Nun ist die Chronik des Kommunikationsdesigns in unseren Tagen angekommen. Der versprochene zweite Teil des Nachschlagewerks ist erschienen. Wie schon beim ersten Teil – der übrigens an dieser Stelle am 3. April 2018, also vor knapp einem Jahr, vorgestellt wurde – teilten sich Jens Müller und Julius Wiedemann die Herausgeberschaft. Das Konzept dieses Projekts hat sich bewährt: Chronologische Überblicke über jeweils ein Jahrzehnt, ein auf die Besonderheiten hinweisender einleitender Aufsatz, eine Doppelseite mit einem Kurzabriss der Design-Zeitgeschichte in 90–100 kleinen Abbildungen und dann Jahr für Jahr die herausragenden Kreationen mit dazwischen gestreuten Kurzaufsätzen sowohl über besonders innovative Köpfe und Büros als auch über Begriffe des Designs, die im jeweiligen Jahrzehnt auftauchen.
Somit kann Jens Müller in seiner Einleitung mit dem Titel: „Grafikdesign und so weiter“ gleich in medias res gehen. Er schreibt vom digitalen Wandel im Grafikdesign, der schon vor rund drei Jahrzehnten stattfand und vom Internet als neuem Massenmedium in den 1990er Jahren. Die Designszene erschloss sich neue Aufgabenfelder, so dass ihre Profession sehr verschieden wahrgenommen werden kann: „Rein ausführende Dienstleister, kreative Partner, strategische Berater oder visuelle Ideengeber, zuweilen auch als Künstler.“ Wobei sich die Situation da von einem aufs andere Mal vollständig ändern kann. Auftraggeber greifen in den Designprozess stärker ein, der Beruf ändert sich, nach einer neuen Rolle wird gesucht, die Autorenschaft wird ein wichtiges Thema. Der Designer bleibt nicht mehr nur Gestalter, er wird Herausgeber von Büchern und Magazinen, stellt Ausstellungen zusammen und produziert Filme. (Als Beispiel wird da der in Bregenz geborene Stefan Sagmeister angeführt, dessen multimediales Plädoyer für die Lust am Schönen, das er zusammen mit Jessica Walsh unter dem Titel „Beauty“ gestaltete, ja zur Zeit im Wiener MAK zu sehen ist.)
Müller weiß, dass der Begriff „Design Thinking“ nicht unumstritten ist, weil damit nicht nur gemeint ist, dass der Designer integraler Bestandteil neuer Projektentwicklung ist, sondern weil der Begriff auch als Chiffre für eine neue Managementmethode dient, „die mit kreativen Techniken und Abläufen aus der Designbranche arbeitet“. Wenn er dann vom klassischen Grafikdesign redet, muss er feststellen, dass es schwer ist, sich einen Überblick über alles Aktuelle zu verschaffen. In der Unmenge des Produzierten kann nur sehr schwer das gefunden werden, was nachhaltig wirksam bleiben wird. Und all das, was die Zukunft ermöglichen wird, geht man einmal von Virtual Reality, 3-D-Druck und künstlerischer Intelligenz aus, „können wir nur sehr bedingt erahnen“.
Bei den Bildern, es sind rund 3.500, stellen sich diesmal – ganz im Gegensatz zum ersten Band – keine nostalgischen Gefühle ein. Wir leben ja mit all dem, was da gezeigt wird, mit den Hinweistafeln auf den Autobahnen, den U-Bahn-Plänen und den Firmenlogos. Staunen setzt dann ein, wenn man darauf hingewiesen wird, wie lange es gewisse Designs oder Marken schon gibt, z.B. die Bildschirm-Icons des Mac-Betriebssystems seit 1984, die CD seit 1982, seit 1994 Amazon und seit dem Jahr darauf die DVD und eBay. Natürlich gibt es Ikonen, wie das Plakat für das Musical „Cats“, das Cover für die Beatles-LP vom Yellow Submarine oder die Logos von Fluglinien, von denen man nicht genau weiß, ob es sie noch gibt oder nicht.
Wenn Müller im ersten Band mit der Feststellung eröffnete: „Die Kenntnis des Metiers ist außerhalb der Szene nicht besonders ausgeprägt“, so tut er auf jeden Fall – auch in diesem zweiten Band – das Seine, um einen mit Ausdrücken und Bezeichnungen wie „Wild Typography, Flexible Branding, Indie Magazines“ usw. vertraut und bekannt zu machen. Im einleitenden Aufsatz über die 2010er Jahre, die er „das Zeitalter der sozialen Medien“ nennt, zeigt Müller anfänglich einschlägige Probleme auf, die durch die globale Vernetzung entstehen können, schließt aber dann doch eher optimistisch: „Die allgegenwärtige Nabelschau der Branche … trägt in vielen Fällen zu gewagten und innovativen Ansätzen bei. Es ist dabei spannend zu beobachten, dass sich neuartige visuelle Tendenzen nach wie vor lokal entwickeln können. Ebenso bleibt die fortschreitende technische Entwicklung ein steter Garant für neue Gestaltung.“
Blättert man dann ans Ende des Buches, findet man auf Seite 470 die Werke des kubanisch-amerikanischen Künstlers und Illustrators Edel Rodriguez mit denen er sich da an Donald Trump im wahrsten Sinn des Wortes ab-arbeitet.
Müller, Jens – (Ed.) Julius Wiedemann : The History of Graphic Design, Vol. 2 1960–today, Taschen Verlag, Köln 2018.