Else Czulik – Der weibliche Blick in der Werbung

Else Czulik, Detail aus einer Illustration zum Roman „Wer bist du Geliebter...?“ von Wolfgang W. Parth in der Zeitschrift „Revue“, 19. Mai 1956 (Abbildungen: Archiv AP u. Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv und Grafiksammlung)

Das Konzept des „male gaze“, des männlichen Blicks, der visuelle Darstellungsformen dominiert, wurde in den vergangenen Jahrzehnten ausgehend von gendertheoretischen Fragen beim Film intensiv erörtert, was auch dazu führte, dass dem  als klares Statement der „weibliche Blick“ entgegengesetzt wurde. Mehr noch als der Film aber wurde die Bildwerbung lange Zeit vom „männlichen Blick“ her bestimmt. Eine der ersten Grafikerinnen, die in die Welt der Plakate eine weibliche Sichtweise einbrachte, war Else Czulik. Bestätigt wurde dies unter anderem durch Czuliks Grafiker-Kollegen Johnny Parth, der sie als  Spezialistin für einfühlsame Darstellungen von selbstbewussten Frauen charakterisierte. Czuliks  Arbeiten hätten sich in den 1950er Jahren nämlich deutlich von den Pin-up-Plakaten männlicher Gestalter, wie Paul Aigner, Gerhard Brause und ihm selbst, abgehoben.[1]

Else Czulik wurde am 4. Oktober 1898 in Brno/Brünn als Tochter des k.u.k. Offiziers und späteren Generalmajors Alois Czulik (1868–1948) und dessen Frau Sofia (1872–1943) geboren. Immer wieder wird ihr Geburtsname fälschlicherweise als „Else von Czulik-Thurgau“ angegeben.[2] Allerdings wurde ihr Vater Alois Czulik erst im Januar 1918 in den Adelsstand erhoben, und zwar mit dem Prädikat „Thurya“, nachdem er sich mit seinem Infanterieregiment Nr. 84 in der Nähe des galizischen Ortes Turya bei der Schlacht von Sapanow besonders ausgezeichnet hatte.[3] Da der Adel in Österreich 1919 abgeschafft wurde, führten er und auch seine Tochter, die Auszeichnung war ursprünglich erblich, den Titel legal eigentlich nur rund ein Jahr lang. Vater Alois verwendete in der Folge den Doppelnamen „Czulik-Thurya“, seine Tochter Else nannte sich zeitweise so oder auch „Else von Czulik“, manchmal bevorzugte sie den Vornamen Elise.

Nach Volks- und Bürgerschule absolvierte Else Czulik im schlesischen Teschen (damals österreichisch, heute: Cieszyn in Polen) ein Mädchengymnasium.[4] Ab September 1914 war sie in Wien gemeldet,[5] wo sie zunächst die „Kunstschule für Frauen und Mädchen“, die spätere „Frauenakademie“ und heutige „Modeschule Hetzendorf“, besuchte. Es war dies eine wichtige Ausbildungsstätte für Frauen, denen damals ja noch die Aufnahme in die Akademie der bildenden Künste verwehrt war. Zu Czuliks Lehrern an der „Kunstschule“ gehörte unter anderem der Maler Max Kurzweil, der ein Gründungsmitglied der Wiener Secession war. Czulik setzte dann ihre Ausbildung an der privaten Malschule von Gustav Bauer (Wien I., Annagasse 3), die auch die Maler Rudolf Wacker und Robin Christian Andersen als Studenten besuchten, fort.

Als Beginn ihrer beruflichen Laufbahn als „Reklamezeichnerin“ gab Else Czulik selbst das Jahr 1922 an.[6] Die früheste von ihr erhaltene Arbeit stammt jedoch schon aus dem Jahr 1921. Es ist ein Plakat für die in Wien abgehaltene „Kino Messe“[7]. Da Czuliks Vater im selben Jahr im Wiener Adressbuch als „Prokurist der Pax-Film-Gesellschaft“ aufscheint[8], könnte es sein, dass sie über ihn Kontakte zur Filmwirtschaft erhalten hatte. Thematisch blieb sie dann auch weiterhin mit ihrer Arbeit in diesem Bereich: So folgten im Jahr 1923 die Affichen für die Filme „Rumpelstilzchen“, „Der Kampf um Lady Jocelyn“, „David das Muttersöhnchen“ und „Die Lawine“ – allesamt Produktionen oder im Verleih der Firma Sascha-Film, die während des Ersten Weltkriegs für die Filmpropaganda der Monarchie zuständig gewesen war. Czuliks frühe Kino-Plakate zeichnen sich durch einen betonten figurativen Realismus aus und erinnern an entsprechende Arbeiten von Ernst Deutsch-Dryden oder Theo Matejko aus jener Zeit.

