Wolfgang Born: Wiener Plakatkunst einst und jetzt

Julius Klinger, Plakat für die Wiener Plakatierungsfirma WIPAG, 1923 (Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg)

Wolfgang Born (1893–1949) war ausgebildeter Kunsthistoriker und auch selbst Künstler. In seiner publizistischen Arbeit zeigte er ein qualifiziertes Interesse an der angewandten Kunst und da insbesondere an der Gebrauchsgrafik seiner Zeit. 1934 war er Ko-Kurator der großen Plakatausstellung des „Hagenbundes“.  

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland konnte Born aufgrund seiner jüdischen Herkunft nicht mehr in deutschen Kunstzeitschriften publizieren. 1937 emigrierte er in die Vereinigten Staaten, wo er bis zu seinem Tod als Kunsthistoriker vor allem in der Lehre tätig war.

Plakatkunst? – Die Wortverbindung ist modernen Ursprungs, aber sie wird fast schon wieder Lügen gestraft durch die Vorherrschaft von Plakaten, die sichtlich gar nichts mehr mit Kunst zu tun haben. Wer heute die Anschlagtafeln auf künstlerische Werte hin betrachtet, wird nicht auf seine Kosten kommen. Weder in Wien, noch in anderen Städten. Es regiert eine Gesinnung, die den Maler zum Sklaven der Photographie macht. Ob das der Werbewirkung zugute kommt, ist mehr als fraglich. Schon der Umstand, daß man zu immer größeren Formaten greift, kennzeichnet die innere Schwäche des unkünstlerischen Plakates. Der Künstler wirkt, ohne sich überschreien zu müssen. Er weiß, wie eine Fläche zu gliedern ist, damit das Bild sich dem Auge einprägt. Er weiß, wie er die Farben zu verteilen hat, wie er die Schrift einteilen muß. Er kennt die Möglichkeiten des Druckverfahrens, das ihm zu Gebote steht. Kurz, er ist ökonomisch, weil er die beste Lösung mit den einfachsten Mitteln erreicht.

Selten genug, daß gerade in den letzten Jahren diese Erkenntnis so erschreckend an Boden verloren hat. Denn sie war bereits im vollen Sieg begriffen, und Talente gibt es genug, die sich aufs Plakatentwerfen verstehen. Da ist es denn höchst verdienstlich, daß die Bibliothek des Österreichischen Museums für Kunst und Industrie eine Plakatsammlung angelegt hat, die fast schon eine Geschichte des österreichischen Plakates in sich schließt. Dr. Hans Ankwicz-Kleehoven, der rührige Vorstand der Bibliothek, ist die Seele dieses Unternehmens. Er hat bereits etwa 4000 Plakate zusammengebracht, und es ist ebenso lehrreich, wie unterhaltsam, die Mappen durchzugehen, in denen, sorglich katalogisiert, die umfangreichen Blätter aufbewahrt werden. Denn sie erzählen eine Menge wissenswerter Dinge. Gerade ihre einstige Aktualität macht sie zu sprechenden Dokumenten der Vergangenheit. Sie bewahren den Ton der Zeit auf, wie eine Grammophonplatte die Stimme eines Menschen, der schon längst der Vergangenheit angehört. Technik und Wirtschaft, geistiges und künstlerisches Leben spiegeln sich im Plakat unbefangen und unmittelbar. Die Mode läßt sich in ihren Wandlungen fast von Jahr zu Jahr verfolgen. Die Politik spielt herein: Wahlplakate erzählen von den Parteikämpfen früherer Zeiten. Der Weltkrieg hat seine Spuren in den Kriegsanleiheplakaten hinterlassen. Reiseplakate deuten an, wie sich der internationale Verkehr entwickelt hat.

Aber abgesehen von diesen stofflich fesselnden Einblicken, vermittelt die Plakatsammlung auch überaus wertvolle Erkenntnisse über den Wandel der künstlerischen Anschauung in den letzten Jahrzehnten. Denn, wie gesagt, die Plakatkunst stand noch vor kurzem auf einer erfreulichen Höhe, und bei einer Auswahl des qualitativ Hochwertigen läßt sich aus einer Plakatsammlung die Stilentwicklung der Graphik in dem entsprechenden Zeitraum mühelos ablesen.

