Eine erstaunliche Entdeckung

Die neu entdeckte Reklamewand in Wien-Donaustadt, wahrscheinlich 1901 (Foto: Konrad Zobel)

Eine erstaunliche Entdeckung hat der Abriss eines Hauses in Stadlau im Wiener Bezirk Donaustadt ermöglicht.[1] Denn dabei wurde auf einer Mauer eine Reklamebemalung freigelegt, die mit rund 120 Jahren ein für dieses Genre beträchtliches Alter aufweist. Die relativ gut erhaltene Bemalung besteht aus dem grafisch gestalteten Text: „Tonino Dalmatiner Wein Simetta & Bl[au] Wien I Griecheng[. 8]“.

Foto: Bernhard Denscher

Diese Wandgestaltung war Teil eines bemerkenswert modernen Marketing- und Werbekonzepts. Die Grundidee war, Wein unter einem eigenen Markennamen als gesundheitsförderndes Produkt zu verkaufen. Neben Werbung in Zeitungen wurde offensichtlich auch auf großflächige Außenwerbung gesetzt. Es ist anzunehmen, dass diese Form der Reklame mehrfach eingesetzt wurde. Durch einen Zufall und wohl auch durch die bemerkenswerte Qualität der Arbeit der damaligen Schriftenmaler bekommen wir nun Einblick in ein Stück früher Werbe- und Wirtschaftsgeschichte. Dass dieses gemalte Plakat an einem Haus in der zur damaligen Zeit noch relativ ländlichen Umgebung angebracht wurde, hängt sicherlich damit zusammen, dass das betreffende Gebäude neben der damals bis Brünn führenden Staatsbahn (heute Laaer Ostbahn) lag und sich der Bahnhof Stadlau ganz in der Nähe befand. Nachdem die Züge dort angehalten hatten, war ihre Geschwindigkeit, als sie am Haus mit dem Schriftplakat vorbeifuhren, noch niedrig, wodurch die Wahrnehmung der Reklame erleichtert wurde.

Foto: Bernhard Denscher

Um die angestrebte unique selling proposition, nämlich Wein als Heilmittel zu vermarkten, wirkungsvoll zu belegen, lancierte die Firma Simetta & Blau Beiträge in medizinischen und in pharmazeutischen Zeitschriften, in denen der Gesundheits-Kontext des südländischen Weines Erwähnung fand. So etwa hieß es in der in Wien erscheinenden „Pharmazeutischen Rundschau“ unter der Rubrik „Handelsnachrichten“:

„‚Tonino‘-Dalmatiner med. Weiß- und Rothweine eignen sich vermöge ihres außergewöhnlich starken Tanningehaltes für Blutarme; ferner wegen der geringen Mengen von Säure und unvergohrenem Zucker für Magenleidende, Zuckerkranke und Reconvalescenten. Die von der Firma Simetta & Blau, Wien, I., Griechengasse 8, in Verkehr gebrachten ‚Tonino‘-Weine bilden das beste und feinste Product Dalmatiens. Die Firma besorgt den Einkauf alljährlich durch verlässlich und fachmännisch gebildete Einkäufer, schult die Weine Jahre hindurch in ihrer ausgedehnten, musterhaft geleiteten und sehenswerten Kellerei in Wien und unterstellt diese Weine zum Schutze des consumierenden Publicums der chemischen Controle in Wien, IX., Spitalgasse 31, so zwar, dass jedem Käufer einer Flasche ‚Tonino‘-Weines so lange diese in Originalverschluss belassen, das Recht zusteht, den Wein unentgeltlich auf seine Echtheit bei der genannten chemischen Anstalt prüfen zu lassen.“[2]

Die angekündigte Analyse der Weine wurde tatsächlich von der „Untersuchungsanstalt für Nahrungs- und Genussmittel des Allgemeinen österreichischen Apotheker-Vereines“ durchgeführt und in der „Zeitschrift des Allgemeinen österreichischen Apotheker-Vereines“ entsprechend publiziert. Dem Magazin war unter anderem zu entnehmen, dass der weiße „Tonino“ 10,04% Alkohol und der rote 12,05% enthielt.[3]

Pharmaceutische Rundschau, 6.4.1901, S. 206/1 (ÖNB ANNO)

Durch Inserate in Fachperiodika, wie „Wiener klinische Rundschau“[4], „Pharmaceutische Rundschau“[5] oder „Wiener medicinische Wochenschrift“[6], sollte das seriöse Image des „Medizinal-Weines“ noch unterstrichen werden. Die Weine wurden dem eigenen Marketingkonzept entsprechend in Apotheken verkauft, wie ein Inserat in der „Bukowinaer Post“ beweist: „Tonino. Dalmatiner Weiss- und Rotweine, entsprechend den Vorschriften der Pharmacopöe, für Magenleidende, Schwächliche und Reconvalescenten bestens [zu] empfehlen sind, in allen Apotheken erhältlich“[7].

