„Ueberall vor den Plakaten bildeten sich Ansammlungen…“: Das Plakat als Kommunikationsmedium im Wien des Ersten Weltkriegs

Vor der plakatierten Kriegserklärung

Nachdem seine „kaiserliche und königliche Apostolische Majestät“ Kaiser Franz Joseph ein „Allerhöchstes Handschreiben und Manifest Allergnädigst zu erlassen“ geruhte, in dem der Monarch kundtat: „Mit ruhigem Gewissen betrete Ich den Weg, den die Pflicht Mir weist“ – und damit seinen „treuen Völkern“ einigermaßen verschlüsselt mitteilte, dass er Serbien den Krieg erklärt hatte, erschien ebendieses Schreiben am 29. Juli 1914 nicht nur auf den Titelseiten der wichtigsten Wiener Zeitungen, sondern wurde auch in Form von zahlreichen Plakaten verbreitet. Das allgemein vorherrschende Empfinden in „dieser großen Zeit“[1] zu leben, führte umgehend zu einer intensiven Sammlertätigkeit, die zur Folge hatte,  dass die 62 mal 96 Zentimeter große Affiche schon bald sehr selten war. Die Österreichische Staatsdruckerei, die das Manifest produzierte hatte,  stellte daraufhin verkleinerte Versionen her, die sie in den Verkauf brachte.[2]

Die getragene Abgehobenheit der kaiserlichen Erklärung wurde noch am selben Tagen durch einen plakatierten Aufruf des Wiener Bürgermeisters Richard Weiskirchner konterkariert, der die wahren Probleme des Alltagslebens schon zu Kriegsbeginn deutlich werden lässt: „Wie ich den heutigen Berichten des Marktamtes entnehme, hat auf einzelnen Märkten und in Geschäftsläden der Bezirke eine geradezu unerhörte und durch nichts gerechtfertigte Preissteigerung wichtiger Konsumartikel stattgefunden. Ich sehe mich veranlaßt, gegen ein derartiges eigennütziges Treiben meine mahnende Stimme zu erheben und an den Gemeinsinn aller Bürger zu appellieren, daß sie nicht den unvermeidlichen Notstand, den ohnehin jeder Krieg im Gefolge hat, durch solche Akte verschärfen.“[3]

Während an diesem 29. Juli 1914 an verschiedenen Orten der Stadt patriotische Kundgebungen stattfanden, kam es auf den Märkten aufgrund der exorbitanten Preiserhöhungen zu tumultartigen Protesten von Seiten der Bevölkerung: Auf dem Rudolfsheimer Markt etwa wurde  ein Verkaufsstand zerstört und auf dem Naschmarkt ein Händler verprügelt.[4] Am selben Tag berichtete die „Neue Zeitung“, dass die städtische Zentralsparkasse durch „massenhafte Affichierung eines Plakates“ dem Ansturm der um ihre Einlagen besorgten Sparer begegnet sei: „Aus dem beruhigenden Inhalte geht hervor, daß nach völkerrechtlichen Vorschriften Spareinlagen der Geldinstitute als absolut sicher gelten müssen, abgesehen davon, daß die Gemeinde Wien selbstverständlich für alle Einlagen bei der Zentralsparkasse die volle Haftung übernahm.“[5]

Plakate waren somit schon in diesen ersten Kriegstagen ein enorm wichtiges Kommunikationsmittel, weil sie sich direkt an die Bevölkerung richteten, ohne dass dafür, wie etwa beim Erwerb einer Tageszeitung, bezahlt werden musste. Deutlich wird dies auch bei der Schilderung des „Fremden-Blattes“ über die Aufnahme des allgemeinen Mobilisierungsbefehls: „Als gestern in den frühen Nachmittagsstunden die ersten unkontrollierbaren Nachrichten von der allgemeinen Mobilisierung ins Publikum drangen, gab es bald da und dort Gruppen von Leuten, die genaueres erfahren wollten. Aber erst in den späten Stunden des Nachmittags erhielten die Gerüchte ihre offizielle Bestätigung durch die Affichierung des allgemeinen Mobilisierungsbefehles. Ueberall vor den Plakaten bildeten sich Ansammlungen, die den Text genau studierten.“[6]

