Julius Klinger und die Verlagsbuchhandlung Moritz Perles in Wien

Julius Klinger,1928

Der am 15. Dezember 1844 in Prag geborene Moritz Perles gründete seine Buchhandlung – nach mehrmaliger Abweisung seines Konzessionsansuchens wegen angeblicher Überfüllung Wiens mit derlei Gewerbe – im Jahr 1868. Am 15. März 1869 konnte er seine „Buch- und Kunsthandlung“ in der Inneren Stadt, Steindlgasse 2, feierlich eröffnen.1 Nach weiteren Umzügen und auf Grund des blühenden Geschäftganges suchte Perles größere Räumlichkeiten und zog im Jahre 1889 in ein eigenes Geschäftshaus in der Inneren Stadt, Seilergasse 4, wo die Firma bis 1938 auch beheimatet war. Die Jahre 1910 bis 1912 sahen eine rege Umbautätigkeit in den Buchhandlungen in der Wiener Innenstadt (Wilhelm Frick2, Manz, Halm und Goldmann u.a.), und Perles machte mit einer ersten baulichen Umgestaltung mit. Wie auch aus den Akten der Baupolizei in Wien (E.Z. 1154), also der MA 37, hervorgeht, kam es in der Seilergasse zum Umbau der Geschäftsräume und Erweiterung derselben (Parterre, Mezzanin und 1. Stock). 1924 kam es zu einem neuerlichen Umbau und zur Vergrößerung des Geschäftslokales durch eine „Zeitschriftennische“ (Abb. 1) und einem „Ausstellungsraum“ (Abb. 2).

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Für den Umbau engagierte die Firma Perles den angesehenen und vielgefragten Wiener Architekten Prof. Ernst Lichtblau (1883–1963), der auch Lehrer an der k.k. Staatsgewerbeschule war. Ausführende Firma war Anton Steyringer in Wien. Der Plan ist mit 30. Mai 1924 datiert, und daher kann man andere Angaben, wonach der Ladenumbau „um 1930“ stattfand, korrigieren.3 Die nächste Etappe des Aus- und Umbaus, diesmal der großen Schaufenster, erfolgte – ebenfalls nach Entwürfen von Ernst Lichtblau – im Jahre 1926 (Abb.3).

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Die Neugestaltung dürfte zum Renommee der Buchhandlung Perles beigetragen haben, denn anlässlich der „Österreichischen Woche“ (3. –11. November 1927) wurden die „großen Schaufenster“ von Ernst Lichtblau, in denen eine Auswahl österreichischer Verlagserzeugnisse zur Schau gestellt wurden, prämiert.4 Möglicherweise durch die Aufmerksamkeit um die neuen Geschäftsräume bzw. die Bücherstellagen in der Seilergasse veranlasst, erhielt Lichtblau 1926 den Auftrag, die Bücherei in einem neuen Bildungsheim in der Waidhausenstraße zu gestalten. In einem Zeitungsbericht konnte man Folgendes lesen: „Es besteht aus einem mit einfachsten Mitteln geschmackvoll eingerichteten Vortragssaal und einer vom Architekten Professor Ernst Lichtblau räumlich gestalteten kleinen Bücherei mit einer zwar noch nicht großen, aber sorgfältig ausgewählten Zahl von Büchern.“5 Die Buchwerbung der Firma Perles in der Innenstadt war allerdings nicht auf die großen, von Lichtblau gestalteten Schaufenster in der Seilergasse 4 beschränkt. Dafür schuf man einen „Schaukasten“, in dem allwöchentlich ein Querschnitt durch die neueste Literatur gezeigt wurde, und zwar in der Kärntnerstraße 43, unweit der Buch- und Kunsthandlung von Richard Lányi (Abb. 4).

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Die Zusammenarbeit zwischen der Firma Perles und dem Meister der Plakatkunst Julius Klinger (1876–1942) dürfte spätestens um 1923 begonnen haben. Dass Klinger – neben Arbeiten für mehrere Wiener Verlage wie z.B. E.P. Tal, Rob-Verlag (u.a. Die Muskete), Gerlach & Wiedling – für Perles tätig war6, ist – nicht zuletzt wegen des markanten „Bücherwurms“ – hinlänglich bekannt, aber dass er so viele verschiedene Arbeiten im Zeitraum bis 1932 schuf, bislang hingegen nicht. Am häufigsten war Klinger in der Haus- bzw. Kundenzeitschrift der Firma Perles Wiener Literarische Signale, die ab dem Frühjahr 1924 und bis zur „Winter-Nummer des Jahres 1937“ meist vier Mal im Jahr unter diesem Titel erschien, vertreten.

Der Vorgänger, Perles Kundenzeitschrift Literarischer Almanach für 1920, erschien erstmals zu Weihnachten 1919 im Jahr des 50-jährigen Firmenjubiläums. Der Umschlag, der einen älteren, bebrillten Leser im Ohrensessel neben einem Bücherregal und auf der Rückseite des Heftes ein Bücherregal ebenfalls in Brauntönen gehalten zeigt, wurde von Ernst Deutsch-Dryden (1887–1938) gezeichnet. Der Umschlag für die zweite Ausgabe (Literarischer Almanach II. Jahrgang für 1921) stammt ebenfalls von Dryden und zeigt einen männlichen Leser mit Monokel und Stock beim Lesen eines Buches. Auf der Rückseite des schmalen, 34-seitigen Heftes befindet sich ein Perles-Verlags-Signet mit einem stilisierten „P“, das ebenfalls von Dryden gestaltet wurde und das auch auf der Ausgabe 1922 aufscheint (Abb. 5). Der III. Jahrgang „für 1922“ war schließlich der letzte, für den Dryden zeichnete (Abb. 6).

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Die Hauszeitschrift wurde allerdings fortgesetzt, jedoch unter einem Namen, der dem originellen Wahrzeichen der Firma Perles entsprach, nämlich dem „Bücherwurm“, der im Maule die bekannte „P“-Marke trägt, und von nun an wurde Julius Klinger ständiger künstlerischer Mitarbeiter. Für diese einmalige Ausgabe des Bücherwurms. Ein kleiner, feiner Almanach mit literarischen Beiträgen bekannter Sammler (Abb. 7) zeichnete Klinger seinen sonst in schwarz-weißer Fassung (Abb. 8) gehaltenen Bücherwurm nun in Rot und Schwarz. Auf der letzten Umschlagseite befindet sich eine Variation der „P“-Marke in Rötlich-Orange mit dem Zusatz „Buchhaus“ Perles (Abb. 9).

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Abb. 10

 
Die ab 1924 erscheinenden Wiener Literarische Signale (Abb. 10) wurden Kunden auf Verlangen kostenlos zugestellt. Das Programm der Zeitschrift bestand darin, österreichische Schriftstellerinnen und Schriftsteller zu fördern und österreichische Verlage zu propagieren. Neben Mitteilungen und Anzeigen auch fremder Verlage brachte die Zeitschrift regelmäßig Selbstanzeigen bekannter Autorinnen und Autoren der Zeit, darunter Raoul Auernheimer, Hugo Bettauer, Max Brod, Egmont Colerus, Egon Friedell, Franz Karl Ginzkey, Paula Grogger, Enrica Handel-Mazzetti, Mirko Jelusich, Ernst Lothar, Heinrich Mann, Klaus Mann, Alfred Polgar, Felix Salten, Hanns Sassmann, Karl Tschuppik, Frank Thieß und Stefan Zweig. Die jeweilige Weihnachts-Nummer war (bis 1932) meist mit einer Farbzeichnung von Julius Klinger versehen. Offenbar tat sich die Buchhandlung noch 1932 schwer, potentielle Kunden in die richtige Gasse in der Innenstadt zu lotsen. So ist auch der Umschlag der Winter-Nummer des Jahres 1932 der Wiener Literarischen Signale von Julius Klinger zu verstehen. Klinger zeichnete (siehe Abb. 11) einen vereinfachten Routenplan. In einer Mitteilung an die Leser des Heftes heißt es: „Wo liegt die Buchhandlung Perles? Seit 1889 im eigenen Geschäftshause in der Seilergasse 4. Nicht Seilerstätte, auch nicht Spiegelgasse, wo sie oft gesucht wird, sondern Seilergasse, zwischen Graben und Neuem Markt. Professor Julius Klinger hat dies auf der ersten Umschlagseite graphisch auf die einfachste Formel gebracht.“

