Adolf Karpellus – ein Wiener Maler des Fin de siècle

Ehepaar Karpellus

Die folgende Arbeit stellt bewusst eine sehr persönliche Sicht auf das Leben des Künstlers Adolf Karpellus dar. Als Enkelin des Malers berichte ich nicht über Fakten, die aus den Lexika bekannt sind, sondern das, was ich aus den Erzählungen meiner Eltern und aus den 40 Briefen von Adolf Karpellus an seine Braut bzw. junge Frau weiß, die zum Glück erhalten sind. Diese Briefe, die erst nach dem Tod meiner Eltern in den 90er Jahren in meine Hände gelangt sind, haben mich erst dazu gebracht, mich mit diesem interessanten Vorfahren zu beschäftigen. Außer diesen Briefen und Erzählungen sind meine Hauptquelle die Dokumente im Archiv des Wiener Künstlerhauses.

Biografisches

Adolf Karpellus hat eine für den  Sohn eines  österreichischen K.u.K. Offiziers typische Biografie – sie beginnt fast wie eine Wiener Operette: Sein Vater, Joseph Karpellus, verliebt sich als österreichischer Offizier bei einem Einsatz im besetzten Mailand in eine Italienerin. Diese wird von ihrem Vater wegen ihrer standhaften Liebe zu einem „Feind“ enterbt und verstoßen. Sie schlägt sich irgendwie nach Wien durch und die beiden müssen bei Kaiser Franz Joseph persönlich um eine Heiratserlaubnis bitten, die sie auch erhalten. Der Kaiser soll zu der hübschen Antonietta Lucca sehr galant gesagt haben, er könne seinem Offizier eine so schöne Frau nicht verweigern. Diese Begegnung mit dem Kaiser war für Antonietta eine kostbare Erinnerung bis zu ihrem Tod im hohen Alter. Das Ehepaar wird dann zu verschiedenen Garnisonen in den Balkanländern versetzt. Sie bekommen vier Söhne. Der jüngste, Adolf, kommt  1869 in Neu Sandoz/Galizien zur Welt. Später leben sie dauerhaft in Wien.

Joseph Karpellus stirbt früh und Antonietta zieht die Buben alleine groß. Drei von ihnen ergreifen ebenfalls die Militärlaufbahn, Adolf ist jedoch wegen einer starken Sehschwäche nicht dafür geeignet. Er studiert Malerei in Paris und an der Wiener Kunstakademie.

Adolf Karpellus heiratet Adelinde Falnbigl, eine Tochter aus der wohlhabenden Kaufmannsfamilie Falnbigl (ein bekanntes Wiener Kaufhaus trägt noch heute diesen Namen). Die junge Künstlerfamilie ist auf finanzielle Unterstützung durch den Schwiegervater angewiesen. Dieser hat für die Kunst im Allgemeinen und für den mittellosen Maler-Schwiegersohn im Besonderen wenig Verständnis. „Dolo“ – so der in der Familie und unter Freunden allgemein gebräuchliche Rufname des Künstlers – äußert sich seinerseits  sehr kritisch über „den Geldmenschen“ Falnbigl.  Hier treffen zwei total verschiedene Welten aufeinander.

Abb. 1: Adolf Karpellus in seinem Atelier um 1900

Adolf Karpellus leidet sehr darunter, dass er zum Erhalt der Familie ungeliebte Auftragsarbeiten übernehmen muss. In späteren Jahren hat neben anderen Problemen die ständige Geldnot zu Krisen in der Ehe geführt. Nach dem frühen Tod von Adolf Karpellus im Jahr 1919 erhielt die Witwe noch jahrelang finanzielle Unterstützung vom Wiener Künstlerhaus.

Aus der Ehe von „Dolo und Lindschi“, wie sie sich zärtlich in den oben genannten Briefen nennen, gehen zwei Söhne hervor: mein Vater Kurt und sein Bruder Wolfgang. Beide werden stark geprägt von der künstlerischen Atmosphäre im Elternhaus. Aus Geldmangel müssen sie und ihre Mutter häufig für den Vater Modell stehen. Daran und an die interessanten Gespräche über das Wesen der Kunst, erinnerte sich mein Vater noch im hohen Alter gerne. Von den beiden Söhnen gibt es sechs Enkel und eine große Schar von Urenkeln. Die künstlerische Begabung ist bei einigen Nachkommen merkbar vorhanden, keiner hat sie aber zum Beruf gemacht.