Ob es sich um amtliche Kundmachungen handelt, um Sammelaufrufe, um den Appell, im Vorgarten Gemüse zu pflanzen, oder um die Aufforderung, am 30. Juli bei der Rückkehr des Kaisers von seiner Sommerresidenz Bad Ischl nach Wien auf der Route zwischen dem Penzinger Bahnhof und dem Schloss Schönbrunn Spalier zu stehen – die Anschlagzettel bieten eine Art seismografisches Protokoll des Lebens der Menschen im Ersten Weltkrieg. Alfred Polgar schrieb dazu in einer Rückschau: „Alle den Krieg angehenden Plakate, mit denen in den letzten vierundeinviertel Jahren die Straßen Wiens austapeziert waren, beisammen: das gäbe eine schöne Chronik der Zeit. Alle acht Wochen gab es ‚Musterungskundmachungen‘, denen, wie dem Scharlach die Nierenentzündung, ‚Einberufungskundmachungen‘ folgten. Bei jeder frischen Kriegserklärung aber träufelte etwas ‚an mein Volk‘ herzstärkend von den Straßenmauern.“[7] Kurt Tucholsky, Polgars Kollege bei der „Weltbühne“, hatte, was Deutschland betraf, eine ähnliche Sicht, als er 1919 schrieb: „Man sollte eine Ausstellung machen: Alte Plakate. Und darin müßten alle die bunten Fetzen Papier aus der Kriegszeit ausgestellt sein, mit den vollen Namen ihrer Anfertiger und Besteller.“[8]

Mehr noch als die Textplakate drücken die vielen „bunten Fetzen Papier“ die Gefühlslage der Bevölkerung in einer Weise aus, wie dies kaum andere Quellen aus der damaligen Zeit zu vermitteln imstande sind.[9] Als das „erste österreichische Kriegsplakat“[10] im Sinne einer illustrierten Affiche bezeichnete der Sammler und frühe Plakatexperte Ottokar Mascha ein von Adolf Karpellus entworfenes Blatt, mit dem die Gemälde-Ausstellung „Unser Kaiser“, die vom 4. November 1914 bis zum 2. Februar 1915 im Militärkasino am Wiener Schwarzenbergplatz zu sehen war, beworben wurde. Es ist bemerkenswert, dass der interessierte Zeitzeuge Mascha gerade diese Arbeit, die eine rosengeschmückte Kaiserbüste zeigt, die von einer schwarzhaarigen Frau umschmeichelt wird, als das „erste“ Kriegsplakat in Erinnerung zu haben meinte. Denn schon vor der Affichierung dieser Ausstellungsankündigung gab es illustrierte Plakate mit Kriegsbezug. Maschas Wertung hängt wohl mit der symbolischen Bedeutung der Darstellung zusammen, und tatsächlich fokussierte sich in den ersten Kriegswochen der österreichische Patriotismus sehr stark auf das Bildnis von Kaiser Franz Joseph, der – so schien es vielen – die einzige sinnstiftende Gemeinsamkeit der vielen Völker der Monarchie darstellte. So wurden nach Bekanntwerden der Kriegserklärung bei den spontanen patriotischen Kundgebungen in Wien neben schwarzgelben Fahnen auch große Bildnisse des Kaisers durch die Stadt getragen.[11] Tausende von Ansichtskarten, Marken und Kalender mit dem Porträt des Kaisers, oft in Verbindung mit jenem des deutschen „Waffenbruders“ Kaiser Wilhelm, wurden aufgelegt.[12] Auch das Thema der Ausstellung „Unser Kaiser“ war konsequenterweise das Bildnis des Herrschers und hatte einen sehr propagandistisch verherrlichenden Ansatz, wie aus einer Besprechung der Tageszeitung „Reichspost“ deutlich wird: „Die ausgestellten 85 Gemälde stellen durchwegs Episoden aus dem Leben unseres Kaisers dar, Festlichkeiten, welche durch die Anwesenheit des Monarchen ausgezeichnet waren, Bilder aus dem Familienleben. Sie begleiten unseren Kaiser auf den Reisen in die verschiedensten Kronländer der Monarchie und veranschaulichen den Jubel der Völker, welcher überall dem geliebten Herrscher entgegenbraust.“[13]

Neben der Allgegenwärtigkeit des kaiserlichen Bildnisses in allen öffentlichen Gebäuden und Amtsräumen gab es allerdings auch eine eigenartige Tabuisierung des Monarchen-Porträts. Offenbar wagte man sein Bildnis nur in einem offiziellen und repräsentativen Rahmen zu verwenden, Plakate, die dem Unbill des Straßenlebens ausgesetzt waren, erschienen da nicht als ein der Würde des Motivs adäquates und damit standesgemäßes Medium. So konnte Karpellus auf seinem Plakat offenbar nur eine Skulptur, die Franz Joseph darstellte, abbilden, nicht aber den Kaiser selbst. Es sind kaum Plakate aus dem Ersten Weltkrieg erhalten, auf denen – wie dies bei späteren Kriegs-Regimes üblich war – direkt mit dem Bildnis des Herrschers geworben wurde. Überhaupt gab es nur wenige von staatlichen Stellen herausgegebene illustrierte Propaganda-Plakate, mit denen die feindlichen Mächte in derart aggressiver Weise attackiert wurden, wie dies in unzähligen gehässigen Karikaturen auf Ansichtskarten und in Zeitschriften geschah.[14]

Am schnellsten reagierten die Wirtschaftswerbung und die Veranstaltungsszene mit zum Teil skurrilen Bildplakaten auf die neue Situation. Da wurden „patriotische Produkte“, wie Zigarettenpapier der Marke „Helden“, angeboten oder Aufführungen, wie ein „Hundetheater“ mit Darstellungen aus dem Militärleben – „Lachstürme“ versprechend – beworben.

Eine bemerkenswerte Verbildlichung des Krieges zeigte die umfangreiche Serie an Kriegsanleihe-Plakaten, die für jene insgesamt acht Anleihen warben, die von der österreichischen Regierung  zur Finanzierung der enormen Kriegskosten herausgebracht wurden. Die erste wurde im Herbst 1914 aufgelegt und hatte ohne besondere Werbemaßnahmen einen großen Erfolg, lediglich Zeitungsartikel und Textanschläge kündigten die Aktion an. Richard Weiskirchner, der christlichsoziale Bürgermeister von Wien, wandte sich mit der plakatierten Erklärung „Kriegsanleihe zu zeichnen ist Pflicht jedes Staatsbürgers und zugleich ein gutes Geschäft“ an die Bevölkerung. Da die Regierung den Krieg nicht nur über Anleihen, sondern auch mit einem durch eine hemmungslose Banknotenproduktion bedingten Währungsverfall finanzierte, verloren die Käufer der Anleihen ihr gesamtes darin investiertes Geld. Im Nationalratswahlkampf 1923 wurde dann sogar ein Reprint des Aufrufes von Bürgermeister Weiskirchner auf einem sozialdemokratischen Plakat mit dem Zusatz „Lass Dich nicht zum zweitenmal betrügen“ verwendet. Ein anderes von Victor Th. Slama gestaltetes Plakat aus demselben Wahlkampf zeigt einen Kriegsinvaliden mit seinem Kind vor einer Plakatwand, die voll von Schriftdokumenten aus dem Ersten Weltkrieg ist – inklusive Kriegsanleihe-Plakat.

