Alle, die sich mit der Geschichte des Grafikdesigns oder mit der Wiener Kunst um 1900 beschäftigen, kommen früher oder später zur Publikationsreihe „Die Fläche“. Diese gehört gemeinsam mit „Ver sacrum“ zu den wesentlichen Publikationsmedien der avantgardistischen Wiener Kunstszene zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Herausgegeben wurde sie zunächst vom Direktor der Wiener „Kunstgewerbeschule“, Felician von Myrbach, gemeinsam mit den Professoren Josef Hoffmann, Koloman Moser und Alfred Roller in zwölf Heften mit jeweils 16 Seiten. Erschienen ist sie im Verlag Anton Schroll & Co in Wien. Der ausufernde Untertitel der Schrift war schon Programm: „Entwürfe für decorative Malerei, Placate, Buch und Druck, Ausstattung, Vorsatzpapier, Umschläge, Menu- u. Geschäftskarten, Illustrationen, Tapeten, Schwarz-Weißkunst, Textiles, Druck- und Weberei-Schablonen, Bleiverglasungen, Intarsia, Stickerei, Monogramme, Kleiderschmuck etc. etc.“ Jahre später folgte die „Fläche II“ in zwei weiteren, diesmal von Bertold Löffler herausgegebenen, wieder jeweils 16 Blatt umfassenden Heften.
Die Herausgeber der „Fläche I“ publizierten bevorzugt Arbeiten ihrer Studentinnen und Studenten an der „Kunstgewerbeschule“. Ausnahmen bildeten das Heft Nr. 8, in dem eine Reihe von Plakaten renommierter Secessions-Mitglieder, von Gustav Klimt über Kolo Moser bis Alfred Roller, abgebildet sind, sowie das Heft Nummer 7 aus dem Jahr 1903 und das Heft Nummer 11 aus dem Jahr 1904, in denen Arbeiten von Schülerinnen der „Kunstschule für Frauen und Mädchen“ präsentiert wurden.
Bedeutende Künstlerinnen und Künstler der Wiener Moderne bekamen in der „Fläche“ ihre ersten Publikationsmöglichkeiten. Es sind Namen, die den Weg in die Kunstgeschichte fanden, wie etwa Max Benirschke, Marie Cyrenius, Hilde und Nora Exner, Leopold Forstner, Hermine Heller-Ostersetzer, Moritz Jung, Ludwig Jungnickel, Rudolf Kalvach, Anton Kling, Karl Krenek, Leontine Maneles, Nelly Marmorek, Emma Schlangenhausen, Viktor Schufinsky, Jutta Sika, Agnes Speyer, Maria Uchatius, Franz Wacik, Eduard Wimmer, Fanny Zakucka oder Franz Zülow – um nur einige zu nennen.
Angesichts der oft überbordend kommerzialisierten Popularität der Wiener Kunst um 1900 ist es erstaunlich, wie viele Bereiche dieses Themenfeldes noch einer genaueren Erforschung bedürfen. Dazu gehört auch „Die Fläche“, deren Datierung bis heute in Publikationen und Sammlungen sehr unterschiedlich und damit meist ungenau ausfällt. Dies obwohl bereits 2021 in einem Artikel auf Austrian Posters als auch in der eigenständigen Print-Publikation „Die Fläche und die Wiener Moderne“ die genauen Datierungen im Wesentlichen gegeben wurden. Die neue Publikation zu dem Thema „‚Die Fläche‘. Mustermappen der Moderne“ kann diese Datierungen nun noch präziser belegen.
Es ist ebenso erstaunlich, wie wenig über die Künstlerinnen und Künstler der „Fläche“ bis dato bekannt war. Dazu exemplarisch: Das Online-Lexikon „Artists of the World“ ist aus dem „Allgemeinen Künstlerlexikon“ (AKL) hervorgegangen und mit über 1,25 Millionen Einträgen die weltweit umfassendste biografische Datenbank zur bildenden Kunst. Trotz dieses generellen Anspruchs gibt es in gewissen Bereichen Lücken. So etwa gibt es keine oder lediglich rudimentäre biografische Angaben zu 29 Künstlerinnen und Künstlern, zu denen die nun erschienene Publikation „‚Die Fläche‘. Mustermappen der Moderne“ die vollständigen Lebensdaten liefert (Stand Mai 2025). Es sind dies:
Robert Freiherr von Bach, Hedwig Bartl, Adele Bettelheim, Luigi Braidotti, Giovanni Craglietto, Maria Ebert, Franz Exler, Helene Geiringer, Auguste Gorhan, Franziska Hein, Johanna Maria Hollmann, Ernst Hradetzky, Urban Janke, Hilda Kuchinka, Else Lott, Leontine Maneles, Nelly Marmorek, Magda Mautner von Markhof, Anton Mayer, Carola Nahowska, Johann Ofner, Emilie von Pokorny, Karl Pospischil, Johann Scharfen, Bruno Seuchter, Maria Uchatius (Zeiler), Ernst Franz Willig, Georg Winkler, Leopold Wutscher.
Bernhard Denscher: „Die Fläche“. Mustermappen der Moderne. Mit 106 Kurzbiografien. Aesculus Verlag, Wolkersdorf 2025. 108 Seiten, zahlreiche Farbabbildungen, 22×15,5 cm; Preis: EUR 29; ISBN 978-3-200-10452-5