Ein Plakat und sein Plagiat

In der Ausstellung zu den ersten Wahlen der Weimarer Republik im Hamburger „Museum für Kunst und Gewerbe“ hängt auch ein Plakat der SPD, das den Kampf des „Roten Arbeiters“ gegen die vereinte „Reaktion“ zum Inhalt hat. Drei Symbolfiguren, die für Großgrundbesitzer, Militär und Manchesterkapitalismus stehen, versuchen den Proletarier in Ketten zu legen, wogegen sich der rote Mann heftig und offensichtlich erfolgreich wehrt. Geschaffen hat die Affiche Walter Riemer (1896–1942), einer der produktivsten deutschen Gebrauchsgrafiker seiner Zeit und außerdem zeitweise geschäftsführender Vorsitzender des „Bundes deutscher Gebrauchsgraphiker“. Riemer arbeitete viel für die Wirtschaft, und im politischen Bereich blieb er nicht bei den Sozialdemokraten, sondern tendierte in der Folge zu rechten Parteien und Gruppierungen. Auch im nationalsozialistischen Deutschland war er ein vielbeschäftigter Grafiker, so stammt unter anderem die Rückseite der 1942 herausgekommenen Fünf-Reichsmark-Banknote von ihm.

Wahlplakat, Deutschland, 1919, Entwurf: Walter Riemer, Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg

Interessant an dem Plakat „Nieder mit der Reaktion“ ist aus österreichischer Sicht der Umstand, dass sich im Steirischen Landesarchiv ein ganz ähnliches Wahlplakat der steirischen Sozialdemokratie befindet. Dass das deutsche Plakat von Riemer früher erschienen sein muss, erklärt sich aus dem Umstand, dass die ersten Wahlen in Deutschland am 19. Januar 1919 stattfanden, jene in Österreich aber erst am 16. Februar 1919, wobei generell Wahlplakate erst relativ knapp vor dem Wahltag zum Einsatz kamen.

Wahlplakat, Österreich, 1919, nach dem Entwurf von Walter Riemer

Das steirische Blatt hat also eindeutig die deutsche Arbeit zum Vorbild, Stil und Grundstruktur sind gleich. Zwei Personen wurden allerdings ausgetauscht: Statt des deutschen Soldaten mit Stahlhelm findet man in der österreichischen Arbeit einen hochrangigen kaiserlichen Militär mit dem typischen „Stulphut“ mit Federbusch, und der feiste Unternehmer wurde durch einen dicken katholischen Geistlichen ersetzt. Auf der österreichischen Variante des Blattes findet sich auch nicht die Signatur des Entwerfers, sondern stattdessen der Name der Grazer Druckerei „Senefelder“.

Das Steirische Landesarchiv hat die Arbeit mit 1932 datiert, das Autorenduo Polaschek-Riesenfellner bezeichnen es in ihrem Buch über die Plakate der Steiermark als ein „Wahlplakat der 20er Jahre“[1], womit sie der Wahrheit schon näher kommen. Am wahrscheinlichsten ist jedoch, dass das Plakat in direkter zeitlicher Folge zur deutschen Affiche erschien, also ebenfalls im Jahr 1919 für den ersten Wahlkampf in der Ersten Republik am 16. Februar und/oder für die steirischen Landtagswahlen am 11. Mai eingesetzt wurde.

Da man Anfang des Jahres 1919 in Österreich noch von einer Vereinigung mit der deutschen Republik ausging, was besonders von der österreichischen Sozialdemokratie stark präferiert wurde, orientierte man sich offensichtlich bewusst am Wahlkampf der Deutschen. Ob die steirischen Sozialdemokraten diese „Anleihe“ an dem deutschen Vorbild allerdings mit Wissen und Genehmigung der deutschen Genossen machten oder ob sie sich einfach daran bedienten, lässt sich nicht mehr feststellen.

[1] Polaschek, Martin F. – Stefan Riesenfellner: Plakate. Dokumente zur steirischen Geschichte 1918–1955, Graz 2000, S. 24f.