Ein Haus mit langer Geschichte

Haus der Geschichte Österreich, Ausstellungsansicht (Alle Fotos: B. Denscher)

„Ich glaube, das gute Österreichische […] ist besonders schwer zu verstehen. Es ist in gewissem Sinne subtiler als alles andere, und seine Wahrheit ist nie auf Seiten der Wahrscheinlichkeit“, konstatierte Ludwig Wittgenstein einmal. Diese immer wieder zitierte Sentenz kommt einem angesichts der schwierigen und umständlichen Projektentwicklung des nunmehr eröffneten „Hauses der Geschichte Österreich“ in den Sinn.

Bereits 1946 forderte der damalige Bundespräsident Karl Renner ein „Museum der Ersten und der Zweiten Republik“, das pflichtschuldigst noch im selben Jahr in der Wiener Hofburg eröffnet wurde – und nach dem Tod des Präsidenten auch wieder selig entschlummerte. Erst in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre kam wieder Dynamik in die Entwicklung, als der damalige Stadtschulratspräsident Kurt Scholz als Nutzung für das an der Ringstraße, nahe dem Parlament, gelegene Palais Epstein ein „Museum der Republik“ vorschlug. Seitdem beschäftigten sich Bundeskanzler, Ministerinnen und Minister mehr oder wenig engagiert und unter Beauftragung immer wieder neuer Studien mit der Projektidee. 2014 fand Minister Josef Ostermayer eine Art „österreichische Lösung“: Dem bereits fix geplanten „Weltmuseum Wien“ in der Hofburg sollten Budgetmittel und Raum weggenommen werden, um so dem erklärten Ziel eines österreichischen Zeitgeschichtemuseums näher zu kommen. Zu diesem Zeitpunkt hätte diese lange Geschichte noch einen vertretbaren Ausgang nehmen können, denn die für die Österreich-Exegeten zur Verfügung stehende Fläche sollte inklusive der zugehörigen Treppenhäuser 3000 Quadratmeter betragen.

Im Herbst 2016 verkündete jedoch der neue für das Projekt zuständige Minister Thomas Drozda eine einschneidende Reduktion des verfügbaren Raumes auf nur noch 1800 Quadratmeter. Der Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirates für das Museum, Oliver Rathkolb, lobte die Kürzung damals laut der Tageszeitung „Der Standard“ als eine „hervorragende Lösung in budgetär engen Zeiten“ und setzte nach: „1.000 Quadratmeter mehr oder weniger würden keine Rolle spielen, ein kreativer Direktor könne das wettmachen.“ Anfang 2017 betraute Johanna Rachinger, die Direktorin der Österreichischen Nationalbibliothek, in deren Verbund das „Haus der Geschichte“ angesiedelt wurde, die Historikerin Monika Sommer mit der Leitung des Unternehmens.

Letztendlich steht nunmehr für die Darstellung der Geschichte der Republik Österreich ein Raum von 750 Quadratmetern zur Verfügung – oder, wie dies das für die Gestaltung der Schau verantwortliche Architektenteam BWM auf den Punkt bringt: „100 Jahre Geschichte auf 60 Laufmetern“. Aus dem „Haus der Geschichte“ wurde ein Raum, den man eher als ein „Geschichtskabinett“ bezeichnen könnte. Der Kunstexperte Gerald Matt sprach – durchaus passend – von einem „Häuschen der Geschichte“. Der großspurige Name der Institution – „Haus der Geschichte Österreich“ – war für Direktorin Sommer bei der Realisierung des Projekts sicher eine zusätzliche Belastung, da er wesentlich mehr erwarten lässt, als bei dem derart begrenzten Platzangebot möglich war. Erschwerend war außerdem der knappe zur Verfügung stehende Zeitraum, in dem alles erarbeitet werden musste.

Doch nun wurde die Schau am 10. November 2018 termingerecht vor dem 100. Jahrestag der Ausrufung der Republik Österreich eröffnet. Und es ist schon erstaunlich, wie sich Sommer und ihr junges, ambitioniertes Team – hier sind vor allem Birgit Johler, Georg Hoffmann und Stefan Benedik zu nennen – der nahezu unmöglich wirkenden Herausforderung gestellt haben.

Zwei Ausstellungen sind es geworden, die nun präsentiert werden, nämlich die Hauptschau „Aufbruch ins Ungewisse – Österreich seit 1918“ und „Nur die Geigen sind geblieben. Alma und Arnold Rosé“.

In der Hauptschau wurden auf knappem Raum nicht weniger als 1905 Objekte untergebracht, eine Materialfülle, die bereits für Kritik gesorgt hat. Doch weniger Content hätte wiederum für vielfältige Nachfragen, warum dieses oder jenes nicht Berücksichtigung fand, gesorgt. So ist nun eine sehr dichte, durchgehend interessante und zu weiteren Reflexionen anregende Ausstellung entstanden. Der visuellen Kommunikation der wechselnden Zeiten wird dabei viel Raum gegeben. „Macht! Bilder!“ lautet der Titel einer Installation, die entlang der 60 Meter langen Wand chronologisch durch die Jahre führt: „In der oberen Reihe erläutern Reklamesujets – oft erstmals im Originalformat gezeigt – wie politische Kultur und Werbung zusammenhängen“, so die Ausstellungsverantwortlichen: „Im unteren Bereich stellen 57 Stationen vertraute und weniger bekannte Bilder aus der Geschichte der letzten 100 Jahre zur Diskussion und laden die BesucherInnen ein, mitzuwirken. Die Installation macht erfahrbar, dass die Wahrnehmung von Gegenwart und Vergangenheit stark von Bildern bestimmt wird. Diese geben die Realität jedoch nicht neutral wieder, sondern werden immer aus einer bestimmten Perspektive und Position heraus gemacht.“ Plakate bilden dabei gleichsam den Basso continuo zu der detailreichen und – im wahrsten Sinne des Wortes – anschaulichen Präsentation.

Dennoch, das Ganze als „Haus der Geschichte Österreich“ der Öffentlichkeit zu verkaufen, ist ein offensichtlicher Etikettenschwindel. Hätte man die Schau als das präsentiert, was sie tatsächlich ist, nämlich als eine interessante und sehenswerte Ausstellung der Österreichischen Nationalbibliothek zur österreichischen Zeitgeschichte, dann hätten alle ProtagonistInnen einen uneingeschränkten und verdienten Erfolg verbuchen können. Doch so waren die Erwartungen zu hochgesteckt.

Wenn man nach dem Besuch der Schau über die habsburgische Prunkstiege das „Haus der Geschichte“ in der Hofburg, also im „Haus der Habsburger“, verlässt, fällt einem unwillkürlich jene Charakteristik der Habsburger ein, die Franz Grillparzer in seinem Drama „Ein Bruderzwist in Habsburg“ dem späteren Kaiser Matthias in den Mund legt und die offenbar auch noch nach 100 Jahren Republik zur DNA dieses Staates Österreich gehört: „Das ist der Fluch von unserm edeln Haus: Auf halben Wegen und zu halber Tat mit halben Mitteln zauderhaft zu streben.“

Weitere Hinweise:
Haus der Geschichte Österreich