Jianping He – Designer

Alle Abbildungen: ©Jianping He

Vor vielen Jahren nahm ich zunächst die Plakate von Jianping He wahr. Es war das dreiteilige Plakat für Antalis (2006), was mir als erste Arbeit eindrücklich in Erinnerung ist. Auch ist er einer der Gestalter, deren Arbeiten im Rahmen des Wettbewerbs der „100 besten Plakate“[1] immer wieder ausgezeichnet und ausgestellt wurden.

Ebenfalls im Jahre 2006 erhielt Jianping den Preis des „Plakat Kunst Hofs Rüttenscheid“[2], dort lernten wir einander dann auch persönlich kennen. Von diesem Zeitpunkt an blieben wir in Kontakt. Immer wieder erfuhr ich von seinen zahlreichen Projekten. Schnell wurde mir klar, dass hier jemand mit weitreichenden Talenten unterwegs war. Neben seinen gestalterischen Arbeiten für Bücher und Plakate entwarf er Ausstellungsarchitekturen und Inneneinrichtungen für Museen. Eine zeitweilige Lehrtätigkeit an der Akademie der Künste kam hinzu und eine Doktorarbeit entstand: Die erste ausführliche Darstellung der Geschichte des chinesischen Plakats.[3]

Jianping kuratiert Ausstellungen, hält Vorträge, vermittelt kulturellen Austausch zwischen chinesischen und deutschen Studenten, betreibt in Hangzhou und in Berlin Designbüros… Eine Arbeitsintensität, die sich aber offenbar nicht auf die Qualität seiner eigentlichen gestalterischen Arbeiten negativ auswirkt, ganz im Gegenteil. Zahlreiche Preise im In- und Ausland bestätigen die Qualität seiner außergewöhnlichen Bildfindungen, zuletzt 2019 bei dem „Taiwan International Graphic Design Award“[4].

Aus der Vielfalt der Arbeitsbereiche von Jianping möchte ich auf die drei besonders eingehen, die meiner eigenen Arbeit am nächsten liegen und die auch wie ein Dreiklang miteinander verbunden sind: Fläche, Materialität und Raum. Angesprochen werden hier die Aspekte, die es aus meiner Sicht Jianping ermöglichen, das Zusammenspiel scheinbar verschiedener Arbeitsthemen miteinander und in gegenseitiger Befruchtung zu entwickeln.

Fläche

Die Flächenbehandlung und Flächengestaltung bei seinen Plakaten folgt bei Jianping keinem bestimmten Muster oder einer bestimmten Richtung. Es gibt keinen Stil, der einem auf den ersten Blick klarmacht, das könnte von Jianping sein, zu vielseitig sind seine Bild-Wort-Erfindungen. Wiedererkennt man hingegen seine Porträt-Montagen. Hier ist die scheinbare Wiederholung eines Prinzips erkennbar, in der Ausführung ergeben sich dann spezifische Schöpfungen. Die Ergebnisse der Experimente kann man in verschiedenen Variationen betrachten.

Die Fotografie spielt eine zentrale Rolle bei der Auswahl der Motive, steht aber selten allein. Zumeist sind sie verfremdet oder überlagert, farblich verändert oder kompositorisch mit der Typografie auf das engste verwoben.

Auch finden sich immer wieder Naturmotive aus seiner Heimatregion rund um Hangzhou – vielfach von Wolken umgebene Berglandschaften.

Typografische Experimente finden sich ebenfalls immer wieder. Es sind solche mit chinesischen Schriftzeichen und solche mit lateinischen Buchstaben, traditionelle kalligrafische Techniken werden z.B. auf „unsere“ Buchstabenwelt angewendet. Solche Verschränkung und Durchdringung kann man nur von jemandem erwarten, der ein tiefes Verständnis beider Schreibwelten hat, und Jianping verbindet diese nicht nur formal, sondern auch inhaltlich miteinander, was seine Flächen immer wieder spannend macht. Aus diesem Grunde zählen seine Plakate für mich mit zu den wichtigsten Neuerungen im Plakatdesign der letzten Jahre.