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Im Zeitraum 1924 bis 1932 hat Klinger insgesamt acht Covers gezeichnet, von denen sechs einen Bezug zu Weihnachten herstellen. Es begann im Jahr 1924 mit der Nr. 4 und Werbung für den „Weihnachts-Katalog“ und einem besonderen Hinweis auf „Bilderbücher und Jugendschriften“ (Abb. 12). Für Weihnachten 1925 schuf Klinger ein schlichtes Cover mit roten und schwarzen Streifen (Abb. 13).

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Das Motiv für 1926 zeigt links und rechts zwei vertikale rote Balken mit dem Wort „Perles“ Weiß auf Schwarz am unteren Balken (Abb. 14). In den Jahren 1927 (Abb. 15) und 1928 (Abb. 16) wählte Klinger einmal Rot, einmal Grün als Grundfarbe. Die Werbebotschaft lautete „Schenket Bücher!“.

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Auf dem Cover für das Jahr 1929 steht wieder ein richtiges Weihnachtsmotiv – eine brennende Weihnachtskerze mit Klingers markantem „P“ am Anfang des Namens Perles. (Abb. 17) Für das Cover des Jahres 1930 wählte Klinger ein überaus schlichtes Motiv: er teilte die Buchstaben „PER“ „LES“ abwechselnd in Rot-Schwarz auf (Abb. 18). Im folgenden Jahr wählte Klinger ein ebenso schlichtes Motiv in der Grundfarbe Violet und teilte die Buchstaben „PER“ und „LES“ übereinander auf (Abb. 19). Mit der erwähnten Winter-Nummer des Jahres 1932 endet Klingers Covergestaltung für die Wiener Literarischen Signale. Aber seine Präsenz in den Heften ist damit keineswegs erschöpft. So hat die Firma Moritz Perles eine Art Versandbuchhandel betrieben, d.h. sie war bereit, jedes inländische und ausländische Buch zu beschaffen und dem Kunden per Post zukommen zu lassen.

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Auch hierfür gab es eine eigene Werbeanzeige mit einer Zeichnung von „beflügelten“ Büchern, die an Kunden unterwegs waren (Abb. 20). Klingers Motiv mit den beflügelten Büchern wurde auch in einer kleineren Anzeige verwendet (Abb. 21). Auch die Postkarte, mit der man bei Perles Bücher bestellen konnte, nahm Klingers beflügeltes Buch-Motiv auf (Abb. 22).

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Seine stilisierte „P“-Marke wurde weiterhin in den Wiener Literarischen Signalen (und anderswo) eingesetzt, um die Rubrik der Neuerscheinungen einzuleiten, doch wurde ab der Winter-Nummer des Jahres 1932 Klingers „P“ aus nicht nachvollziehbaren Gründen durch eine normale Schrift ersetzt (Abb. 24). Eine der letzten Arbeiten Julius Klingers für die Verlagsbuchhandlung Moritz Perles – wenn nicht die letzte – ist eine Zeichnung für einen eigenen Faltprospekt, der im Dezember 1932 gedruckt worden sein dürfte und für Österreichs größten Kalenderverlag wirbt (Abb. 25).

 
Abb. 25

Abb. 25

Neun Jahre hindurch prägten die Zeichnungen Klingers das grafische Gesicht einer der bekanntesten und erfolgreichsten Wiener Buchhandlungen bis 1938. Leider ist das Wahrzeichen in der Seilergasse 4 längst verschwunden. Heute erinnert nur mehr eine im Jahr 1988 enthüllte Gedenktafel an die Firma Perles und deren ermordete oder vertriebene Inhaber und Mitarbeiter.

