„Total Manoli“

Hans Rudi Erdt, Plakat für Manoli, um 1910 (Detail)

Über 200 Titel hat Hermann Simon bereits in der Reihe „Jüdische Miniaturen“ des Verlags Hentrich & Hentrich herausgegeben. Somit herrscht dort Vielfalt vor: Die Biografien von Sigmund Freud und Theodor Herzl sind genauso enthalten wie die von Hermann Leopoldi und Towje Kleiner. Band 229 ist dem Zigarettenfabrikanten Jacob „Manoli“ Mandelbaum gewidmet. Rainer Immensack, ein Fachmann für deutsche Tabakliteratur, hebt in seinem Büchlein besonders dessen Genie als Designpionier hervor.

Jacob Mandelbaum, geboren 1859 im heutigen Polen, hatte in einer russischen Fertigungsstätte eine Ausbildung abgeschlossen und war – als er 24-jährig nach Berlin kam – bereits Tabakfachmann. 1894 begann er selbständig in einem Zimmer in der Nähe des Alexanderplatzes Zigaretten zu produzieren und setzte so den Beginn einer faszinierenden Karriere: „Manoli“ war sein Spitzname und auch die werbewirksame Markenbezeichnung für seine Produkte. Neben den Zigaretten-Produzenten aus Havanna, Russland, Ägypten und Hamburg war Mandelbaum der einzige lokale Berliner Hersteller und Manoli bei der Pariser Weltausstellung 1900 die einzige dort vertretene deutsche „Cigarettenfabrik“. Mit dem Manoli-Rad, einer kreisrunden, durch hunderte Lampen laufend gegen den Uhrzeigersinn erhellte und mehrere Meter großen Leuchtreklame, gelang es ihm, sowohl im Berliner Volksmund „Det macht mir janz manoli“ als auch bei Kurt Tucholsky „Total Manoli“ und „Manoli Linksrum“ anzukommen. Mandelbaum war sehr erfolgreich und engagierte sich auch in sozialen und karitativen Belangen.

Immensack beziffert die Zahl von Manolis Mitarbeitern für 1911 mit 500, drei Jahre später waren es bereits 1000. Mandelbaums Jahreseinkommen betrug 1911 umgerechnet 6 Millionen und sein Vermögen 30 Millionen Euro. Interessant ist vielleicht für heutige Zeiten, dass 1912 im „Goldenen Buch des Zigarrenhändlers“ zwar 68 Zigarrenfabriken, aber nur 32 Zigarettenfabriken inserierten, der Markt begann sich also erst langsam von der Zigarre zur Zigarette umzuorientieren. Immensack schreibt, dass ab 1901 bei Manoli grafische Warenzeichen entstanden, die „Blaue 3“, die „Rote 4“, die „Braune 5“. 1903 erschienen die ersten Werbeinserate, 1904 kam das „Manoli-M“ heraus, 1907 das „Gibson Girl“ mit dem Bildnis von Camille Clifford im Gibson Girl Abendkleid. 1907 war auch das Jahr der ersten mit Namen gekennzeichneten Künstlerentwürfe. Der erste in einer Reihe von Grafikern, die für Manoli arbeiteten, war der erst 21 Jahre alte Paul Levi (später Paul Leni), der dann in Berlin und Hollywood als Filmausstatter und Regisseur Karriere machte. Es folgten HK und E.P. (die vollständigen Namen dieser Künstler blieben unbekannt). Anfang 1911 – so recherchierte der Autor – erschienen die ersten Arbeiten des Malers und Zeichners Julius Klinger, dem aus Wien stammenden Mitarbeiter der „Jugend“ und späteren Werkbundkünstler. Auch Hans Rudi Erdt, einer der bedeutendsten Vertreter deutscher Plakatkunst jener Zeit, entwarf einschlägige Sujets, zum Beispiel den Zigarettenboy mit Bauchladen.

Hans Rudi Erdt, Plakat für Manoli, 1911

Ein weiterer Design-Künstler, der für Manoli arbeitete, war „der genialste und prägendste Künstler in der Firmengeschichte“, Lucian Bernhard. Der Österreicher Ernst Deutsch-Dryden, dessen faszinierende Karriere vom „Ersten Mitarbeiter“ der Berliner Zeitschrift „Elegante Welt“ bis zum Kostümdesigner in Hollywood reichte, stellte die Manoli-Zigarette in ein besonderes, exquisites Umfeld.

Mandelbaum hatte 1912 eine sehr gute Hand bei der Auswahl seines Werbeleiters bewiesen: E.E. Hermann Schmidt startete eine neue, vereinheitlichte Werbelinie, „weg von strengen, alten Formen, hin zu einem lockeren, bisweilen mondänen, leichten und luxuriösen Stil“. Der Biograf lobt den Mut von Mandelbaum, „einen neuen Stil in der Produktwerbung und der Warengestaltung zu schaffen.“ Er weiß auch, dass die Druckerei Hollerbaum & Schmidt, bei der Mandelbaum arbeiten ließ, damals schon sehr viel mehr war als ein reiner Dienstleister, nämlich eine Kunstanstalt als „Werbeagentur mit vollem Service“. Das alles war in Berlin angesiedelt, somit hatte der Unternehmer auch Anteil daran, dass diese Stadt zum weltweiten Hotspot der Werbeindustrie wurde. Mandelbaums besonders gutes Verhältnis zum deutschen Kaiser, ein Skandal mit versteckt antisemitischem Hintergrund, der Erste Weltkrieg mit seinen Versorgungsschwierigkeiten und die ungeklärte Ursache seines Todes Ende Oktober 1918 sind die Inhalte der abschließenden Kapitel des Buches von Rainer Immensack.

Immensack, Rainer: Jacob „Manoli“ Mandelbaum. Zigarettenfabrikant – Designpionier – Kaisertreu (=Band 229 der „Jüdischen Miniaturen“ bei Hentrich & Hentrich Verlag), Berlin – Leipzig 2018.