Materialität

Traditionsgemäß liegt auf der Qualität des Haptischen in China (wie auch in Japan) eine höhere Aufmerksamkeit als bei uns.[5] Dies hat verschiedene Ursachen. Da die Werbung mit Plakaten z.B. überwiegend in öffentlichen Innenräumen wie Passagen, Bahnhöfen etc. stattfindet, ist man dem Plakat oftmals sehr nah. Man erkennt Papierart, Drucktechnik und andere Spezialitäten wie Prägungen, Metallfolien etc. So gilt es, die gestalterische Idee durch die Auswahl der Materialien zu stützen. Dabei stehen die Materialien selbst für bestimmte Eigenschaften. Die Komplexität in diesem Zusammenspiel bestimmt das Gesamtbild – und dies selbst bei einem Verbrauchsgut wie dem Plakat.

Noch deutlicher wird dieser Zusammenhang bei der Buchgestaltung. Die von Jianping gestalteten Bücher bieten zum einen eine pragmatische Nutzbarkeit, zum anderen sind sie auch sehr oft gleichzeitig Buch-Objekt. Das Buch ist für Jianping mehr als nur die Ansammlung von vielen Seiten, die zu einem Buchblock gebunden werden. Format, Papier(e), Drucktechnik(en), Farben, alles wird abgestimmt auf den Inhalt. Abbildungen werden extra gedruckt und eingeklebt, Papiere wechseln von weiß auf farbig, von dick nach dünn, raffinierte Faltungen eröffnen neue Möglichkeiten, Schnitte erfordern einen vorsichtigen Gebrauch, es wird gebohrt, oder der Buchschnitt wird sinnfällig eingefärbt.

Auch die äußere Hülle erfährt besondere Aufmerksamkeit. Schuber aus Holz oder Karton oder bezogenem Karton, Prägungen, Bohrungen und Stanzungen, offene Bindungen und sogar gefräste Buchdeckel geben dem jeweiligen Buch etwas Einzigartiges. Es erfährt eine wesentliche Aufwertung, wird es doch viel deutlicher als dreidimensionaler Gegenstand kenntlich gemacht, und was die Augen sehen, macht die Hände neugierig, man will es benutzen und erfahren, fühlen und auch riechen; und dann will man es auch irgendwann lesen, wenn die Hände bereit sind, still zu halten, um die Seiten zum Lesen anzubieten.

Damit befindet sich Jianping in guter Gesellschaft der besten chinesischen und japanischen Buchgestalter unserer Tage.

Raum

Dass Jianping auch Räume zu inszenieren weiß, das belegen seine Arbeiten als Ausstellungsgestalter. Zuerst durfte ich das im Jahre 2011 erleben, als er die Ausstellung „De Sein“ im Hong Kong Design Center organisierte.[6] Die Räume waren nicht einfach zu bespielen, die Vielfalt und Unterschiedlichkeit des Materials waren herausfordernd. Die Ausstellung aber hinterließ den Eindruck, als wären die Räume genau für diese Ausstellung konzipiert worden.

Im Jahre 2015 kuratiert Jianping die erste Ausstellung des japanischen Grafikdesigners Shin Matsunaga in Festland-China, in der „OCT Art & Design Gallery“ in Shenzhen.[7] Auch hier war es die Vielfalt eines Lebenswerks, das es auszustellen galt. Der Einsatz des Lichts zur punktuellen Schwerpunktbildung war – neben den Objekten selbst natürlich – ein, im wahrsten Sinne des Wortes, Highlight für mich.

Im gleichen Jahr arbeiteten wir dann auch erstmals gemeinsam an der Ausstellung: „Schriftbilder – Bilderschrift“.[8] Es galt, Arbeiten von über 50 Designern zu sichten, zu organisieren, zu transportieren und entsprechend auszustellen. Während dieses Prozesses lernte ich einiges darüber, worauf Jianping mit „chinesischen Augen“ achtete. Farben, Strukturen, Zahlen… viele Dinge sind mit Bedeutungen belegt, die einem als Außenstehendem nicht bekannt sind, und doch beeinflussen sie die Ausstellungsstruktur und Gestaltung mit. Hier entstand ein Subtext, den die chinesischen Besucher hoffentlich bemerkt haben.

Neben weiteren, hier nicht erwähnten Ausstellungen hat Jianping mittlerweile eine eigene Galerie gegründet, das „Center for Visual Arts Berlin“; die Räumlichkeiten schließen direkt an sein Studio an.[9] Damit wird eine neue Möglichkeit geboten, asiatische Kunst und Grafikdesign zu erleben.

Nachbetrachtung

Die Besonderheit der Arbeit von Jianping liegt meines Erachtens nach auch an seiner Sozialisierung in zwei Kulturen. Er wächst in China auf, beginnt dort zu studieren und geht dann nach Deutschland, um dort weiter zu lernen. Er bleibt in Berlin und findet schnell in die dortigen Strukturen.

