Deutsche Werbegrafik

Detail aus dem Buchcover (Gestaltung: Eva Dalg)

„Die Gesamtheit aller Werbebilder spiegelt das Gesicht unseres Daseins wider“ – mit diesem Zitat von Walter Funkat beginnt Anita Kühnel ihren Beitrag für den von ihr herausgegebenen Band „Schrift, Bild, Zeichen. Werbegrafik in Deutschland 1945 – 2015“. Siebzig Jahre gesamtdeutscher Geschichte werden in der Publikation subtil beleuchtet und mit den besten Beispielen deutschen Grafikdesigns illustriert. Kühnel ist Kunsthistorikerin und war lange Zeit Leiterin der Sammlung Grafikdesign in der Kunstbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin. Nun hat sie mit dem Band eine beeindruckende Gesamtschau deutscher Werbegrafik der letzten siebzig Jahre vorgelegt. Anhand des Werbegeschehens der ehemaligen BRD und DDR lässt sich nicht nur eine Design-, sondern auch eine sehr facettenreiche Wirtschafts- und Mentalitätsgeschichte Deutschlands nachzeichnen. Sehr zutreffend wird auch die deutsche Publizistin Verena Lueke zitiert, die in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vor einigen Jahren vermerkte: „Unsere wahren Leitsysteme sind die Bilder der Alltagswelt. In sechzig Jahren Bundesrepublik haben die Designer mehr für das Selbstverständnis der Deutschen getan als alle anderen Berufsgruppen.“ Und dies gilt wohl nicht nur für Deutschland, sondern auch für viele andere Länder und Kulturen. So zutreffend diese Analyse von Lueke ist, so selten wird sie in dieser Deutlichkeit ausgesprochen.

Somit liefert das neue Buch von Anita Kühnel aufschlussreiche Dokumente zur Befundung der jüngeren deutschen Geschichte. Da spannt sich der Bogen von Wiederaufbau-Appellen der unmittelbaren Nachkriegszeit über die emanzipatorischen Bewegungen der 1960er Jahre bis zum Kreativboom der Kunst- und Kulturszene, der bis in die Gegenwart reicht. Und gerade auf dem Gebiet des Kulturplakates zeigt sich auch, welch hervorragendes Niveau die Werbegrafik in der DDR erreichen konnte, was besonders in dem Beitrag von Sylke Wunderlich über die Film- und Theaterplakate deutlich wird. Ebenso spannend und wertvoll ist der Artikel von Michael Lailach über „Das neue Buch. Werbung für die Taschenbuchreihe“. Übersichtlich und in konziser Form werden da die Designerinnen und Designer der wichtigsten Taschenbuchreihen aus Ost und West vorgestellt. Anhand der Oeuvres von Anton Stankowski und Herbert W. Kapitzki wird von Frederik Schikowski das „Funktional-konstruktive Grafikdesign der 1950er bis 1970er Jahre“ beleuchtet. Eine Serie von Interviews, die Ricarda Holz und Anita Kühnel mit einer Reihe bedeutender deutscher Grafikdesigner geführt haben, komplettiert das umfassende Werk, das aus Anlass von Anita Kühnels Abschied in den Ruhestand erschienen ist. Der Direktor der Kunstbibliothek, Moritz Wullen, fasst die Qualitäten der Publikation und ihrer Herausgeberin in seinem Vorwort folgendermaßen zusammen: „Es ist der Blick einer Kennerin, einer Forscherin und Netzwerkerin, die unterschiedlichste Versionen von Deutschland und ‚deutscher‘ Grafik erlebt hat – Versionen, welche die nachfolgende Generation nur aus Geschichtsbüchern kennt: die Welt vor und nach 1989, sowie die Welt vor und nach der digitalen Revolution. Es ist also auch die Perspektive einer Zeitzeugin, welche die Geschichte des Grafikdesign live erlebt und kuratorisch mitgestaltet hat. Ihr über die Schultern schauen zu dürfen, ist ein ganz besonderes Privileg. Und genau das ermöglicht sie uns mit diesem Buch.“

Kühnel, Anita (Hrsg.): Schrift, Bild, Zeichen. Werbegrafik in Deutschland 1945 – 2015, Dortmund 2016.