Adolf Karpellus im Wiener Kunstleben

Wichtig war für Adolf Karpellus der Kontakt zu verschiedenen Künstlergruppen. So gehörte er den „Hallodris“ an (Zusammenschluß von Intellektuellen, gegründet 1891, betrieben Gesellschaftskritik in scherzhafter Form) und war Gründungsmitglied des „Siebenerclubs“ (Künstlervereinigung, gegründet 1895). Diese trafen sich regelmäßig im Café Sperl, was dort noch heute im Hausprospekt dokumentiert wird. In Scherzgedichten über die einzelnen Hallodri-Mitglieder heißt es: „Vor Karpellus hüte dich, er tanzt und mimt und musizieret – am gefährlichsten ist er, wenn er dich karikieret“. Er war also mehrfach begabt, seine Theatersketche sollen Lachstürme hervorgerufen haben.

Die meisten Mitglieder des Siebenerclubs  schlossen sich der „Wiener Secession“ an. Damit geriet Adolf Karpellus in das Spannungsfeld zwischen den rebellierenden Künstlern der Secession und den traditionellen des Wiener Künstlerhauses. Mein Vater erinnerte sich an aufgeregte Debatten zu diesem Thema in seinem Elternhaus. Adolf Karpellus entschied sich ganz bewusst für die Traditionalisten und wurde 1905 Mitglied im Wiener Künstlerhaus. Interessant sind einige Seitenhiebe auf die Secessionisten in seinen Karikaturen in der humoristischen Zeitschrift „Figaro“ (siehe Abb. 2).

Abb. 2: „Im Atelier eines Secessionisten“, Figaro 22.7.1899

Im Künstlerhaus war er in mehreren Ämtern engagiert (siehe Aichelburg, Das Künstlerhaus und seine Künstler, 2003) und konnte hier seine Bilder ausstellen und zum Teil auch verkaufen. Außer den Jahresausstellungen führte das Künstlerhaus auch die damals berühmten Künstlerhausfeste durch (Schützenfeste, Silvesterfeiern und vor allem die Karnevals- oder Gschnasfeste, die jährlich unter einem bestimmten Motto stattfanden und im Wiener Gesellschaftsleben eine nicht unbedeutende Rolle spielten).

Die Dekorationen und Bühnenausstattungen schufen die Künstler des Künstlerhauses. Darüber gibt es in der zeitgenössischen Presse ausführliche und interessante Berichte, aber nur wenig Bildbelege, da die Dekorationen nach den Festen versteigert beziehungsweise vernichtet wurden. Ich hatte das Glück zwei Postkarten zu finden, die die Karpellus-Dekorationen für das Gschnasfest  von 1910, das  unter dem Motto „2000 Jahre Karikatur“ stand, abbilden (siehe Abb. 3).

Abb. 3: Einladung zum Gschnasfest im Jahr 1910

Vielfalt in den Werken von Adolf Karpellus

Beeindruckend ist die Vielfalt seiner Werke und seiner Techniken. Außer den bereits genannten Dekorationsmalereien schuf er (soweit ich ungefähre Zahlen ermitteln konnte) cirka 120 Gemälde, über 150 Plakate, diverse Illustrationen, zahlreiche Postkarten, kleine Genrebildchen und über 300 Karikaturen.

Seine persönliche Vorliebe galt seinen Gemälden. Er bemühte sich, sich vom markart’schen Pomp und Schwulst zu distanzieren, zu vereinfachen, das Wesentliche zu suchen. Für ein Bild, das seine geliebte italienische Mutter darstellt, erhielt er die „Goldene Staatsmedaille“. Es war ihm immer unverkäuflich und hängt in meinem Wohnzimmer. Kaum ein Gast betritt diesen Raum ohne eine spontane Freude über dieses Bild zu äußern (siehe Abb. 4: „Meine Mutter“).

Abb. 4: “Meine Mutter”

Aber im Allgemeinen muss man sagen, dass er in seinen Gemälden sehr traditionell war und keine eigene, unverkennbare Bildsprache gefunden hat. Auch hat man als heutiger Betrachter Probleme mit dem Pathos der allegorischen Figuren, die er so liebte, wie zum Beispiel „Melancholie“, „Wollust“, „Laster“ und Ähnliches.

Ganz anders ist es mit seinen Plakaten. Hier tragen die Arbeiten unverkennbar seine Handschrift und sind in den Ausdrucksmitteln durchaus modern, seine Auseinandersetzung mit dem Jugendstil ist hier unverkennbar. Das bekannteste ist der „Fritzelackbub“, ein mit seinem Farbtopf auf den Bauch gestürzter  Bub (Modell: mein Vater), der noch heute das Logo der Firma „Fritzelacke“ ist (siehe Abb.5).

Da es über die Plakate von Adolf Karpellus immer wieder Ausstellungen und schon mehrere Artikel  gibt (z. B. Bernhard Denscher 2014: Adolf Karpellus, im Online-Magazin Austrian Posters) möchte ich hier nicht näher darauf eingehen.

Links: Abb. 5: Der Fritzelackbub / Rechts: Abb. 6: Illustration zum Roman „Ekkehard“ von V. v. Scheffel

Von den in den Quellen erwähnten zahlreichen Illustrationen konnte ich außer einigen Einzelblättern zu verschiedenen Themen drei Zyklen ausfindig machen: 1. Ein großes Blatt mit mehreren Szenen aus dem Leben des Ungarnkönigs Mathias Corvinus (sehr feine Zeichnungen, fast im Stile Ludwig Richters) 2. Einen bunten, romantischen Bildzyklus zum Roman „Ekkehard“ von Victor v. Scheffel) 3. Skizzenhafte, markante Tuschezeichnungen über den Sieg des slowenischen Nationalhelden Ravbar über die Türken.

Interessant sind drei äußerst figurenreiche Zeichnungen, die Adolf Karpellus sozusagen als Bildreporter für die Zeitung „Über Land und Meer“ ( 26. Juni 1898, S.89 f.) schuf, sie stellen Szenen aus dem Jubiläumsumzug zum Schützenfest  dar (siehe Abb. 7: “Wagen der Austria“).

Abb. 7: Jubiläumsumzug zum Schützenfest „Wagen der Austria“

Die Postkarten werden noch heute im Postkartenhandel im Internet häufig angeboten und waren in der ganzen österreichischen Monarchie im Umlauf, wie die Poststempel beweisen. Es sind zum Teil Reproduktionen seiner Gemälde, ein Großteil aber Auftragsarbeiten, zum Beispiel für den Deutschen Schulverein, die Kriegsfürsorge und andere. Zu diesen zählen auch verschiedene Serien: Künstlerporträts, Wiener Tanzszenen, Trachten aller österreichischen Kronländer, Illustrationen von Schubertliedern, Soldatenbilder (zum Beispiel Abschied nehmende oder heimkehrende Landser), Szenen aus dem Alltagsleben in der Bretagne (die Adolf Karpellus während seines Studiums in Paris besuchte), sogar Weihnachts- und Neujahrskarten. Sie sind von sehr unterschiedlicher künstlerischer Qualität.

Diese Arbeiten nannte Adolf Karpellus „Brotkunst“, er musste die Aufträge zum Unterhalt der Familie annehmen, liebte sie aber nicht – das sieht man ihnen oft auch an, sie sind zum Teil unter seinem künstlerischen Niveau. Offenbar war er auch vom Geschmack der Auftraggeber abhängig, manchmal sind die Grenzen zum Kitsch eindeutig überschritten.

Links: Abb. 8 : “Auf Wiedersehen Kindi”, Skizze auf einem Brief an seine Frau / Rechts: Abb. 9: “Naseputzen”, Original (im Besitz der Autorin)

Erwähnen möchte ich noch seine außerordentliche Begabung für kleine, erzählende Genrebildchen, die ich in seinen Skizzen und vor allem den schon genannten Briefen an seine Braut beziehungsweise Ehefrau gefunden habe. Sie sprechen in ihrer Herzlichkeit, Lebendigkeit und ihrem Humor unmittelbar an (siehe Abb. 8,9 und 10).

Abb. 10: „Mädchen am Brunnen“, Original (im Besitz der Autorin)

In letzter Zeit habe ich mich hauptsächlich mit den Karikaturen von Adolf Karpellus beschäftigt. Dank der vollständigen Digitalisierung der Zeitschrift „Figaro“  durch die Wiener Nationalbibliothek konnte ich alle Jahrgänge von 1895 bis 1905 durchblättern und fand die stattliche Anzahl von 300 Karpellus-Karikaturen. Ich möchte sie lieber „humoristische Zeichnungen“ nennen, denn sie verzerren nicht, sie sind nicht bissig, auch nicht politisch, sondern befassen sich ausschließlich mit gesellschafts- und sozialkritischen Themen des Bürgertums in der Zeit des Niedergangs des Kaiserreiches und des Ersten Weltkriegs. (Hier möchte ich auf meinen Artikel: „Adolf Karpellus – Karikatur als Gesellschaftskritik“ bei Austrian Posters, 2017, verweisen). Auch bei diesen humoristischen Zeichnungen beeindruckt  immer wieder das handwerkliche Können, die Liebe zum Detail, der Humor, die Erzählfreude und die fast liebevolle Darstellung menschlicher Schwächen. Ich plane deshalb eine Auswahl der besten dieser Zeichnungen zu veröffentlichen und hoffe, dafür Interesse wecken zu können, vor allem auch, weil sie als Zeitdokument äußerst interessant sind.

Hiermit möchte ich diesen kurzen Abriss über das Leben und Wirken eines für das Fin de siècle typischen Wiener Künstlers abschließen und ihn damit ein wenig in das Licht der Öffentlichkeit stellen.