Einem solchen „Pendler“ zwischen zwei Kulturen bleiben im Wesentlichen zwei Möglichkeiten: Entweder er passt sich der neuen Kultur an, oder er bleibt in seiner ursprünglichen Gedankenwelt, was das Dasein in einer Art Parallelgesellschaft zur Folge hat. Jianping hat einen aktiveren Weg gewählt. Er bezieht Grundsätzliches aus der chinesischen (Design-)Kultur und bringt es mit der westlichen (Design-)Kultur in Berührung. Seine „kulturelle Staatsbürgerschaft“ kann man vielleicht als Euro-Chinesisch beschreiben.[10]

Er setzt die beiden Welten in Bezug, lässt aber immer erkennen, wo der Gegensatz liegt, wo die Gemeinsamkeit.[11] Dieses „Spiel“ mit den Elementen bringt jeweils Neues und Überraschendes – und das in all seinen Arbeitsbereichen. Die Vielseitigkeit von Jianping lässt sich auch aus dem großen Formen- und Ideen-Repertoire erklären, welches ihm zur Verfügung steht sowie seiner Fähigkeit, dies immer wieder neu, variabel und kontrastreich zu nutzen. Das zu Anfang erwähnte Plakat für Antalis ist so ein Beispiel: Es bezieht seine Faszination aus der großen Form, die sich aus sichtbar bleibenden Mikrokonstruktionen zusammensetzt.

Hinzu kommt seine Fähigkeit, sich in allen möglichen künstlerischen Techniken – ob analog oder digital, ob historisch oder modern – ausdrücken zu können. Auch diese Vielseitigkeit ist es, die sein Schaffen ausmacht. Der Fokus liegt auf dem gewollten Ergebnis, dieses Ziel bestimmt die Wahl der Mittel. Dies können traditionelle Kalligrafie, Tuschmalerei, Fotografie oder Real- und Fotomontage, digitale Bildbearbeitung oder typografisches Experiment sein.

Schaut man auf das Schaffen von Jianping, so ist es zunächst die Vielfältigkeit der Themen, die er bearbeitet, das Universelle, das auffällt. Was man dazu erstaunt wahrnimmt, ist die Qualität, die er in vielen Bereichen zu bieten hat. Diese wiederum schöpft er aus vielfältigen chinesischen und europäischen Quellen, die er immer wieder neu zu kombinieren weiß. Ich bin sicher, dass der Spagat, zwischen den Kulturen zu agieren, auf der einen Seite recht anstrengend ist, auf der anderen Seite bin ich aber auch sicher, dass das Talent von Jianping genau daraus einen Nutzen zu ziehen auch seinen außergewöhnlich vielfältigen Erfolg erklärt. Auch unbeabsichtigt reiht er sich mit diesen Fähigkeiten ein in die Riege der Universalkünstler, die am Anfang des 20. Jahrhunderts in Deutschland und Österreich reüssierten.[12]

Text von René Grohnert aus dem Katalog zur Ausstellung „daydream – jumping he“, die von 27. März 2021 – 30. Mai 2021 im „Sea World Culture and Arts Center“ in Shenzen in China stattfand. Der Originaltitel des Beitrags lautet: „Fläche – Materialität – Raum. Über die Vielseitigkeit – ein Plädoyer“.

[1] Der Wettbewerb der „100 besten Plakate“ wird seit 1966 durchgeführt. Seit 2001 organisiert ihn der Verein 100 Beste Plakate e.V. mit Sitz in Berlin. Seitdem werden neben Deutschland auch Plakate aus Österreich und der Schweiz beim Wettbewerb aufgenommen. Zwischen 2004 und 2018 wurden im Rahmen des Wettbewerbs um die 100 besten Plakate aus Deutschland, Österreich und der Schweiz insgesamt 16 Plakate von Jianping He ausgezeichnet. Seit 2006 wird die Ausstellung auch im Deutschen Plakat Museum in Essen gezeigt.
[2] Der „Plakat Kunst Hof Rüttenscheid“ wurde auf Initiative von Feliks Büttner und Viktor Seroneit (1946-2011) 1995 in Essen gegründet. Ziel war die Unterstützung des „Deutschen Plakat Museums“ und die Förderung des internationalen Austauschs mit der Grafik-Designer-Szene. