Frühe österreichische Eisenbahnplakate

Gustav Jahn, Ausschnitt aus einem Plakat für die Tauernbahn, 1907 (Alle Abbildungen: Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv und Grafiksammlung)

„Im Sommer 1897 tauchte an den Wiener Strassenecken ein gar phantastisches Plakatbild auf, das dazumal grosses Aufsehen hervorrief,“ berichtete die Salzburger „Fremden-Zeitung“ im Jahr 1899.[1] Die Rede war in dem Artikel von einem Plakat für die Schneebergbahn, das einen geflügelten Riesen zeigt, der auf seinen Schultern eine Reisegruppe auf den Wiener Hausberg bringt. Diese dramatische Szene hatte ein Künstler geschaffen, dem noch weitere bemerkenswerte Affichen gelangen und der vor allem als Ausstattungsleiter der Wiener Hofoper in der Ära von Gustav Mahler Theatergeschichte machte: nämlich Alfred Roller. Entstammte die Idee, als Sinnbild der Technik ein mythisches Fabelwesen dazustellen, noch der Symbol-Welt des Historismus, so wies der Bildaufbau des Blattes mit seiner flächigen Gestaltung und der Fokussierung auf ein dominierendes Bildmotiv bereits in die Moderne. Das war insofern bemerkenswert, als gegen Ende des 19. Jahrhunderts gerade die Plakatwerbung für Eisenbahnen nicht nur in Österreich, sondern in ganz Europa noch vorwiegend konservativen Darstellungsstrukturen folgte.

Links: Johannes Weber – Peter Balzer, 1898 / Rechts: Alfred Roller, 1897

Die meisten derartigen Reklamen waren sehr kleinteilig illustriert, ergänzt mit einer Fülle von Details zu Streckenführungen und Fahrplänen. Dieses Phänomen veranlasste den französischen Kunsthistoriker Ernest Maindron schon im Jahr 1896 in seinem Standardwerk Les affiches illustrées zu der kritischen Bemerkung, dass die verantwortlichen „Ingenieure“ der Bahngesellschaften wenig Verständnis in Kunstfragen hätten und die starren Vorgaben der „Compagnien“ die Kreativität der Entwerfer beeinträchtigte.[2]

„Additive Veduten“ – die frühen Bahnplakate

Um 1880 hatten sich in Frankreich aus den öffentlich affichierten Fahrplänen farbige Bildplakate entwickelt. Stilprägend war in diesem Bereich Fréderic Hugo d’Alesi (1849-1906), „der die Fülle an Information und Dekoration in einem eigenen Stil zusammenführte und damit offensichtlich genau den Geschmack des Zielpublikums traf.“[3] Auch aus Österreich sind Beispiele für diese Form des „additiven Vedutenplakates“[4] erhalten, wie etwa die Affiche Wien-Triest der Südbahn-Gesellschaft aus dem Jahr 1898.[5] Das in Zürich gedruckte und von dem Schweizer Grafiker Johannes Weber (1846-1912) und dem Liechtensteiner Peter Balzer (1855-1916) gezeichnete Blatt belegt den bereits globalisierten Geschmack im Genre des Tourismusplakates.[6] Die Affiche wirkt mit nicht weniger als elf Einzelbildern wie eine Postkarten-Collage mit Ansichten von Sehenswürdigkeiten entlang der beworbenen Strecke.

Der „Bergmaler“ Gustav Jahn 

Eine für Österreich frühe Abkehr von der üblichen illustrativen Kleinteiligkeit in diesem Bereich stellt das vom jungen Künstler Gustav Jahn (1879-1919) entworfene Plakat für das Südbahnhotel aus dem Jahr 1904 dar. Der in Wien geborene Gestalter hatte sich nicht nur als „Bergmaler“ überaus erfolgreich positioniert, sondern war auch als ausgezeichneter Bergsteiger, Kletterer, Schispringer und Schiläufer bekannt.[7] 1904 erhielt Jahn für eine Reihe großformatiger Alpenbilder, die er im Auftrag der österreichischen Staatsbahnen gemalt hatte, bei der Weltausstellung in St. Louis eine Auszeichnung. Die Ansichten schmückten später Räume des Wiener Westbahnhofes, und auch der Südbahnhof wurde mit großen Ölgemälden von Gustav Jahn ausgestattet.[8] Bereits vor seinen Plakatentwürfen hatte Gustav Jahn im gebrauchsgrafischen Bereich Erfahrungen gesammelt, denn seit seiner Studienzeit illustrierte er die Verkaufskataloge für das bekannte Wiener Sporthaus von Mizzi Langer.[9]

Links: Gustav Jahn, 1907 / Rechts: Otto Barth, 1911

Im Jahr 1907 war der 28jährige Künstler schon so anerkannt, dass er einen weiteren thematisch einschlägigen Großauftrag erhielt. Denn nach 1900 waren einige neue Alpenstrecken fertig geworden, die neue touristische Gebiete erschlossen und nun auch eine entsprechende Bewerbung benötigten.[10] Eine Wiener Kunstzeitschrift brachte damals folgende aufschlussreiche Meldung, die nicht nur die Anerkennung Jahns durch die Fachwelt beweist, sondern auch einige bis heute fragliche Datierungen zu klären hilft: „Als Plakate der k.k. österreichischen Staatsbahnen sind folgende farbige Originallithographien von Gustav Jahn erschienen: ‚Wachau’, ‚Tauernbahn’, ‚Hohe Tauern’, ‚Arlberg’ und ‚Ragusa’. Die vorzüglichen Blätter sind von intimerer Wirkung, mehr für den Bahnhof als für die Straße bestimmt. Die beiden ersten sind wohl am effektvollsten, das letzte aber hat die zartesten Reize. Man muß sich freuen, daß der begabte junge Künstler, der z. B. den Lagerkatalog eines großen Wiener Touristengeschäftes – freilich famos – illustriert hat, diese Aufträge bekommen hat, und daß an maßgebender Stelle die Einsicht besteht, derlei Arbeiten einer Künstlerhand anzuvertrauen.“[11] Jahn versuchte bei diesen Arbeiten von der Kleinteiligkeit früherer Bahnplakate wegzukommen – was nicht immer gelang –,  aber immerhin hatten die in Schrift und Ornamentik vom Jugendstil geprägten Plakate einen zeitgemäßen Charakter. Die Blätter waren zwar noch nicht wirklich flächig „plakativ“, weil sie weiterhin die Bildwirkung von Gemälden hatten, aber da sie für den Gebrauch in den Innenräumen der Bahnhöfe gedacht waren, konnte hier der dekorative Charakter im Vordergrund stehen.

„Gemäßigte Modernität“ 

Trotz gewisser Zugeständnisse an die traditionellen Schaugewohnheiten eines breiten Publikums versuchte die Bahnverwaltung weitere Innovationen in ihrem Erscheinungsbild zu erreichen und führte dabei das Konzept, ihr Angebot mit künstlerisch gestalteten Plakaten im Stil einer „gemäßigten Modernität“ zu bewerben, konsequent weiter.[12] So haben sich von Gustav Jahn 16 Bahnplakate erhalten, und auch andere namhafte Maler und Grafiker, wie Ferdinand Brunner (1870–1945), Karol Jozef Frycz (1877-1963) oder Alfred Offner (1879-1947), erhielten entsprechende Aufträge. Neben Gustav Jahn war wohl dessen Künstlerfreund und Berggefährte, der „Alpenmaler“ Otto Barth (1876-1916), einer der bedeutendsten Vertreter dieses Genres.[13] Allerdings erhielt Barth weniger Plakataufträge als Jahn, vielleicht auch, weil seine Arbeiten schon um einiges moderner waren als die seines Freundes. Sein malerischer Blick war bereits deutlicher von der Fotografie geschult als der von Gustav Jahn, und das von ihm gewählte Rahmendekor war nicht mehr, wie bei Jahn, dem floralen Jugendstil verhaftet, sondern schon an der strengen geometrischen Ornamentik à la Wiener Werkstätte orientiert.