Ab der zweiten Kriegsanleihe, die im Mai 1915 aufgelegt wurde, setzte eine Bewerbung über illustrierte Plakate ein, die zunächst von einzelnen Banken, ab der dritten Anleihe auch zusätzlich von staatlicher Seite produziert wurden. Es zeigte sich bald, dass es für die Gestalter gar nicht so leicht war, positiv belegte Visualisierungen für den Krieg zu finden. Allegorische Darstellungen von Künstlern wie Arnold Böcklin, Alfred Kubin oder Max Klinger aus den Jahren vor 1914 hatten den Krieg als grausame, bedrohliche Macht präsentiert.[15] Nun aber kreierten versierte Grafiker, wie Adolf Karpellus, Maximilian Lenz, Max Liebenwein oder Heinrich Lefler, für die österreichischen Kriegsanleihe-Plakate eine Strategie der optischen Verharmlosung: Wie auch viele damalige Autoren verlegten sie die Kämpfe in ein Zeitalter des mythischen Rittertums, in dem Herolde die neue Anleihe verkündeten oder eine hohe Investition in das beworbene Finanzprodukt einem siegreichen Kampf mit dem Drachen gleichkam. Während Millionen Menschen in einem industrialisierten Massenkrieg starben, wurde in diesen Illustrationen die Idylle einer harmlosen Sagen- und Märchenwelt beschworen. Dieser Aufgabenstellung entsprechend ist bei vielen vor 1914 noch modern orientierten Grafikern ein neuer Konservativismus mit einer stilistischen Rückbesinnung auf die Formensprache des Historismus zu beobachten. Eine Ausnahme machte eine von Julius Klinger entworfene Ankündigung für die achte Kriegsanleihe, die von einer für diese Epoche untypischen Modernität war. Klinger hatte vor dem Krieg in Berlin gelebt und dort mit einigen anderen die Prinzipien des modernen Sachplakates erarbeitet. Er war auch als Mitarbeiter des k. und k. Kriegspressequartiers seinen ästhetischen Prinzipien treu geblieben und gestaltete auf weißem Untergrund in einer sehr reduzierten Formensprache die Figur eines Drachens, dessen Kopf bereits von sieben Pfeilen durchbohrt ist und in dessen Hals ein achter und offenbar tödlicher Pfeil steckt, der die neue Kriegsanleihe symbolisieren soll. In eine andere Richtung ungewöhnlich ist ein Plakat des früheren Präsidenten der Secession und erfolgreichen Bühnenbildners Alfred Roller. Er entwarf für die Kampagne der siebenten Anleihe das realistische Bild eines Soldaten im Schützengraben, der von den Strapazen der zermürbenden Stellungskämpfe deutlich gezeichnet ist und der die Betrachter fragt „Und Ihr?“. Wollte die Darstellung vordergründig durch Mitleid mit dem bedauernswerten Landser an die Investitionsfreudigkeit der Bevölkerung appellieren, so konnte das Bild auch als anklagendes Dokument gegen den Krieg gelesen werden. Wie sehr gerade diese Darstellung aus dem Jahr 1917 die mittlerweile ernüchterte Gesinnung der Menschen widerspiegelte, belegt der Umstand, dass von Anleihe zu Anleihe der Werbeaufwand erhöht werden musste und besonders die letzte Kampagne im Jahr 1918 nicht mehr mit militärischen Erfolgen, sondern mit Friedensversprechungen operierte. An der Entwicklung der Kriegsanleihe-Plakate ist in feinen Nuancierungen ein Mentalitätswandel von der patriotischen Euphorie im Jahr 1914 bis zur Kriegsmüdigkeit und Friedenssehnsucht zu spüren – und dennoch lief diese Werbung auf einer symbolisch überhöhten Ebene ab.

Der sozialen und damit stimmungsmäßigen Realität kamen die vielen affichierten Spenden- und Sammelaufrufe noch bedeutend näher. Bereits am 1. September 1914 nahm das „Hilfskomitee zur öffentlichen Ausspeisung der Bedürftigen“ in Wien seine Arbeit unter dem Titel „Das Schwarz-Gelbe Kreuz“ auf. Die Organisation brachte eine Reihe von Plakaten heraus, auf denen sie vor allem den Verkauf des Metallabzeichens „Schwarz-Gelbes Kreuz“ um zwei Kronen, aber auch andere Produkte, wie „Kriegssäcke“ oder Flaschenverschlüsse mit dem Signet der Organisation bewarb, wobei die Texte dafür bisweilen von einer irritierenden Naivität waren: „Der Weinfreund, der diesen Flaschenstöpsel verlangt, ist zugleich ein Menschenfreund.“[16]

Noch bekannter – weil für die Spendenden meist kostspieliger – war die in Zeitungen und mit Plakaten beworbene Aktion „Gold gab ich für Eisen“, bei der die Bevölkerung Edelmetall ablieferte und dafür einen Eisenring mit dem Aktionsmotto erhielt. Engagierte Patrioten, die viel von ihrem Geld in Kriegsanleihen investierten und auch hier mittaten, besaßen in der Phase der Hyperinflation zu Kriegsende und in der Nachkriegszeit dann kaum mehr reale Werte, für die sie etwa Lebensmittel erwerben konnten.

Wie erschreckend schlecht Österreich-Ungarn auf den Krieg vorbereitet war, beweisen die Plakate für die Hilfsaktion des Kriegsfürsorgeamtes, die unter dem Namen „Kälteschutz“ lief. Denn schon zu Beginn des Winters 1914 zeigte sich, dass die Soldaten nur unzureichend mit der nötigen warmen Kleidung ausgestattet waren. Das Kriegsfürsorgeamt organisierte noch weitere, mit Plakaten beworbene, Aktionen, die ebenfalls in bedrückender Weise deutlich machen, wie schlecht die Versorgung der Soldaten schon zu Anfang des Krieges war: „Liebesgaben“, wie Lebensmittel, Getränke, Rauchwaren, Kleider, Wäsche, Stoffe, Bettzeug und Spitalsartikel wurden da vom Kriegsministerium von der Bevölkerung erbeten. Im Laufe des Krieges nahmen auch die Benefizaktionen zugunsten des Invalidenfonds des Kriegsfürsorgeamts zu. Aufgrund der vielen Verletzungen mussten die Bemühungen um die Versehrten intensiviert werden, was man Bildplakaten mit  drastischen Darstellungen von Bein- und Fußprothesenträgern entnehmen kann.

Dass die Versorgungslage auch in Wien immer schlechter wurde, belegen viele Dokumente aus jener Zeit, darunter auch Plakate, auf denen Kinder um Schuhe und Wäsche bitten oder gar betteln mussten. Ein Art „Festival des Mangels“ wurde vom Mai bis August 1918 bei der „Ersatzmittel-Ausstellung“ im Prater, sinnigerweise auf dem Gelände der Kaiserwiese, zelebriert. Als Reaktion auf den durch die Kriegsverhältnisse immer drückender werdenden Rohstoffmangel in Österreich wurde in der Schau gezeigt, wie man mit Surrogaten einiges sinnvoll ausgleichen konnte: „Es ist ja schon des öfteren festgestellt worden,“ schrieb Klara Mautner dazu in der „Arbeiter-Zeitung“, „daß es in unserer eisernen Zeit sehr viel Blech gibt. Mit einem höflicheren Ausdruck nennt man es Ersatzmittel, und es ist sicherlich ein Glück und Segen, daß wir sie besitzen, wenngleich es kein Glück und Segen bedeutet, daß man sie erfinden mußte.“[17] Doch als ob es keinen Mangel an Rohstoffen gegeben hätte, wurde eine opulente Werbung für die Veranstaltung entfaltet. Es gab nicht weniger als drei verschiedene Farbplakate, deren Entwürfe von den renommierten Grafikern Alfred Offner, Mihály Biró und Fritz Gareis stammten. In den Illustrationen versuchten die Entwerfer, einerseits mit Pathos und andererseits mit Galgenhumor über die Ausweglosigkeit der Situation hinwegzutäuschen – aber der Zusammenbruch ließ nicht lange auf sich warten

