„Im machtvoll entfesselten Strom des öffentlichen Lebens, dem kein Ufer und Damm mehr standhält, sind alle Methoden der Massenmitteilung üppig gediehen,“ befand der renommierte Kunstkritiker Max Osborn am 19. Januar 1919, dem Tag der ersten demokratischen Wahlen in Deutschland: „Die Volksrede unter freiem Himmel und die Kleinagitation der Straße, einst Unmöglichkeiten, wurden Dinge des Alltags. Flugblatt und Maueranschlag, früher gehemmt und geknebelt, überfluten die Stadt. Mit ihnen bemüht sich das politische Plakat, die Legende von der deutschen Papiernot Lügen zu strafen.“ (Vossische Zeitung)

Lucian Bernhard, Frauen! Sorget für Frieden und Brot! Plakat, Januar 1919, Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, © VG Bild-Kunst, Bonn 2018
Am 19. Januar 1919 fand die Wahl zur Deutschen Nationalversammlung statt, erstmals hatten dabei auch die Frauen das Stimmrecht. Am 9. November 1918 war der Rücktritt des Kaisers verkündet und die Republik ausgerufen worden. Am 30. November verordnete der ausschließlich aus Sozialdemokraten bestehende „Rat der Volksbeauftragten“, dass „in allgemeinen, unmittelbaren und geheimen Wahlen nach den Grundsätzen der Verhältniswahl“ die verfassunggebende deutsche Nationalversammlung gebildet werden solle. Wahlberechtigt waren „alle deutschen Männer und Frauen, die am Wahltag das 20. Lebensjahr vollendet“ hatten. Ursprünglich hatte man sich auf den 16. Februar 1919 als Wahltag geeinigt, an jenem Tag fanden übrigens in Österreich die ersten demokratischen Wahlen statt, doch dann wurde der Termin auf den 19. Januar 1919 vorverlegt.
Es waren äußerst turbulente und instabile Zeiten, diese Monate von der Novemberrevolution bis zur Konstituierung der Nationalversammlung am 6. Februar 1919 im Nationaltheater in Weimar. Schon Tage vor Ausrufung der Republik leitete der Kieler Matrosenaufstand den Umsturz ein, immer wieder gab es Streiks und Tumulte, die bisweilen bürgerkriegsähnliche Ausmaße annahmen.

Karl Jakob Hirsch, Wählt Spartakus! Jahreswende 1918/19, Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, © Universitätsbibliothek der LMU München, Nachlass Karl Jakob Hirsch
Im Hamburger „Museum für Kunst und Gewerbe“ ist derzeit die vom Plakatexperten Jürgen Döring kuratierte Ausstellung „Darum wählt! Plakate zur ersten demokratischen Wahl in Deutschland“ zu sehen. In der Schau wird am Beispiel von rund 75 Plakaten und 40 kleineren Druckwerken, darunter Flugblätter, Handzettel oder Aufkleber, die politische Situation in diesen Anfangsmonaten der deutschen Republik dargestellt.
Jürgen Döring zur Frage, ob es stilistische Unterschiede bei den Plakaten der verschiedenen Parteien und Gruppierungen gebe:
Einmal mehr wird in der Ausstellung der Quellenwert von Plakaten deutlich. Vermittelt werden hier nicht nur die harten Fakten, sondern die immanenten werbepsychologischen Strategien geben Aufschluss über die Stimmungen, die Nöte und auch die Ängste jener Zeit. Für die Geschichte der Mentalitäten haben Plakate einen großen, freilich immer noch unterschätzten, Aussagewert. Projekte wie die Hamburger Ausstellung sind geeignet, den dokumentarischen Wert von Plakaten, der weit über deren illustrierendes Element hinausgeht, wieder in das Bewusstsein von Forschung und Öffentlichkeit zu rücken.

Heinz Fuchs, Arbeiter: Hunger, Tod naht, Plakat des Werbedienstes der deutschen Republik, Ende 1918, © unbekannt, Foto: Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
Gleich nach dem Ende des Ersten Weltkrieges begann die neue linke Übergangsregierung mit Propagandamaßnahmen in ihrem Sinn eines geordneten Gemeinwesens und gegen den Einfluss radikaler Strömungen. Der „Werbedienst der deutschen sozialistischen Republik“ wurde gegründet, dessen Ziel vor allem „die Propagierung des sozialistischen Gedankens und der Internationale im In- und Ausland“ sein sollte.
Mehr als 100 Druckwerke wurden von dieser Institution herausgebracht, mehr als die Hälfte davon waren Plakate: „Selbstzucht! Einigkeit! Geschlossenheit“, „Tut Eure Pflicht arbeitet“ und „Anarchie ist Helfer der Reaktion und Hungersnot“ lauteten da die Parolen. Bemerkenswert an dieser großen Kampagne – und sie bildet einen wesentlichen Teil der Ausstellung – war deren herausragende grafische Qualität. Renommierte Künstler, wie Max Pechstein, Cesar Klein, Karl Jakob Hirsch oder Heinz Fuchs, brachten das Pathos des Expressionismus in die Bildwelt der politischen Propaganda ein. Allerdings stellt sich die Frage, ob sie mit dieser für damalige Begriffe äußerst avantgardistischen Gestaltungen die gewünschte Breite der Bevölkerung tatsächlich erreichen konnten.
Jürgen Döring zur Frage, was ihn an der Arbeit zur Ausstellung besonders fasziniert habe:
Weitere Hinweise:
Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg