Henry Steiner: „Eine sehr ‚weanerische’ Sensibilität“

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Henry Steiner verfügt über internationale Erfahrung und Reputation. Geboren in Wien, aufgewachsen in New York, erhielt er seine Ausbildung an der Yale University – wo er bei Paul Rand studierte – und, mit einem Fulbright Stipendium, an der Sorbonne. Steiner & Co., gegründet 1964 in Hong Kong, ist eines der weltweit führenden Brand Design-Beratungsbüros. Der Tätigkeitsbereich der Firma ist sehr umfangreich und umfasst Corporate Identity Programme, Firmenliteratur, Architekturgrafiken, Produktdesign, Verpackungsdesign, Buch- und Magazingestaltung sowie Banknoten. Zu den Kunden gehören EF Education First, Hong Kong Jockey Club, HSBC, Standard Chartered Bank und Ssangyong. Steiner hat mehrere Banknotenserien für Hong Kong gestaltet, sowie Münzen für The Singapore Mint.
Dieses beachtliche Oeuvre brachte auch berufliche Anerkennung mit sich: Steiner wurde Präsident der Alliance Graphique Internationale; Mitglied des AIGA, des „American Institute of Graphic Arts“; Ehrenmitglied von Design Austria und Mitglied des New York Art Directors Club. Er wurde zum „Hong Kong Designer of the Year“ ernannt, vom japanischen „Idea“ Magazin zum „World Master“ erklärt, und er ist einer von „Icograda‘s Masters of the 20th Century“. Das „Next“ Magazin nennt Steiner als eine der 100 einflussreichsten Persönlichkeiten in der Geschichte Hong Kongs. Steiner wurde für seine Leistungen im Bereich Design mit dem Goldenen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich ausgezeichnet und zum Ehrendoktor der Hong Kong Baptist University ernannt. Er ist Honorarprofessor an der „University of Hong Kong‘s School of Architecture“ und an der „Hong Kong Polytechnic University‘s School of Design“. Steiner ist Mitverfasser von „Cross-Cultural Design: Communication in the Global Marketplace“ (Thames & Hudson 1995). 1999 erschien, in chinesischer Sprache, die Monografie „Henry Steiner: Designer‘s Life“.

Henry Steiner, Ball Poster, 2008 Henry Steiner

Henry Steiner, Ball Poster, 2008                                                              Henry Steiner

Jianping He: Ich weiß, dass du in Wien geboren wurdest, in den USA groß geworden bist, dann dein eigenes Design-Unternehmen in Hong Kong gegründet hast. Wie lange lebst du nun schon in Hong Kong? Siehst du dich selbst als ein Designer Hong Kongs?

Henry Steiner: Ich lebe schon seit fünfzig Jahren in Hong Kong und habe dieses Jubiläum gerade mit einer Ausstellung von Fotografien in der Hanart Galerie gefeiert. Ich bin ein Designer, der in Hong Kong lebt und arbeitet. Was meine „kulturelle Staatsbürgerschaft“ betrifft, so bin ich gefühlsmäßig weitgehend Euro-Brite.

Jianping He: Was hältst du von den Designern, die direkt aus Hong Kong kommen? Wurdest du schon einmal von einem von ihnen inspiriert?

Henry Steiner: Nicht so, dass ich über meine Schulter blickte, um zu sehen, was sie als nächstes tun würden.

Jianping He: Du warst Grafikdesign-Absolvent an der Yale University und wurdest dort von Paul Rand unterrichtet. Welches war der Einfluss dieser professionellen Bildung auf deine Design-Karriere? Half er dir, die lokale Kultur Hong Kongs verstehen und aufnehmen zu können?

Henry Steiner: Rand hatte einen immensen Einfluss auf mich, weil er mich – ausgehend von nur vagen Vorstellungen – dazu brachte, mir über meine Berufung als Designer klar zu werden. Ich verdanke meine Karriere Yale und vor allem Paul. In meiner Arbeit habe ich mir eine Neigung zur Moderne bewahrt. Paul lehrte mich, dass Ideen, Recherche, Funktion und Kontrast wichtig sind. Diese Werkzeuge ermöglichten es mir, vor Hong Kong auch in Paris und New York meinen Beruf als Designer auszuüben. Ich habe das Gefühl, dass ich überall arbeiten kann, weil das Verständnis der jeweiligen regionalen Kultur die Grundlage dafür ist, Probleme zu lösen. (Nebenbei bemerkt vertrete ich eine strenge Trennung von Design und Selbstdarstellung, denn Letzteres empfinde ich als „Kunst“.)

Jianping He: Hong Kong ist die Verbindung britischer und chinesischer Kultur, weshalb sein Design zweisprachig sein muss. Ich denke, dein Verständnis für die chinesische Sprache kommt in deinen Arbeiten klar zum Ausdruck. Wie hast du diese, deine Erfahrungen gewonnen? Wurdest du dabei von bestimmten chinesischen Designern oder Künstlern inspiriert?

Henry Steiner: Wie oben schon erwähnt, ist vor der visuellen Kommunikation innerhalb einer Kultur das Verständnis für das jeweilige kulturelle Umfeld von essentieller Bedeutung. Es mag auch angemerkt werden, dass ein geschärftes Bewusstsein für die Umgebung wohl ein genetisch vererbter jüdischer Wesenszug ist und einen der Faktoren darstellt, die zum Überleben der Juden beigetragen haben. Künstler, mit denen ich mich besonders gut identifizieren kann, sind Ba Da Shan Ren, Chi Pai Shih und Wei Dong. Die Designer, deren Arbeiten ich mich besonders verbunden fühle, sind Xu Bing (in ihm sehe ich mehr einen Designer als einen Künstler) und Jiang Hua.

Jianping He: Abgesehen von deiner Verwendung chinesischer Zeichen ist mir aufgefallen, dass du eine ausgeprägte Sensibilität für die Kultur Chinas hast. Wie zum Beispiel bei deinem letzten Plakat, „Hong Kong Vienna Opera Ball“, bei dem du Li Bais Gedicht „Jianjinjiu“ angewandt hast – in chinesischen Buchstaben, welche in Klarlack auf schwarzen Hintergrund gedruckt wurden. Dies ist eine Verflechtung von Ost und West und zeigt ein tiefgehendes Verständnis der Kultur. Glaubst du, dass es tief unter den nationalen ästhetischen und kulturellen Vorstellungen von Ost und West viele Gemeinsamkeiten gibt?

Henry Steiner: Dieses Poster galt einem Wiener Opernball in Hong Kong, deshalb wollte ich die multikulturellen Gemeinsamkeiten zum Ausdruck bringen. Die Idee ‚Wein, Weib und Gesang‘ hat dazu geführt, dass Li Bai und Klimt ein und dasselbe Blatt teilen.

Jianping He: Bist du schon einmal auf Schwierigkeiten in der chinesischen Typografie oder im Setzen der Schrift gestoßen? Mir sind deine Sammlungen in deinem Studio aufgefallen – und tatsächlich verwendest du in einigen deiner Arbeiten oft Schriften wie im Holzdruck, die so gewissermaßen zwischen digitalem Text und chinesischer Kalligraphie liegen.

Henry Steiner: Nein, ich hatte nicht wirklich Probleme damit. Ich verwende Collagen oder, wie jetzt, digitale Einstellungen.

Jianping He: Du bist ein Designer aus dem Westen, der sich in den Osten vertieft, um beides ineinander zu integrieren, und der dabei eine eigene Ästhetik und einen eigenen Designstil entwickelt. Kannst du einige deiner diesbezüglichen Erfahrungen mitteilen?

Henry Steiner: Mit dem Wort „integrieren“ tue ich mir schwer. Wie ich schon in meinem Buch „Cross Cultural Design“ eindringlich beschrieben habe, glaube ich an Kontraste (dank Rand) und lehne die Idee von Hybridisation oder Fusion ab (oder finde diese langweilig).

Jianping He: Die „Integration“ basiert genau genommen auf einem etablierten Verständnis verschiedener Kulturen. Wie du bereits erwähnt hast, „ist vor der visuellen Kommunikation innerhalb dieser Kultur das Verständnis für das jeweilige kulturelle Umfeld von essentieller Bedeutung“ und unter dem Konzept der Globalisierung müssen Designer dazu in der Lage sein, andere Kulturen zu verstehen.
Wurdest du von deutschem Grafikdesign inspiriert?

Henry Steiner: Dazu zählen Deutsche wie Loesch, Pierre Mendel, Gunter Rambow. Meine anderen deutschstämmigen Inspirationen kommen von Herbert Leupin, Armin Hofmann, Jan Tschichold, Karl Gerstner, und ganz besonders von Henry Wolf, der eine sehr „weanerische“ Sensibilität hatte.