Links: Else Czulik, 1923 / Rechts: Else Czulik für das Atelier Georg Pollak, 1926

In den Jahren 1925 und 1926 arbeitete Else Czulik auch für das Atelier Georg Pollak, das sich auf Filmplakate spezialisiert hatte. Allmählich entwickelte sie dabei eine freiere Formensprache, ihre nun stärker abstrahierenden Arbeiten wurden damit auch „plakativer“, wie etwa die Affiche für den Film „Der Rosenkavalier“ aus dem Jahr 1926 zeigt. Von 1929 bis 1936 war sie für das renommierte Atelier von Hans Neumann tätig[9], das mit dem Slogan „Das naturalistische Plakat“[10] warb, was auch gut auf den Zeichenstil von Else Czulik zutraf. Daneben war Czulik jedoch auch als selbständige Grafikerin tätig. Sie arbeitete weiter für den Film, aber auch in der Wirtschaftswerbung.

Else Czulik, links: 1936 / Rechts: 1938

Von Mai 1937 an lebte Else Czulik – immer wieder unterbrochen durch Aufenthalte in der elterlichen Wohnung im 8. Wiener Gemeindebezirk – in Leipzig, wo sie als selbständige Gebrauchsgrafikerin tätig war. Hier suchte sie am 10. Juni 1937 um die Aufnahme in die „Reichskammer der bildenden Künste“ an, was für ihre Berufsausübung im nationalsozialistischen Deutschland notwendig war und die dann mit 21. Oktober 1937 erfolgte.[11] Im Zuge des Bewerbungsverfahrens gab Czulik an, „Affichen für Titze Feigenkaffee in Österr. und für Greiling, Regatta, Gerolsteiner Brunnen, Beck-Biere etc… in Deutschland“ entworfen zu haben.[12] Weder das Deutsche Plakat Museum in Essen[13] noch das Deutsche Historische Museum[14] weisen allerdings in ihren Katalogen entsprechende Arbeiten aus diesen Jahren in Deutschland aus. In der Wienbibliothek hat sich ein von Czulik gestaltetes und in Wien gedrucktes Plakat aus dem Jahr 1940 für den üblen antisemitischen NS-Propagandafilm „Die Rothschilds“ erhalten.[15] Laut Wiener Meldearchiv lebte Else Czulik ab April 1941 wieder hauptsächlich in Wien, allerdings übermittelte der „Landeskulturverwalter Gau Sachsen“ ihren bei der „Reichskammer der bildenden Künste“ aufliegenden Akt erst am 30. November 1944 unter dem Titel des Ortwechsels an die zuständige Wiener Stelle. Als ihre Adresse wird hier entgegen den Daten beim Meldeamt „Fasanengasse 44 b. Kloss“ angegeben.[16] Im August 1945 bewarb sich Czulik dann um die Aufnahme in die „Berufsvereinigung der bildenden Künstler Wien“, was umgehend erfolgte.[17] Als Berufsbezeichnung gab sie hier „Malerin“ an, als Tätigkeit „früher Reklame, jetzt Porträt“. Dabei vermerkte sie auch, dass sie kein Mitglied der NSDAP war.[18]

Atelier Czulik + Kloss, Straßenbahnplakate, links: Cutex, wurde von der Zeitschrift „Werbung“ zu einem der besten Plakate des Jahres 1950 gewählt / Rechts: ca 1949

Mit Robert Kloss führte Else Czulik von 1945 bis 1950 ein gemeinsames gebrauchsgrafisches Atelier. Der akademische Maler Kloss war zu seiner Zeit ein renommierter bildender Künstler, der in der Zwischenkriegszeit Mitglied des Hagenbundes gewesen war und gemeinsam mit Eduard Gärtner ein Reklameatelier geführt hatte. Kosmetik, Kindernahrung, Waschmittel, Malzkaffee und Textilien gehörten zur Palette der vom „Atelier Czulik + Kloss“ beworbenen Produkte. Daneben gestaltete Else Czulik auch Werbung für Bademoden und Unterwäsche, wobei sie sich eben deutlich vom Pin-up-Stil ihrer Kollegen distanzierte.

Links: Atelier Czulik + Kloss, ca 1950 / Rechts: Das im Rahmen der „Plakatwertungsaktion der Stadt Wien“ ausgezeichnete Plakat von Else Czulik, 1951

Else Czulik hatte damals wohl ihre produktivste Phase, insbesondere was die Gestaltung von Plakaten betrifft. Immer mehr eignete sie sich dabei jenen Stil an, der für die amerikanische Illustration der 1940er und 1950er Jahre typisch war und auch charakteristisch für das Fünfzigerjahre-Design in Europa werden sollte. Wie ihre Kollegen Paul Aigner und Johnny Parth arbeitete sie vornehmlich mit Pastellkreiden, um dadurch sehr ansprechende weiche Verläufe, die an Airbrush-Illustrationen erinnern, zu erzielen.

