Lisl Weil – Blickfänger für den Zeitungskiosk

Lisl Weil beim Aufbau ihrer Ausstellung in der Buchhandlung Perles, 1935 (Foto: Otto Skall), alle Abbildungen: ANNO ÖNB

Für den Bildband „Frauen aus Wien“ porträtierte die Fotografin Alisa Douer 1999 Wienerinnen aus Kunst und Kultur im Rahmen des Projekts “Frauen sichtbar machen” der Stadt Wien, die nach dem März 1938 in die Emigration getrieben wurden.[1] Eine davon war Lisl Weil, die 1938 über die Niederlande in die Vereinigten Staaten flüchtete und ihr künstlerisches Schaffen in Österreich lange Zeit der Vergessenheit anheimfiel. Erstmals wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit wurde ihre Biografie 2016 im Zusammenhang mit der Ausstellung “Die bessere Hälfte. Jüdische Künstlerinnen bis 1938” im Jüdischen Museum Wien gerückt. Inzwischen gibt es einige Publikationen zu dieser Grafikerin.[2]

Lisl Weil (1910–2006)[3] dominierte lange Zeit das Erscheinungsbild der äußerst beliebten Kulturzeitschrift „Die Bühne“, einer Wochenschrift für Theater, Film, Mode, Kunst, Gesellschaft und Sport, von 1929 bis zum März 1938. Sie besuchte die legendäre Čižek -Jugendkunstklasse ab 1919, die Kunstgewerbeschule von 1926 bis 1930 und wurde dort auch mit dem Eitelberger-Preis[4] ausgezeichnet. Im Oktober 1929 erschienen die ersten Illustrationen der 19-jährigen Lisl Weil in der „Bühne“. Das innovative Gesellschaftsmagazin gehörte wie die Tageszeitung „Die Stunde“, für die Weil gelegentlich auch arbeitete, zum von Imre Békessy gegründeten Kronos-Verlag. Zweifelsfrei war „Die Bühne“ das avancierteste Massenmedium der damaligen österreichischen Bildpresse. Lisl Weils Skizzen zu den einzelnen Texten wirken improvisiert und schnell hingeworfen, gleichzeitig aber stilsicher und genau abgestimmt auf den Weißraum des Satzspiegels. Um die Jahreswende 1930/1931 stellte die Zeitschrift ganz im Gegensatz zum Trend der Zeit von kolorierten Fotografien auf grafisch gestaltete Cover um, gleichwohl blieb sie ein wichtiges Medium der Fotografie.[5] Im Juli 1931 erschien Lisl Weils erster von rund dreißig Magazinumschlägen für die Bühne. Oft korrespondierten die Motive mit dem Inhalt der Leitartikel. Insgesamt erschienen bis 1934 rund dreißig Coversujets von Lisl Weil. Die bunten Druckwerke mit ihren zumeist spitznasigen Frauengestalten auf der Front page waren ganz sicher ein Hingucker am Zeitschriftenkiosk. Darunter finden sich Entwürfe für die Salzburger Festspiele, Sommersujets für den Semmering, Venedig, die Côte d’Azur; die herbstliche Jagd, den Weihnachtseinkauf, die Faschingssaison, Eislaufen, Jazz, das Derby in der Freudenau oder ein Portrait von Greta Garbo in Form eines Filmplakates anlässlich der Premiere von „Menschen im Hotel“.

Illustration aus der „Bühne“, Oktober 1929

Ab 1930 gab es gelegentlich auch Beiträge von ihr, bei denen sie sowohl die Bilder als auch die Texte lieferte. Die Themen waren vielfältig: französische Mode, Schlankheitswahn, Kosmetiksalons, Shoppingflüge nach Paris, Sommerlaube auf der Insel Brioni, in Miami, St. Tropez und am Lido, Wintersport in St. Anton und Kitzbühel – alles Themen, die für „tout Vienne“ von Interesse waren. Sie gab in Text und Bild Französisch-Unterricht, berichtete immer wieder über den Semmering und das Salzkammergut, die Salzburger Festspielzeit, die Gschnasfeste im Künstlerhaus, die Filmdreharbeiten mit Paula Wessely, karikierte Hollywoodstars wie die Dietrich und die Garbo und illustrierte literarische Texte von Peter Hammerschlag, Claire Goll, Karel Čapek sowie Stefan Großmann. Sie bediente mit ihren visuellen Interventionen augenzwinkernd die kunstsinnige und zerstreuungssüchtige Wiener Gesellschaft der Zwischenkriegszeit ohne sie mit den Krisenerscheinungen aus Politik und Wirtschaft zu belästigen. Im zweiten Februarheft 1938 erschien die letzte Zeichnung von Lisl Weil, die einen Bericht ihrer Freundin, der Schriftstellerin Annemarie Selinko über einen gemeinsamen Besuch bei einer Damenschneiderin illustrierte.[6]