Jianping He: Was meinst du mit „weanerisch“? Und glaubst du, dass es einen deutschen Einfluss auf das Design in Hong Kong gibt?

Henry Steiner: Das ist „wienerisch“ wie es im Dialekt ausgesprochen wird, sprich „weanerisch“. Als ich hierher kam, gab es kein wirkliches Verständnis für anspruchsvolles Grafikdesign, keine Auseinandersetzung damit. Das meiste war banale „kommerzielle Kunst“. Es gab lange Zeit kein Bewusstsein für, beispielsweise, das Bauhaus – oder gar die Wiener Werkstätte oder das Schweizer Design der Nachkriegszeit.

Jianping He: Im Nachwort von Haruki Murakamis Roman „Norwegian Wood“ (dt. „Naokos Lächeln“) schreibt der Autor, dass er das Buch in Südeuropa verfasst habe. Aus der Distanz hatte er eine sensiblere und feinfühligere Art und Weise über sein Heimatland zu denken, was hilfreich für seine Kreativität war. Als ich fern von meinen Wurzeln als Designer tätig war, wurde ich sensibler für die eigene Muttersprache, für meine Heimat, die Flüsse, die Berge, die ich in der Ferne vor mir sah.
Begünstigt eine fremde Umgebung auch deine kreative Arbeit?

Henry Steiner: Wenn du dich in einem fremden Spiegel betrachtest, bekommst du sowohl mehr Distanz als auch mehr Bewusstsein in Bezug auf das Unverwechselbare deines Charakters. Man sagt, dass man eine fremde Sprache lernt, um die eigene besser schätzen zu können.

Jianping He: Nationale Identität und Globalisierung scheinen zwei einander entgegengesetzte Konzepte zu sein. Egal ob in Hong Kong oder Berlin, Grafikdesigner lösen sich langsam von den Techniken der 80er, 90er – von Pinsel, von Stiften, von Dunkelkammern, Reprotechniken usw. Sie bedienen sich der Annehmlichkeiten der Computertechnik und der Visualisierung über universell verfügbare Software, wie Photoshop und Illustrator. Hat dies das Design letztendlich vereinheitlicht? Angesichts dieser Tendenz – was wird daraus entstehen?

Henry Steiner: Ich glaube, dass das Phänomen, von dem hier die Rede ist, auf die digitale Revolution zurückzuführen ist und weit über die Besorgnisse der älteren Grafiker hinausgeht. Wir alle erfahren den massivsten gesellschaftlichen Umbruch seit Gutenberg. Wenn ich mir die internationalen Proteste ansehe, wie etwa den arabischen Frühling oder die amerikanischen Proteste gegen den Kapitalismus, so bin ich beeindruckt von der Uniformität ihrer Plakate, vom allgemeinen Gebrauch der englischen Sprache, von der Gleichheit ihrer Nachrichten via Twitter oder Videos; selbst die Art sich zu kleiden ist austauschbar. Fraglos werden in der Zukunft nationale Merkmale künstlich zugunsten des Tourismus aufrechterhalten werden. Und ich bekomme das Gefühl, dass, so wie für Fotografen und Journalisten, auch für uns Designer harte Zeiten kommen. Jeder, der die entsprechende Software zu benutzen versteht, kann ohne professionelle Qualifikation eine angemessene Leistung bieten. Und für die meisten Kunden zählt eher der Preis als die Qualität.
Ich glaube nicht, dass Design ein aussterbender Beruf wird, aber ich habe das Gefühl, er ist in Gefahr. Es ist eine faszinierende, herausfordernde Zeit und ich freue mich auf die weiteren Entwicklungen. In der Zwischenzeit bin ich dankbar für die Grundlagen, die ich in der Schule und in meiner frühen Ausbildung gelernt habe.


Erstmals auf Englisch veröffentlicht: hesign (publishing and design) (Hrsg.): DeSein. German Graphic-Design from Postwar to Present (1945-1990), Hong Kong 2011, (Interview S. 282-285).

Für „Austrian Posters“ überarbeitete Fassung von Henry Steiner. Erstveröffentlichung in deutscher Sprache, Übersetzung von Julia Hilbert.

Gedankt wird Steiner & Co für die Genehmigung zur Publikation des Artikel auf „Austrian Posters“ und René Grohnert für seine Vermittlung dieses Beitrages.