Zwei von Czulik entworfene Arbeiten wurden im Rahmen der „Plakat-Wertungsaktion“ der Stadt Wien prämiert. Es waren dies „Alles Benger“, das zu einem der drei besten Plakate des Dezember 1951 und zur besten Arbeit des 4. Quartals 1951 gewählt wurde[19], sowie „Benger …der Badeanzug“, als eines der drei besten Wiener Plakate des Mai 1953. Dass Plakate im „amerikanisch-realistischen Stil“ ausgezeichnet wurden, war ungewöhnlich, da es die erklärte Linie der Aktion war, dem Schweizer Beispiel nachzueifern und „naturalistisch figurale“ Blätter gewöhnlich nicht als förderungswürdig eingestuft wurden.[20] Dazu kam noch, dass es damals generell ein Ziel kommunaler Kulturpolitik war, gegen Erscheinungen der von den USA geprägten Populärkultur im Zuge von „Anti-Schmutz-und-Schund-Kampagnen“ einzutreten. Prompt protestierte auch eine Gruppe von Grafikern gegen die Auszeichnungen des Dezember 1951 mit dem Argument, dass die „zu prämierenden Plakate nach kulturellen und nicht nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten beurteilt werden“ sollten. Zu der Runde der ausschließlich männlichen Kritiker gehörten Grafiker, die allesamt eine andere Linie vertraten, wie etwa Willi Bahner, Hans Fabigan, Hermann Kosel, Victor Slama oder Georg Schmid.[21] Eine der drei prämierten Arbeiten war ein Ausstellungsplakat des renommierten Bildhauers Wander Bertoni für den Art-Club, das wohl nicht mit dem Protest gemeint war. So bleiben „Wärme wirkt Wunder – Wimpassing-Wärmeflaschen“, das der erst zwanzigjährige Otto Stefferl für das Atelier Koszler entworfen hatte, und das dezente Benger-Plakat von Else Czulik.[22] Es ist bezeichnend, dass die Werbewirtschaft selbst mehr Sinn als Czuliks Kollegen für die Entwürfe der Grafikerin hatte. So etwa wählte die Fachzeitschrift „Werbung“ alleine drei Arbeiten von Czulik zu den besten Plakaten des Jahres 1950, nämlich „Elida Shampoo“, „Radion, Mammi…“ und „Cutex, Lippenstift“. Fast entschuldigend hieß es dazu: „Schließlich spricht das letzte Wort bei allen Plakaten, die rein wirtschaftlichen Zwecken dienen, die Verkaufsabteilung des betreffenden Unternehmens. Wir dürfen es daher diesen Firmen nicht übelnehmen, wenn sie bei guten Erfolgen mit der naturalistischen Richtung immer wieder auf solche Entwürfe greifen.“[23]

Links: Atelier Czulik + Kloss, 1949 / Rechts: Else Czulik, 1952

Nach dem Weggang von Robert Kloss nach Deutschland[24] und dessen Tod führte Else Czulik noch eine Zeit lang ein eigenes Atelier, bis sie selbst im Jahr 1953 nach München[25] übersiedelte, wobei sie sich allerdings erst mit 22. September 1955 offiziell aus Wien abmeldete.[26] In Deutschland nannte sich die Grafikerin, wie auch schon in der NS-Zeit, Else von Czulik, was formal gesehen lediglich den Charakter eines Künstlernamens haben konnte. Denn in der BRD war zwar das „von“ als Teil des Namens zugelassen, aber es gab  keine Regelung, die es österreichischen Staatsbürgerinnen ohne weiteres ermöglichte, einen Adelstitel in den Namen aufzunehmen.

In ihrer Münchner Zeit war Else Czulik vor allem in der Medienbranche tätig. So illustrierte sie, wie ihr Kollege Paul Aigner, Romane für die Zeitschrift „Revue“, beginnend mit Zeichnungen für „Wer bist du Geliebter…?“ von Wolfgang W. Parth im Jahr 1956.[27] Daneben gestaltete sie für den Münchner Franz Schneider Verlag Buch- und Einbandillustrationen, wie etwa das Cover für den von Erika Mann verfassten Jugendroman „Wenn ich ein Zugvogel wär!“ (1953) und die Bebilderung von „Alle Tage Gloria“ (ca. 1953) und „Ein Kind lebt in die Welt hinein“ (1956) von Felix Riemkasten. Außerdem arbeitete sie weiterhin im Bereich der Wirtschaftswerbung, wie ein Inserat für die Firma „4711“ aus dem Jahr 1954[28] oder der von ihr gestaltete Werbekalender 1958 für die Motorölfirma „Veedol“ beweisen. Über ihre späten Jahre ist bis dato nichts bekannt, Else Czulik verstarb am 13. März 1977 in München.[29]