Der Krieg war am 11. November 1918, am Vorabend der Ausrufung der Republik, zwar schon zu Ende, aber die Monarchie bestand noch, und es waren wieder – so wie zu Beginn des Krieges – eine Extraausgabe der „Wiener Zeitung“ und ein Plakat, mit denen sich der Regent – nun war es Kaiser Karl –  zum letzten Mal, an „seine Völker“ wandte: „Nach wie vor von unwandelbarer Liebe für alle Meine Völker erfüllt, will ich ihrer freien Entfaltung Meine Person nicht als Hindernis entgegenstehen. Im voraus erkenne ich die Entscheidung an, die Deutschösterreich über seine künftige Staatsform trifft. Das Volk hat durch seine Vertreter die Regierung übernommen. Ich verzichte auf jeden Anteil an den Staatsgeschäften.“ Um zirka 15 Uhr hatte Kaiser Karl diese Erklärung, die keine formelle Thronentsagung war, unterschrieben – während sie in der Staatsdruckerei bereits produziert wurde. Es gehört zu den letzten Seltsamkeiten des alten Österreich, dass trotz des enormen Zeitdrucks und der Dynamik der Ereignisse dieses Plakat von der Staatsdruckerei unter Verwendung einer damals hochmodernen Schrift typographisch aufwändig gestaltet wurde. Die Arbeiter-Zeitung kommentierte das Manifest dennoch trocken: „Oesterreich ist tot und Karls ‚Kundgebung‘ ist eigentlich nicht mehr als der Totenschein.“[18]

Denscher, Bernhard: „Ueberall vor den Plakaten bildeten sich Ansammlungen…“, in: Pfoser, Alfred – Andreas Weigl (Hrsg.): Im Epizentrum des Zusammenbruchs. Wien im Ersten Weltkrieg, Wien 2013, S. 494ff.

[1] Karl Kraus, In dieser großen Zeit, in: Die Fackel, 5.12.1914, S. 1-19.
[2] Die österreichischen Kriegsmanifeste, in: Kriegssammler-Zeitung, 8.12.1918 -22.1.1919, S. 2.
[3] Aufruf!, Plakat, Wienbibliothek, P 7896.
[4] Sprunghafte Verteuerung der Lebensmittel!, in: Reichspost, Morgenblatt, 29.7.1914, S. 9.
[5] Ein Plakat der städtischen Zentralsparkasse, in: Die Neue Zeitung, 29.7.1914, S. 4.
[6] Das Wiener Straßenbild, in: Fremden-Blatt, 1.8.1914, S. 5
[7] Alfred Polgar, Plakate, in: Hinterland, Berlin: Ernst Rowohlt 1929, S. 141.
[8] Ignaz Wrobel (=Kurt Tucholsky), Alte Plakate, in: Die Weltbühne, 18.09.1919, S. 366.
[9] Vgl. auch Bernhard Denscher, Gold gab ich für Eisen. Kriegsplakate 1914 – 1918, Wien/München : Jugend & Volk 1987, S. 8.
[10] Ottokar Mascha, Kriegsplakate, in: Internationale Sammler-Zeitung, 1.1.1917, S. 2.
[11] Patriotische Kundgebungen in Wien, in: Fremden-Blatt, 28.7.1914, S. 11.
[12] Hans Weigel/Walter Lukan/Max D. Peyfuss,  Jeder Schuß ein Ruß. Jeder Stoß ein Franzos. Literarische und graphische Kriegspropaganda in Deutschland und Österreich 1914-1918, Wien: Christian Brandstätter 1983.
[13] J.R., Gemäldeausstellung „Unser Kaiser“, in: Reichspost, 4.11.1914, S. 9.
[14] Marianne Jobst-Rieder/Alfred Pfabigan/Manfred Wagner, Das letzte Vivat. Plakate und Parolen aus der Kriegssammlung der k.k. Hofbibliothek, Wien: Holzhausen 1995,  S.47.
[15] Siegmar Holsten, Krieg, in: Uwe Fleckner/Martin Warnke/Hendrik Ziegler (Hg.), Handbuch der politischen Ikonographie II, München: C.H. Beck 2011, S. 58f.
[16] Bernhard Denscher, Das Schwarz-Gelbe Kreuz. Wiener Alltagsleben im Ersten Weltkrieg, Wien 1988, S. 11.
[17] Klara Mautner, Die „Ema“, in: Arbeiter-Zeitung,  23.6.1918, S. 6.
[18] Kaiser Karls Abdankung, in: Arbeiter-Zeitung, 12.11.1918, S. 5.