Wolfgang Born: Das Plakat als Kunstwerk

Ausschnitt aus einem Plakat von Julius Klinger für die Berliner Druckerei „Hollerbaum und Schmidt“, 1910

Von September bis Oktober 1934 fand in der renommierten Wiener Künstlervereinigung Hagenbund eine Ausstellung zum Thema „Das Plakat als Kunstwerk“ statt. Gezeigt wurden dabei 316 Objekte aus Europa und den USA, mit besonderen Schwerpunkten auf Österreich und Deutschland. Gemeinsam mit den Malern Felix Albrecht Harta und Georg Mayer-Marton sowie dem Architekten Fritz Gross war Wolfgang Born Mitglied der Hängekommission für die Plakatausstellung und alleine für den Katalog verantwortlich. In dieser Funktion verfasste er den folgenden Einführungstext.

Wolfgang Born (1893–1949) war selbst Künstler, aber auch Kunstkritiker und studierter Kunsthistoriker. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland konnte er aufgrund seiner jüdischen Herkunft nicht mehr in deutschen Kunstzeitschriften publizieren. Born emigrierte 1937 in die USA, wo er bis zu seinem Tod als Kunsthistoriker vor allem in der Lehre tätig war.

Das Plakat ist eine Schöpfung des XIX. Jahrhunderts. Die soziologische Voraussetzung seiner Entwicklung war die moderne Großstadt, die stilistische der Impressionismus – wenigstens soweit es sich nicht um gewerbsmäßige Erzeugnisse der grafischen Industrie handelte, die ihrem kommerziellen Zweck ohne jeden Anspruch auf formale Durchbildung dienten. Solche Dinge gab es schon vorher und gibt es noch heute. Ja sie sind sogar wieder in bedauerlicher Überzahl an allen Werbeflächen zu sehen, nachdem eine Zeit lang das künstlerische Plakat auf dem Vormarsch begriffen war.

Die Forderung nach künstlerischer Durchbildung des Plakates wurde zuerst in Frankreich erhoben. Dort lithografierte Jules Chéret in den achtziger Jahren seine bahnbrechenden farbigen Plakate, die bewusst als Kunstwerke auftraten. Im Motiv knüpfte Chéret an die volkstümlichen Zirkus- und Varietéplakate an. Was jedoch dort roh und unbeholfen blieb, verfeinerte sich unter seinen Händen zu einem überaus geistvollen Stil. Von der impressionistischen Malerei übernahm Chéret die koloristische Wirkung der komplementären Farbflecken und die räumliche Wirkung kühner Überschneidungen von bewegten Körpern. Seine Plakate waren freie Schöpfungen eines durchaus persönlichen Künstlertums. Sie hatten nichts mit Kunstgewerbe zu tun.

Die Ausstellung des Hagenbundes knüpft an die Tradition dieses freien und persönlichen, letzten Endes grafischen Stiles an, der mit Chéret im Plakat auftritt. „Das Plakat als Kunstwerk“ heißt im Sinne unserer Veranstaltung ungefähr soviel wie „Künstlerplakate“. Das Schriftplakat, das kunstdekorativ stilisierte Plakat – kurz, alle ornamentalen Lösungen fallen aus dem Rahmen unseres Programmes, selbst wenn sie geschmacklich und formal einen hohen Rang einnehmen. Der dekorative Plakatstil, der sich in den letzten zwanzig Jahren auf der mittleren Linie von ästhetischen und kommerziellen Forderungen herausgebildet hatte, ist zwar auf jeden Fall dem fotografischen Naturalismus amerikanisierender Haltung, wie er besonders auf neueren Kinoplakaten Anwendung findet, bei weitem vorzuziehen. Aber er ist doch in seiner Beschränkung auf die Fläche einigermaßen starr. Das Persönliche des grafischen Ausdruckes, die Unmittelbarkeit der künstlerischen Vision geht dabei meist verloren.

Die Erfahrung lehrt, dass sich die kommerziellen Auftraggeber selten dazu entschließen, dem Künstler seine Freiheit zu lassen. Ein Großteil der im Hagenbund vereinigten Plakate sind Ausstellungsplakate, also Aufgaben, bei denen die Künstler keinem äußeren Zwang zu gehorchen hatten. Von Beispielen des kommerziellen Plakatstiles im engeren Sinne haben wir lediglich einige hochwertige Grenzfälle herangezogen, die von Meistern ihres Faches wie Julius Klinger und Joseph Binder stammen. Aber es geht zweifellos aus dem Material der Ausstellung hervor, dass die freiesten Schöpfungen, wie die Plakate von Toulouse-Lautrec, Hodler, Käthe Kollwitz und Kokoschka (um nur ein paar große Namen herauszugreifen) die stärksten Eindrücke hinterlassen.

Man kann am Plakat die Kunstentwicklung der letzten 40 Jahre ebenso ablesen, wie an Werken der Malerei, ja die Verknüpfung mit dem sozialen und kulturellen Rahmen der Zeit ist so eng, dass wir Aufschlüsse über die inneren Zusammenhänge von Kunst und Leben erhalten, die uns die freie Kunst mit gleicher Deutlichkeit nicht gibt. Der Weg führt von der unbefangenen Sinnlichkeit der liberalen Epoche zur persönlichen Problematik der Menschen unmittelbar vor dem Weltkrieg, um dann in die allgemeine Kulturkrise zu münden, deren Überwindung derzeit in sehr verschiedener Weise von den einzelnen Nationen versucht wird.

Born, Wolfgang: Das Plakat als Kunstwerk, in: Das Plakat als Kunstwerk. Internationale Ausstellung im Hagenbund September–Oktober 1934. Wien 1934. Der Text wurde an die heutige Rechtschreibung angepasst, Schreibfehler wurden korrigiert.