Bilderbuch der Monarchie 

Gemeinsam war allen Grafikern der Bahnplakate, dass sie fast nie die Technik des Verkehrsmittels thematisierten, keine Begeisterung für die neuen Maschinen vermittelten, sondern durchgängig idyllisierte, bilderbuchartige Veduten aus den Ländern und Städten der Monarchie boten. Wenige Jahre vor dem Zusammenbruch Österreich-Ungarns wurde damit die Vorstellung einer stabilen Verbindung von den Sudeten bis zur Mittelmeerküste und von den Hochalpen bis in die Bukowina beschworen. Es ist kein Zufall, dass die Illustrationen in ihrer unbeschwerten Naivität eine gewisse schul- und bilderbuchartige Anmutung haben: Denn sowohl Gustav Jahn wie auch Otto Barth entwarfen auch „Wandtafeln für Schule und Haus“ für die k.k. Hof- und Staatsdruckerei.[14] Den pädagogischen Wert der Bahnreklamen lobte auch der Sammler und Experte Ottokar Mascha, der in seiner 1915 erschienenen Monografie zum österreichischen Plakat schrieb: „Es ist ein Verdienst der Südbahngesellschaft, besonders aber der k.k. Staatsbahnen, die zur Hebung des Fremdenverkehrs auf diesen Bahnen notwendig gewordenen Ansichtsplakate wirklichen Künstlern anvertraut zu haben und dergestalt trotz erhöhter Kosten mit vollem Bewußtsein auch erzieherisch zu wirken.“[15]

[1] Die Hochschneebergbahn bei Wien, in: Fremden-Zeitung, 5. August 1899, S. 1; der Verfasser dankt Herrn Christian Maryška für den Hinweis auf diesen Artikel.
[2] Ernest Maindron: Les affiches illustrées: 1886-1895, Paris 1896, S. 130-134; Vgl. dazu auch: Alain Weill: L’invitation au voyage. L’affiches de tourisme dans le monde, Paris 1994, S. 13.
[3] René Grohnert: Vom Fahrplan zur Sehnsuchtsfläche. Plakate für Luxusreisen um 1900, in: Mit dem Zug durch Europa. Plakate für Luxusreisen um 1900 (Ausstellungskatalog Deutsches Plakat Museum im Museum Folkwang), Göttingen 2010, S. 22.
[4] Corinna Rösner: Zur Geschichte des Reiseplakates, in: Florian Hufnagl (Hg.): Reiselust. Internationale Reiseplakate (Ausstellungskatalog Die Neue Sammlung München), S. 22.
[5] Bernhard Denscher: Wien-Triest, in: Tagebuch der Straße. Geschichte in Plakaten, Wien 1981, S. 80-82.
[6] Adulf Peter Goop: Die Liechtensteiner Bergwelt um 1900 gezeichnet von Ing. Peter Balzer, in: Eintracht. Zeitschrift für Heimat und Brauchtum, Ostern 2007, S. 13-28.
[7] Egid Filek, Karl Sandtner: Gustav Jahn. Ein Maler- und Bergsteigerleben, [3.erw. Aufl.] Wien/Berlin/Leipzig 1933.
[8] Ausführliches Material zu Gustav Jahn bietet die Website: http://www.gustav-jahn.at/.
[9] Wolfgang Krug: „Für den wahren Alpinisten ist doch nur das Beste gut genug!“ Gustav Jahn und Mizzi Langer-Kauba – Illustrationen für Wiens führendes Touristen-Fachgeschäft, in: Erika Oehring (Hg.): Alpen. Sehnsuchtsort & Bühne (Ausstellungskatalog Residenzgalerie Salzburg), Salzburg 2011, S. 115-136.
[10] Wilhelm Tausche: Werbeplakate für die österreichischen Alpenbahnen, in: Reisen und leben (1991), H. 22, S. 14-15.
[11] A[rpad] W[eixlgärtner]: Publikationen der k. k. Hof- und Staatsdruckerei, in: Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst. Beilage der graphischen Künste (1907), H. 2, S. 53.
[12] Christian Maryška: Einleitung, in: Christian Maryška (Hg.): Schnee von gestern. Winterplakate der Österreichischen Nationalbibliothek, Wien 2004, S. 9.
[13] Josef Soyka: Der Alpenmaler Otto Barth, in: Zeitschrift des deutschen und österreichischen Alpenvereins, Bd LXII (1931), S. 1-18.
[14] Werner J. Schweiger: Aufbruch und Erfüllung. Gebrauchsgraphik der Wiener Moderne, Wien/München 1988, S. 207.
[15] Mascha, Ottokar: Österreichische Plakatkunst, Wien 1915, S. 77.

Aktualisierte Fassung des Artikels:
Bernhard Denscher: Aus dem Bilderbuch der Monarchie. Österreichische Eisenbahnplakate um 1900, in: Christian Maryška – Michaela Pfundner (Hg.): Willkommen in Österreich. Eine sommerliche Reise in Bildern, Wien 2012, S. 76 – 92.