Hans Neumann – „der Plakatgewaltige von Wien“

Hans Neumann, Motiv aus dem Plakat für den Wiener Blumenkorso, 1925

Hans Neumann ist nicht Hans Neumann und auch nicht Hans Neumann. In Wikipedia-Einträgen wurde der Wiener Grafikdesigner Hans Neumann (1888–1960) bis nach der Veröffentlichung dieses Artikels mit dem deutschen Künstler Hans Neumann (1873–1957) und dem deutschen Filmregisseur Hans Neumann (1886–1962) verwechselt. So etwa fand sich im Eintrag über den deutschen Künstler ein Foto, das den Wiener Grafiker Hans Neumann mit seinem Hund zeigte, und im französischen Wikipedia-Eintrag wurde die Biografie des Wieners überhaupt gleich mit jener des deutschen Filmregisseurs vermengt.

Über den Wiener Hans Neumann gab es bis nach der Publikation dieses Beitrags keinen eigenen Eintrag[1], was erstaunlich ist, war er doch einer der profiliertesten Werbegrafiker seiner Zeit: „Aus der Akademie der bildenden Künste hervorgegangen, war Neumann einer der ersten Künstler, die den doppelten Mut fanden, sich der Reklame zuzuwenden, den Mut nämlich, als Künstler von Rang darauf zu verzichten, ausschließlich der sogenannten ‚hohen Kunst‘ zu leben und jenen, sich einem noch ungewissen und vielfach mit scheelen Augen angesehenen Arbeitsgebiete zu widmen.“ Derart charakterisierte die Fachzeitschrift „Österreichische Reklame“ den Weg von Hans Neumann, den sie darüber hinaus als einen der „Pioniere der Gebrauchsgraphik in Österreich“ würdigte.[2]

Geboren wurde Neumann am 29. November 1888 in Wien. Seine künstlerische Ausbildung erhielt er an der „Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt“ sowie an der „Akademie der bildenden Künste“ in seiner Geburtsstadt – an beiden Institutionen jedoch ohne formalen Abschluss.[3] Dass dies in der Berufspraxis kein Hindernis sein musste, bewies Neumann in seiner weiteren Laufbahn. So wie seine Landsleute Ernst Deutsch und Julius Klinger ging auch er nach Berlin, wo er sich bald eine respektierte Position als Gebrauchsgrafiker erarbeiten konnte. Während Deutsch und Klinger vor allem für die Druckerei „Hollerbaum und Schmidt“ tätig waren, wirkte er im Rahmen des „Reklameverlags Ernst Marx“. Herausragend waren in jener Zeit seine Plakate für das Kabarett „Chat Noir“ oder für die „Schloß-Conditorei Unter den Linden“ sowie für „Prunier Cognac“.[4]

Plakat für das Berliner Kabarett „Chat Noir“, 1910

Zu Beginn des Ersten Weltkriegs kehrte Hans Neumann nach Wien zurück, wo er seine Tätigkeit als Plakatgestalter fortsetzte, bis auch er zum Militärdienst einrücken musste. 1919 eröffnete Neumann in Wien mit der prominenten Adresse „Stock-im-Eisen-Platz“ ein Reklame-Atelier, das aufgrund seines umfassenden Angebots und seiner Größe als eine Art Vorläufer moderner Werbeagenturen gesehen werden kann.[5] Prokurist und Mitgesellschafter war zunächst Otto Löbl, der sich jedoch mit 1. Januar 1925 selbständig machte und mit seinem „Reklame-Atelier-Otto“ im nahegelegenen Trattnerhof zu einem Hauptkonkurrenten Neumanns wurde.[6]

Das „Atelier Hans Neumann“ arbeitete für nahezu alle Branchen: Filmankündigungen, Wirtschaftsreklame aber auch politische Propaganda gehörten ebenso zum umfassenden Aufgabenfeld des Büros wie Entwürfe von Inseraten[7], Notentitelblättern[8], Zeitschriftencovers[9] oder sogar von Innenausstattungen[10]. Da 1919 die ersten Parlamentswahlen in der Republik Österreich stattfanden, erhielt das Atelier Neumann außerdem im Gründungsjahr auch einige attraktive Aufträge im Bereich der Wahlwerbung für die liberale „Bürgerlich-demokratische Partei“.

Wahlplakat, 1919

Mitarbeiter des erfolgreichen Ateliers von Hans Neumann war eine Zeitlang auch Julius Klinger, der im Jahr 1922 als künstlerischer Leiter fungierte, diese Funktion allerdings im November jenes Jahres wieder zurücklegte.[11] Außerdem leitete Klinger unter der Direktion von Neumann auch die Privatlehrwerkstätten „Stock im Eisen“, in denen vom „Elfenbeinsägen“ über Modezeichnen bis zur Plakatgestaltung verschiedenste Formen der angewandten Kunst unterrichtet wurden.[12]

Plakat, ca 1923

Im Laufe der Jahre beschäftigte Neumann eine Reihe von Grafikerinnen und Grafikern, die seinen speziellen Vorstellungen von wirkungsvoller Werbegrafik entsprechen mussten. „Er hat“, so schrieb die „Österreichische Reklame“, „selbstverständlich Mitarbeiter, die von vornherein seiner Anschauungen waren, daher in seinem Geiste arbeiteten oder sich im Verlaufe jahrelanger Mittätigkeit harmonisch mit ihrer Arbeitsweise in den Schaffensgedanken des Ateliers einfügten.“[13]

Plakat, 1925

Das „Atelier Hans Neumann“ arbeitete auch von Wien aus weiterhin für den deutschen Markt, inserierte regelmäßig im deutschen Fachmagazin „Seidels Reklame“[14] und gewann zum Beispiel im Jahr 1924 einen geladenen Plakatwettbewerb der Messe Leipzig.[15] Es war dies eine Arbeit, die Hans Neumann entsprechende internationale Bekanntheit einbrachte.

Der britische Experte Sydney R. Jones publizierte in dem im Jahr 1924 erschienenen Band „Posters & their Designers“ neben Arbeiten von Jules Chéret und Toulouse-Lautrec nicht weniger als acht Plakate von Hans Neumann.[16] Auch in dem 1926 erschienenen Buch „Posters & Publicity“ präsentierte Jones vier Beispiele aus der Werkstatt von Neumann inklusive dem Leipziger Messeplakat[17]. Doch besonders angetan hatte es dem Autor offensichtlich Neumanns Plakat für den Blumenkorso 1925 (siehe erste Abb. in diesem Beitrag). Diese „Card“ zeige laut Jones „vieles, was frisch und originell ist, obwohl in diesem Fall der Effekt nicht so sehr von lithografischen Techniken abhängt, sondern von der Gruppierung des Wesentlichen, der harmonischen Verteilung der leuchtenden Farbe und der geschickten Platzierung des massiven schwarzen Hintergrunds, der die Komposition zu einem vollständigen Ganzen zusammenschweißt.“[18]

Das „Atelier Hans Neumann“ war im Laufe der Jahre zu einem der erfolgreichsten Reklame-Studios Wiens geworden. Es gab in der Zwischenkriegszeit kaum eine Plakatwand, wo nicht mindestens eine Arbeit aus dem Atelier affichiert war. Wie präsent Neumann auch als Person selbst war, dokumentiert eine Karikatur von ihm, die 1930 in der Zeitschrift „Muskete“ erschien und mit dem Zusatz „der Plakatgewaltige von Wien“ versehen war.[19]   

Links: Die Stunde, 26.11.1933 / Rechts: Die Bühne, 400. Heft, 1935

Über die zweidimensionale Welt der Gebrauchsgrafik hinaus hatte Hans Neumann auch einen Hang zur Aktion und war im gesellschaftlichen Leben Wiens bestens vernetzt. So sorgte er für die Ausstattung von Ballveranstaltungen, wie etwa des „Gesindeballs“[20], sowie anderer geselliger Events[21], arrangierte Modeschauen[22], war künstlerischer Leiter oder Jury-Mitglied bei „Automobil-Blumen-Korsos“ in Wien[23] und Velden[24], arbeitete an einer Filmproduktion[25] mit und war auch Mitgestalter von Pavillons der Wiener und der Grazer Messen[26]. Neumann war im Vorstand des „Verbandes österreichischer Reklamefachleute“[27]  und wurde 1927 Mitglied im ersten Vorstand des neugegründeten „Bundes österreichischer Gebrauchsgraphiker“[28]. Seine vielfältigen Interessen ermöglichten es ihm wohl, die für seine Arbeit nötigen Kontakte zu knüpfen, als „Automobilist“ war er im Vorstand des noblen „Österreichischen Touring-Club“, an dessen Vereinsleben er regen Anteil nahm,[29]  und er war auch Alpinist und Skiläufer.[30] Als stadtbekannter Hundefreund besaß er sogar eine eigene Zucht von Foxterriern, die unter dem Zwingernamen seiner Atelieradresse „Stock im Eisen“ firmierte.[31]

Mit dem Einmarsch der deutschen Truppen in Österreich im März 1938 nahm die Erfolgsgeschichte des „Ateliers Hans Neumann“ ein jähes Ende. Als Jude war Neumann den entsetzlichen Repressionen des NS-Regimes ausgesetzt. Ende des Jahres 1938 gelang es ihm, über London[32] nach Australien zu emigrieren, wo er sich Hans Newman[33] nannte. Über seine dortige Arbeit ist bis dato wenig Nachweisbares bekannt. Im Katalog der National Library of Australia ist ein von ihm verfasstes und illustriertes Jugendbuch aus dem Jahr 1950 über Hunde erhalten, mit dem er seine lebenslange Begeisterung für die Tiere auch publizistisch verewigen konnte.[34] Im selben Jahr vermerkte das „Graphische Handbuch des Bundes österreichischer Gebrauchsgraphiker“, dass Neumanns Wohnort „Melbourne, Australien“ sei.

