Egon Schiele als Gebrauchsgrafiker

Detail einer Ansichtskarte der Wiener Werkstätte, 1910 (Alle Abbildungen: Wien Museum)

Egon Schiele hat seine große Anerkennung als bildender Künstler nicht im Bereich der Gebrauchsgrafik, sondern als Maler erlangt. Aber als Freund und Kollege von Gustav Klimt war er von der Ideologie der frühen Wiener Secession so sehr geprägt, dass auch ihm keine gestalterische Aufgabe zu minder erschien. Und daher hat Schiele, ebenso wie Klimt, zwar nur einige wenige Plakate geschaffen, aber schon diese Arbeiten wurden zu Ikonen der Kunstgeschichte.

Seine künstlerische Ausbildung erfuhr der am 12. Juni 1890 in Tulln in Niederösterreich geborene Egon Schiele an der Akademie in Wien, die er ab 1906 besuchte. Aufgrund von Differenzen mit seinem konservativen Lehrer Christian Griepenkerl trat Schiele 1909 aus der Akademie aus und gründete mit einigen künstlerisch Gleichgesinnten die „Neukunst-Gruppe“.

Ansichtskarten der Wiener Werkstätte, 1910

Im selben Jahr konnte er bereits Bilder im Rahmen der renommierten „Kunstschau 1909“ ausstellen.[1] Dadurch kam er auch mit Josef Hoffmann und der „Wiener Werkstätte“ in Kontakt, für die er einige Entwürfe lieferte, von denen jedoch nur drei Ansichtskarten im Jahr 1910 realisiert wurden. Sie zeigen drei Frauenbildnisse, von denen die ersten beiden Egon Schieles Schwester Gertrude darstellen.[2] Der Mitbegründer der WW, Fritz Waerndorfer, hielt Schiele für begabt, mochte aber dessen Art von Kunst nicht. In einem Brief an seinen Freund Carl Otto Czeschka notierte Waerndorfer 1910 über den jungen Künstler: „Der Schiele schreibt mir dieser Tage: ‚Bitte, bin ich wer oder nicht?‘. Das hab ich schon gfressen, wenn einer so schreibt.“[3]

Links: Plakat, 1910 / Rechts: Entwurf für ein Plakat, 1915

In relativ kurzer Zeit gelang es Schiele die der Moderne aufgeschlossene Kunstwelt davon zu überzeugen, dass er tatsächlich „wer“ war: Der Kunstkritiker der „Arbeiter-Zeitung“, Arthur Roessler, und einige bedeutende Sammler waren von seinem Schaffen rasch überzeugt. Neben Landschaftsbildern waren Körperhaltungen und Körperformen sowie die Beschäftigung mit dem eigenen Abbild bestimmende Themen seiner Kunst. Auch Schieles erstes Plakat, entstanden im Jahr 1912, zeigte ein Selbstbildnis. Die Affiche warb nicht für eine Ausstellung, sondern für einen Vortrag von Egon Friedell, veranstaltet vom „Akademischen Verband für Literatur und Musik in Wien“. Schiele benutzte dafür eine Zeichnung aus dem Jahr 1910, die ihn mit schmerverzerrtem Gesicht zeigt. Doch es sind nicht so sehr körperliche Beschwerden, die er damit ausdrückte, sondern seelisches Leid. Der „Akademische Verband“ verwendete das Sujet im Jahr 1912 auch noch für Konzertankündigungen sowie für das Titelblatt seiner Zeitschrift „Der Ruf“ zum Thema „Krieg“. Egon Schiele demonstrierte damit auch, warum er zu einem Hauptvertreter der Stilrichtung des Expressionismus wurde. Es war dies eine Vor- und Darstellungswelt, über die Hermann Bahr schrieb: „Da schreit die Not jetzt auf: der Mensch schreit nach seiner Seele, die ganze Zeit wird ein einziger Notschrei. Auch die Kunst schreit mit, in die tiefe Finsternis hinein, sie schreit um Hilfe, sie schreit nach dem Geist: das ist Expressionismus.“[4]

Ein vielleicht noch stärkeres Selbst-Bild fand Schiele im Jahr 1915 für ein Plakat zu einer Ausstellung seiner Werke in der Wiener Galerie Arnot. Dafür entwarf der Künstler eine Affiche, die ihn als heiligen Sebastian zeigt, die aber auch an den gekreuzigten Christus erinnert. Die Arbeit, die vor allem auch ein Symbolbild für die Leiden der Menschen im Ersten Weltkrieg darstellt, hat sich nur als Originalentwurf erhalten und kam offenbar nie zur Drucklegung.

Plakat, 1918

Die endgültige künstlerische Anerkennung erhielt Egon Schiele mit der 49. Ausstellung der Wiener Secession im Jahr 1918, wobei der Hauptteil der Schau seinen Bildern gewidmet war. Auch mit seinem Entwurf für das Ankündigungsplakat konnte er sich durchsetzen. Die Affiche zeigt eine Runde von Künstlerfreunden in der Nachfolge zweier ähnlicher Arbeiten von Schiele. Abermals greift er in dieser Darstellung auf eine katholische Bildnistradition zurück: Assoziationen zum heiligen Abendmahl kommen umso mehr auf, als in einer der Vorstudien statt der Bücher Teller zu sehen sind. Die wichtigste Person ist bei dieser Anordnung abwesend. Ein leerer Platz erinnert an den kurz zuvor verstorbenen Künstlerfreund Gustav Klimt: „Anwesend als Abwesender, gemahnt die väterliche Figur Klimt an das Nichtsein und den Abschied, der in Sage und Neuem Testament zum leidvollen Thema wird“, wie Tobias G. Natter und Thomas Trummer in ihrer Studie zur „Tafelrunde“ schreiben.[5]

Lange konnte sich Schiele seines großen Erfolgs leider nicht erfreuen: Am 31. Oktober 1918 verstarb er, drei Tag nach dem Tod seiner schwangeren Frau Edith, an der sogenannten „Spanischen Grippe“ in Wien.

Printpublikation in: Bernhard Denscher, Gebrauchsgrafik aus Österreich. 51 Lebensläufe. Aesculus Verlag, Wolkersdorf 2022, S. 141–145. 

[1] Katalog der internationalen Kunstschau Wien 1909, S. 35ff.
[2] Staggs, Janis: Egon Schiele, in: Schmuttermeier, Elisabeth – Christian Witt-Dörring (Ed.): Postcards of the Wiener Werkstätte. A Catalogue Raisonné. Selections from the Leonard A. Lauder Collection, Ostfildern 2010, S. 329.
[3] Spielmann, Heinz: Carl Otto Czeschka. Ein Wiener Künstler in Hamburg. Mit unveröffentlichten Briefen sowie Beiträgen von Hella Häussler und Rüdiger Joppien, Göttingen 2019, S. 172.
[4] Bahr, Hermann: Expressionismus, München 1920, S. 111.
[5] Natter, Tobias G. – Thomas Trummer: Die Tafelrunde. Egon Schiele und sein Kreis, Köln 2006, S. 189.