Bildquellen

Abb. 1: Wiener Literarische Signale (=WLS), 1924, Nr. 4, U 2. Weihnachts-Katalog der Buchhandlung Moritz Perles, Sitznische.
Abb. 2: WLS, 1924, Nr. 4, U 2. Weihnachts-Katalog der Buchhandlung Moritz Perles, Ausstellungsraum.
Abb. 3: WLS, 1924, Nr. 4, U 4. Julius Klinger, Der Bücherwurm am Geschäftshause.
Abb. 4: WLS, 1925, Weihnachtsnummer, U 3.
Abb. 5: Literarischer Almanach für 1922, U 4.
Abb. 6: Literarischer Almanach für 1922, U 1.
Abb. 7: Der Bücherwurm. Ein kleiner, feiner Almanach mit literarischen Beiträgen bekannter Sammler. V. Jahrgang für 1924, Titelblatt.
Abb. 8: Klinger-Logo für Perles, 1924.
Abb. 9: Der Bücherwurm. V. Jahrgang für 1924. U4.
Abb. 10: Titelkopf WLS, Winter-Nummer des Jahres 1932, S. 1.
Abb. 11: WLS, Winter-Nummer des Jahres 1932, U1.
Abb. 12: WLS, Nr. 4, 1924, U 1.
Abb. 13: WLS, Weihnachts-Nummer des Jahres 1925, U 1.
Abb. 14: WLS, Weihnachts-Nummer des Jahres 1926, U 1.
Abb. 15: WLS, Weihnachts-Nummer des Jahres 1927, U 1.
Abb. 16: WLS, Weihnachts-Nummer des Jahres 1928, U 1.
Abb. 17: WLS, Winter-Nummer des Jahres 1929, U 1.
Abb. 18: WLS, Winter-Nummer des Jahres 1930, U 1.
Abb. 19: WLS, Winter-Nummer des Jahres 1931, U 1.
Abb. 20: WLS, Weihnachts-Nummer des Jahres 1925, S. U 4.
Abb. 21: WLS, Sommer-Nummer des Jahres 1928, S. 11.
Abb. 22: WLS, Herbst-Nummer des Jahres 1928 (lose Seite mitgebunden).
Abb. 23: WLS, Sommer-Nummer des Jahres 1932, S. 3.
Abb. 24: WLS, Winter-Nummer des Jahres 1932, S. 3.
Abb. 25: Werbung für Kalender, 1933.
1 Zur Geschichte und zum Schicksal der Verlagsbuchhandlung Moritz Perles siehe u.a. Daniela Punkl: Verlag Moritz Perles, k.u.k. Hofbuchhandlung in Wien. Diplomarbeit Univ. Wien 2002, sowie Murray G. Hall: Epitaph auf den Verlag Moritz Perles in Wien, 1869–1938. Aus Anlaß des Todes seines Enkels, Paul S. Perles, am 9. Dezember 2001 in Northbrook, Illinois, U.S.A. In: Mitteilungen der Gesellschaft für Buchforschung in Österreich 2002–1, S. 12–17.
2 Näheres dazu Murray G. Hall: 145 Jahre Wilhelm Frick in Wien. In: Mitteilungen der Gesellschaft für Buchforschung in Österreich 2014–1, S. 57–70.
3 So etwa bei August Sarnitz: Ernst Lichtblau. Architekt, 1883–1963. Gestell und Gestalt im Raum. Reflexionen über ein Paradigma der modernen Architektur. Wien: Böhlau, 1994, S. 216, bzw. im Architektenlexikon Wien 1770–1945.
4 Wiener Literarische Signale, Weihnachts-Nummer des Jahres 1927, S. 1.
5 In: Arbeiter-Zeitung, 20.12.1926, S. 4. Die feierliche Eröffnung war am 18.12.1926. Das Projekt ist im Werkverzeichnis Lichtblaus nicht erwähnt.
6 Siehe dazu Bernhard Denscher: Die Linie unserer Zeit. Julius Klinger als Buchgestalter und Buchillustrator. In: Gerhard Renner †; Wendelin Schmidt-Dengler †; Christian Gastgeber (Hg.): Buch- und Provenienzforschung. Festschrift für Murray G. Hall zum 60. Geburtstag. Wien: Praesens 2009, S. 63–76.