1957 kehrte Neumann als australischer Staatsbürger in seine alte Heimat zurück, wo er auch wieder als Gebrauchsgrafiker tätig war.[35] Am 19. November 1960 verstarb er in Wien. In der Tageszeitung „Die Presse“ hieß es in einem Nachruf: „Der Wiener Maler Hans Neumann, der seinerzeit einen maßgeblichen Einfluß auf die Wiener Werbegraphik ausübte, ist vor einigen Tagen […] nach langem Leiden gestorben. Seine mondän bewegten Darstellungen genossen Weltruf. Während des zweiten Weltkrieges hatte Neumann auch in Australien großen Erfolg. Er kehrte vor vier Jahren, bereits leidend, nach Wien zurück.“[36]

Erstveröffentlichung: 10.4.2021

Genaueres zu Hans Neumanns Zeit in Australien findet sich in dem Artikel „Neues zu Hans Neumann“

[1] Wikipedia-Stand 9.4.2021.
[2] Österreichische Reklame, 1929/9, S. 15.
[3] Pokorny-Nagel, Kathrin: Biografie Hans Neumann, in: Noever, Peter (Hrsg.): Hans Neumann. Pionier der Werbeagenturen, Wien 2009 (=MAK Studies 14), S. 88.
[4] Mascha, Ottokar: Österreichische Plakatkunst, Wien 1915, S. 79f.
[5] Klinger, Peter: Das Atelier Neumann als Prototyp einer Werbeagentur in Österreich, in: Noever, Peter (Hrsg.): Hans Neumann. Pionier der Werbeagenturen, Wien 2009 (=MAK Studies 14), S. 20ff.
[6] Der Tag, 31.12.1924, S. 7.
[7] Von 1926 bis 1934 erschien die „Österreichische Touring-Zeitung“ immer wieder mit Titelblättern aus dem „Atelier Hans Neumann“, die gleichzeitig auch als Farbinserate fungierten.
[8] Ziegler, Johann: „…das gab’s nur einmal. Die Schlager der 20er Jahre“, Wien 1987, S. 47.
[9] Z.B.: Österreichische Touring-Zeitung, 1926/4.
[10] Neues Wiener Tagblatt, 11.9.1920, S. 7.
[11] Neue Freie Presse, 4.11.1922, S. 10.
[12] Neue Freie Presse, 3.9.1922, S. 9.
[13] Österreichische Reklame, 1929/9, S. 19.
[14] Z.B.: Seidels Reklame, 1925/11 und folgende Ausgaben.
[15] Neues Wiener Tagblatt, 13.12.1924, S. 8.
[16] Sydney R. Jones: Posters & their Designers, London 1924, S. VII.
[17] Sydney R. Jones: Posters & Publicity. Fine Printing and Design, London 1926, S. 150.
[18] Ebenda, S. 4 (Übersetzung von B.D.).
[19] Die Muskete, 13.11.1930, S. 544.
[20] Z.B.: Neues Wiener Tagblatt, 4.3.1921, S. 6; Neues Wiener Journal, 25.2.1922, S. 8; Neue Freie Presse, 8.2.1923, S. 7; Neues Wiener Journal, 7.2.1924, S. 12; Illustriertes Familienblatt, 1925/2, S. 2.
[21] Der Humorist. 1.2.1907, S. 9; Neues Wiener Journal, 29.1.1922, S. 12; Neues Wiener Tagblatt, 21.2.1922, S. 7; Die Stunde, 27.5.1923, S. 9; Die Stunde, 21.12.1926, S. 4.
[22] Wiener Morgenzeitung, 3.12.1926, S. 3.
[23] Österreichische Touring-Zeitung 1925/5/6, S. 5.
[24] Freie Stimmen, 26.7.1929, S. 3.
[25] Pokorny-Nagel, a.a.O., S. 96; Die Filmwelt, 1921/21, S. 13.
[26] Der Architekt, 1921, S. 61.
[27] Seidels Reklame, 1926/12, S. 581.
[28] Seidels Reklame, 1927/3, S. 54.
[29] Österreichische Auto-Rundschau, 13.3.1931, S. 59.
[30] Die Zeit, 15.3.1914, S. 29; Nachrichten des Alpenvereins Donauland und des Deutschen Alpenvereins Berlin, 1.4.1927, S. 56.
[31] 1934 präsentierte Neumann seine Hunde im Rahmen einer großen Hundeausstellung im Wiener Messepalast, siehe: Die Stunde, 13.4.1934, S. 3. Im gleichen Jahr hielt er im Institut für Werbung und Verkauf den Vortrag „Meine Plakate und Hunde“, siehe: Der Tag, 17.5.1935, S. 7.
[32] Wiener Stadt- und Landesarchiv, Meldeunterlagen: Neumann war noch bis 1. Februar 1939 in Wien 1, Rudolfsplatz 12/III/12 gemeldet, auf dem Meldezettel ist aber auch vermerkt, „ausgez.am 31.12.1938 nach London“.
[33] Pokorny-Nagel, a.a.O., S. 102.
[34] Newman, Hans: Everybody’s dog book: all popular breeds of dog finely drawn. Their habits, size, diet and appearance in detail, Sidney 1950.
[35] Siehe die entsprechenden Bestände in der Österreichischen Nationalbibliothek und in der Wienbibliothek.
[36] Die Presse, 27.11.1960, S.8.