Titelblätter der „Bühne“ 1931/ 1932

In den 1930er-Jahren war sie Teil der Zinkenbacher Malerkolonie am Wolfgangsee und mit der Malerin Lisel Salzer (1906–2005) unternahm sie gemeinsame Reisen mit „Rucksack und Skizzenbuch“,[7] bei denen die beiden unzählige Zeichnungen und Aquarelle anfertigten. Ergebnis waren zwei gemeinsame Ausstellungen im Herbst 1937, eine im Ostrauer Kunstverein[8] mit dem Titel „Zwei Wiener Mädel sehen die Welt“ und die Schau „Lisel und Lisl“ in der Wiener Galerie Würthle. In der Tageszeitung „Die Stunde“ wurden ihre Arbeiten gelobt: „Lisl Weil hat einen genauen Blick für das Charakteristische, der sich bis zur Satire schärft; doch ist und bleibt sie bei aller Einsicht in das Komische, ja Abgeschmackte immer liebenswürdig und möchte viel eher portraitieren, ja schmeicheln.“[9] Und ein anderer Kritiker meinte, die Zeichnungen zeigten „eine Lisl-Weil-Welt, in der es bunt und hart und lächerlich zugeht, und die mit der liebevollen Gehässigkeit dargestellt ist von jemand, der sieht, was die andern erst zu sehen beginnen, wenn man es ihnen gezeigt hat.“[10]

Aktualisierte Version eines Essays, der erstmals 2016 erschienen ist:
Hoffentlich gefällt’s Ihnen bei uns in Wien. Jüdische Gebrauchsgrafikerinnen bis 1938. In: Andrea Winklbauer, Sabine Fellner (Hg.): Die bessere Hälfte. Jüdische Künstlerinnen bis 1938. Wien 2016, S. 134–147.

[1] Alisa Douer, Ursula Seeber: Frauen aus Wien. Ein Fotoband. Wien 1999, S. 110.
[2] Bernhard Denscher: Lisl Weil (1910–2006). In: B. D.: Grafikdesign aus Österreich. 38 Lebensläufe. Wolkersdorf 2024, S. 128-135. Weiters Julia Secklehner: The ABC of Women by Lisl Weil (1933). Artwork of the Month, October 2023.  In: Craace. Continuity/Rupture: Art and Architecture in Central Europe 1918-1939 https://craace.com/2023/10/30/artwork-of-the-month-october-2023-the-abc-of-women-by-lisl-weil-1933/ (28. 5. 2024). Julia Secklehner: Karikaturen und die Poesie des Tanzes zwischen Wien und New York. Auf den Spuren der transatlantischen Karriere(n) von Lisl Weil. https://viennatotheworld.com/de/cartoons-and-dancing-poetry-between-vienna-and-new-york/ (28. 5. 2024). Kathrin Pokorny-Nagel: Die Illustratorin Lisl Weil und ihre Vorstellung von einer emanzipierten Gesellschaftskritik. In: Elena Shapira, Anne-Katrin Rossberg (Hg.): Gestalterinnen. Frauen, Design und Gesellschaft im Wien der Zwischenkriegszeit. Berlin 2023, S. 164-176.
[3] Geboren als Ilse Elisabet Weiss am 22. Juni 1910 in Wien, adoptiert von Isidor Weil, gestorben als Elisabeth Lisl Marx am 5. Februar 2006 in New York. Sie emigrierte über die Niederlande in die USA und wurde dort zu einer erfolgreichen Kinderbuchautorin und -illustratorin, in Österreich nach 1945 hingegen geriet sie rasch in Vergessenheit. Matrikenamt der IKG Wien A/VIE/IKG/I/BUCH/MA/GEBURTSBUCH/66.
[4] Laut Archiv der Universität für angewandte Kunst, Wien.
[5] Vgl. Anton Holzer: Rasende Reporter. Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. Darmstadt 2014, S. 175–179.
[6] Annemarie Selinko: Frühling – im Kopf einer Schneiderin. In: Die Bühne (1938), Heft 446, S. 1f.
[7] Georg Steinmetzer (Hg.): Lisel Salzer. Ein Künstlerleben zwischen Wien und Seattle. Ausstellungskatalog, Museum Zinkenbacher Malerkreis. Wien 2003, S. 64.
[8] Ebd. S. 64, Einladungskarte abgebildet.
[9] P. Stf.: Zwei Wienerinnen. In: Die Stunde vom 18. September 1937, S. 4.
[10] zit. n.: Michael Martischnig: „Das sind die zwei Fräulein, die was schneller zeichnen als wie ein anderer fotographieren tut!“. In: Steinmetzer 2003, S. 110.