Das moderne Künstlerplakat entstand in Frankreich. Es ist eine Frucht der Großstadt, und zwar im besonderen eine Frucht des Pariser Lebens. Der Schöpfer des modernen Plakats, Jules Chéret, hat die reinen Farben und die Beweglichkeit der impressionistischen Malerei für die industriellen und kommerziellen Bedürfnisse der Weltstadt ausgewertet. Darin lag ein guter Sinn: er spürte die tiefere Einheit hinter den scheinbar so auseinanderliegenden Kulturerscheinungen des 19. Jahrhunderts. Das Publikum ging mit, und die Künstler folgten. Österreich selbst hat spät eingesetzt. Es gibt ein Plakat von Makart aus dem Jahre 1882, das ganz in der Art einer Renaissanceurkunde gehalten ist, und noch zu Beginn der neunziger Jahre entwarf Ernst Klimt, der früh verstorbene Bruder Gustav Klimts, ein Ausstellungsplakat im Stil einer Saaldekoration mit naturalistisch gemalten griechischen Musengestalten.

Erst die Secession brachte die notwendige Wandlung. Flächenhaftigkeit und lineare Stilisierung traten die führende Rolle an. Der Einfluß der japanischen Farbenholzschnitte machte sich fühlbar. Es bildete sich ein eigener Plakatstil heraus. Die Namen Kolo Moser und Alfred Roller sind für diese Periode kennzeichnend. Wellenlinien und Quadrate machten den Grundstock der damals angewandten Ornamentik aus. Helle, ungebrochene Farben auf weißem Grund geben einen koloristischen Akkord her, der auf große Entfernungen wirksam war. Die menschliche Gestalt mußte sich mannigfache Eingriffe von der Hand des Künstlers gefallen lassen, ehe sie sich dem Rhythmus des Ganzen anpassen konnte. Es ging nicht ohne eine etwas gewaltsame Stilisierung dabei ab. Allerdings setzte sich demgegenüber immer wieder ein gewisser Naturalismus durch. Der Gegenstand forderte sein Recht. Inzwischen hatte aber der kurzlebige „Jugendstil“ seinen Reiz verloren. Seine ausschließlich dekorative Einstellung konnte nur einen Übergang in der Entwicklung bilden. Um das Jahr 1908 regten sich allenthalben neue Kräfte: In Frankreich bahnte sich der Kubismus seinen Weg, in Deutschland und Österreich der Expressionismus. Auf Wiener Boden war Kokoschka der Pionier des neuen Ausdrucks, und es gibt mehrere Plakate von seiner Hand, die den Forderungen des neuen Kunstwollens gerecht werden: naturferne, ganz auf den Eigenwert der farbigen Flecke und der bewegten Linie aufgebaute Kompositionen.

Damals erlebte das Künstlerplakat einen neuen Aufschwung. Junge Maler, wie Egon Schiele, Franz Wacik und Erwin Lang nahmen sich des Plakates an. Der Künstlerkreis der Wiener Werkstätte gab seine eigene kunstgewerbliche Note dazu. Dagobert Peche und Otto Lendeke, die beiden früh verstorbenen Meister einer wienerischen Werk- und Modekunst von beschwingter Anmut, haben Plakate gezeichnet, die in ihrer Art kaum übertroffen wurden. Bertold Löffler ging dem Plakat als künstlerischer Aufgabe mit Geschmack und Zielsicherheit nach. Plakatzeichnen als eigener Kunstzweig kam auf. Es wurde an der Kunstgewerbeschule in den Lehrplan aufgenommen, und Bertold Löffler selbst hat als Professor seither eine ganze Generation junger Leute herangezogen, die mit Erfolg aufgetreten sind.

Born, Wolfgang: Wiener Plakatkunst einst und jetzt, in: Moderne Welt. Almanach der Dame, 1932/5, S. 19ff.