Über die Fachwelt hinaus wurde ab April 1901 und bis Herbst 1902 das „p.t. Publikum“ mit einer intensiven Inseratenwerbung über Zeitungen und Zeitschriften, wie „Neues Wiener Journal“, „Grazer Volksblatt“,  „Linzer Tagespost“ oder „Das interessante Blatt“, direkt angesprochen.

Grazer Volksblatt, 7.9.1902, S. 24 ((ÖNB ANNO))

Wie Annoncen in der „Bukowinaer Post“ zu entnehmen ist, gab es das Produkt in Czernowitz noch bis in das Frühjahr des Jahres 1905 zu kaufen. Da existierte die Firma „Simetta & Blau“ allerdings nicht mehr. Das Unternehmen war mit 1. Januar 1892 von Paul Simetta und Wilhelm W. Blau gegründet worden.[8] Bereits am 8. September 1893 allerdings war Paul Simetta, der Sohn eines renommierten dalmatinischen Weinhändlers aus Castel Vecchio, dem heutigen Kaštela in Kroatien, wieder aus der Firma ausgeschieden. Offenbar wurde die Beibehaltung von Simetta im Firmennamen als vertrauensfördernd für den Vertrieb von südländischen Weinen angesehen. Pietro Simetta, der Vater von Paul, wehrte sich in einem Inserat in der „Neuen Freien Presse“ gegen mögliche Verwechslungen: „Ich beehre mich, meinen geehrten Geschäftsfreunden mitzutheilen, daß meine Firma mit jener Simetta & Blau, Wien I, Griechengasse 10, welche bis vor zwei Jahren meine Vertretung der Dalmatiner Weine hatte, nicht zu verwechseln ist. Aus derselben Firma ist mein Sohn, Herr Paul Simetta, deren früherer Mit-Chef, bereits am 8. September 1893 geschieden.“[9]

Wilhelm W. Blau blieb gemeinsam mit seiner Frau, der aus Teplitz stammenden Rosa Fischer[10], die er 1892 geheiratet hatte, alleiniger Eigentümer der Firma.[11] In „Lehmanns Adressbuch“ aus dem Jahr 1904 firmierte das „Dalmatiner Weindepot“ unter dem Namen „Blau Wilhelm W. vormals Simetta & Blau“. Im Jahr 1905 wurde auch die Firma „Wilhelm W. Blau Weinverschleiß“ aus dem Handelsregister gelöscht.[12] Wilhelm Blau blieb weiter Geschäftsmann und verstarb im Jahr 1935 in Wien.

Die Geschäftsidee, Wein als Medikament für kranke und rekonvaleszente Menschen zu propagieren, wurde von Wilhelm Blau public-relations- und werbemäßig perfekt vorgetragen, dennoch blieb ein nachhaltiger wirtschaftlicher Erfolg aus. Hier zeigt sich, wie so oft, dass auch die beste Werbung nicht wirkt, wenn das Produkt nicht inhaltlich überzeugen kann. Kranke waren offenbar nicht von der heilenden Wirkung des Weines zu überzeugen, und Weinfreunde wurden sichtlich vom Apotheken-Image des Produktes abgeschreckt.

Foto: Bernhard Denscher

Aus allen aufgefunden Belegen zur Firma „Simetta & Blau“ ergibt sich, dass diese nun entdeckte, gemalte Reklame in den Jahren 1901 oder 1902 gestaltet wurde, wobei das Jahr 1901 wahrscheinlicher ist, weil die Wandmalerei vermutlich eher am Anfang der Kampagne entstanden ist.

[1] Herrn Konrad Zobel wird für den Hinweis auf diese Entdeckung und das entsprechende Foto gedankt.
[2] Pharmaceutische Rundschau, 6.4.1901, S. 206/1f.
[3] Zeitschrift des Allgemeinen österreichischen Apotheker-Vereines, S. 1001.
[4] Ab 10.3.1901ff.
[5] Ab 6.4.1901ff.
[6] Ab 9.3.1901ff.
[7] Bukowinaer Post, 31.3.1901, S. 6.
[8] Gerichtshalle, 29.2.1892, S. 7.
[9] Neue Freie Presse, 5.10.1896, S. 6.
[10] Teplitz-Schönauer Anzeiger, 25.5.1892, S. 4.
[11] Die Presse, 20.1.1894, S. 7.
[12] Wiener Zeitung, 18.11.1905, S. 27.