[1] Im Gespräch mit dem Autor am 1. August 2011. Siehe auch: Resch, Heidelinde: 14 Grafikerinnen im Wien des 20. Jahrhunderts, Wien 2013, S. 26.
[2] Z.B. Online-Katalog der Deutschen Nationalbibliothek  oder Wien Geschichte Wiki (Stand, 2.11.2019).
[3] Österreichische Land-Zeitung, 26.1.1918, S. 3. Siehe auch: Wiener Zeitung, 30.9.1948, S. 2. Bei „Thurgau“ muss es sich also um einen Lesefehler handeln.
[4] Fragebogen für die Aufnahme in die „Berufsvereinigung der bildenden Künstler Österreichs“ (Kammer der bildenden Künstler), 1945 (Archiv der „Berufsvereinigung der bildenden Künstler Österreichs“).
[5] Historische Wiener Meldeunterlagen, Wiener Stadt- und Landesarchiv.
[6] Bewerbungsbogen der „Reichskammer der bildenden Künste“, 1937 (Archiv der „Berufsvereinigung der bildenden Künstler Österreichs“).
[7] Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv und Grafiksammlung, Sign.: PLA16308149; Neue Freie Presse, 26.7.1921, S. 6.
[8] Lehmanns Allgemeiner Wohnungsanzeiger nebst Handels- und Gewerbe-Adreßbuch für die Bundeshauptstadt Wien, 1921, 2. Bd, S. 185.
[9] Siehe Fußnoten 4 und 6.
[10] Seidels Reklame 1926/2, S.92; vgl. auch: Klinger, Peter: Das Atelier Neumann als Prototyp einer Werbeagentur in Österreich, in: Hans Neumann. Pionier der Werbeagenturen, Wien 2009 (= MAK Studies 15), S. 26ff.
[11] Schreiben an die „Reichskulturkammer für bildende Künste“ unterschrieben mit „Elise von Czulik-Thurya“ (Archiv der „Berufsvereinigung der bildenden Künstler Österreichs“).
[12] Siehe Fußnote 6.
[13] Freundliche Auskunft von René Grohnert vom 29.10.2019.
[14] Objektdatenbank des Deutschen Historischen Museums.
[15] Wienbibliothek im Rathaus, Sign.: P-13754.
[16] Der Landesleiter der Reichskammer der bildenden Künste beim Landeskulturverwalter Gau Sachsen, Übermittlungsschreiben, 10.11.1944 (Archiv der „Berufsvereinigung der bildenden Künstler Österreichs“).
[17] Anmeldung als Mitglied der Berufsvereinigung der bildenden Künste (Kammer der bildenden Künstler) Wien, 23.8.1945 (Archiv der „Berufsvereinigung der bildenden Künstler Österreichs“).
[18] Siehe Fußnote 4.
[19] König-Rainer, Julia: Die Plakatwertungsaktion der Stadt Wien 1951-1961. Unter besonderer Berücksichtigung der Bestände der Wienbibliothek im Rathaus. Hausarbeit zur Prüfung für den höheren Bibliotheksdienst, Wien 2008, S. 32, 40, 52f.
[20] Ebenda, S. 14.
[21] Ebenda, S. 12f.
[22] Wiener Plakatwertungsaktion 1951 Dezember, in: Werbung 1951/2/3, S. 8.
[23] Lichal, August: Österreichische Plakate 1950, in: Werbung 1951/2/3, S. 13.
[24] Robert Kloss ging nach Heidelberg, wo er einige Monate später, am 15.12.1950, verstarb, siehe: Werbung, 1951/1, S. 14.
[25] So Alexandra Smetana unter Berufung auf eine Information aus dem Münchner Stadtarchiv, siehe Maryška, Christian – Michaela Pfundner (Hrsg.): Willkommen in Österreich. Eine sommerliche Reise in Bildern, Wien 2012, S. 242; Auch anlässlich der Prämierung ihres Benger-Plakats im Mai 1953 gab sie als ihre Adresse „München, Theatinerstraße 3“ an (Siehe Fußnote 19, S. 53).
[26] Siehe Fußnote 5.
[27] Revue, 19.5.1956, S.12f.
[28] Revue, 11.12.1954, S. 15.
[29] Smetana, Alexandra: Biografien der Künstlerinnen und Künstler der Plakate, in: Maryška, Christian – Michaela Pfundner (Hrsg.): Willkommen in Österreich. Eine sommerliche Reise in Bildern, Wien 2012, S. 243.