahren wurde die Dreizinnenhütte gebaut. Und damit kommt jetzt endlich Sepp Innerkofler ins Spiel, denn der „erkannte frühzeitig die Aufstiegsmöglichkeiten im Tourismus und verband beide Berufszweige, den des Bergführers und Gastwirts“. Einer der europaweit berühmtesten Bergführer übernahm 1898 als Pächter die Dreizinnenhütte. Der Fremdenverkehr entwickelte sich rasant im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. „Die Zahl der Ankünfte in Tirol stieg zwischen 1890 und 1912 um das Vierfache auf Werte, die erst um 1960 wieder erreicht wurden.“ Den Anteil der Bergführer an diesem Phänomen macht Heiss noch einmal zum Thema: Aufsteiger in mehrfacher Hinsicht wären die gewesen, aus einfachen Verhältnissen stammend, ermöglichten ihnen ihre Erlöse als Bergführer den Einstieg ins Gastgewerbe. Dabei waren ihre Tarife im inneralpinen Vergleich ausgesprochen moderat, wie Heiss weiß. Und er spricht auch die tragende Rolle der Frauen dabei an. Der Historiker beschließt seine Biografie dann mit dem Tod des 50jährigen Innerkofler, der es als seine Pflicht ansah, „mit dem eigenen Leben für die Verteidigung der Heimat einzustehen.“
Soweit der nüchterne Teil des Buches. Rudolf Holzer baut dann aus, weiß viele Details, erzählt breit ausufernd das Leben Innerkoflers als Bergsteiger, Tourismuspionier und Kriegsheld. Das kann man sich schon so erzählen lassen, interessant sind kleine Details aus dem Alltagsleben, dass zum Beispiel in Sexten demjenigen „die Trauung durch die Gemeinde versagt war, der kein sicheres Einkommen zum Erhalt einer Familie nachweisen konnte“ und, dass Sepp Innerkofler vor Beginn der Fremdensaison den Sextner Pfarrer bezahlte „für die Unterlassung der Sonntagspflicht“, weil er doch als Führer oft an den Wochenenden unterwegs war.
Als letzten Beitrag enthält das Buch dann auch noch das Manuskript einer Radiosendung, die sich am 27. Dezember 1975 mit dem Tod von Sepp Innerkofler – und den verschiedenen Berichten darüber – auseinandersetzte.
Ein wichtiger Bestandteil des Buches sind natürlich die Illustrationen, sowohl die alten wunderschönen Tourismusplakate aus der Zeit der Hochblüte der Plakatkunst und auch die Schwarz-Weiß-Fotografien, auf denen man sieht, wie man damals in die Berge ging. Man kletterte nicht in den grellbunten Trikots, die heutzutage zum Sport dazu zu gehören scheinen, sondern mit Hut und mit Uhrkette im Gilet. Man war ja schließlich wer.
Heiss, Hans – Rudolf Holzer: Sepp Innerkofler. Bergsteiger, Tourismuspionier, Held, Wien – Bozen 2015 (auch in italienischer Sprache erschienen).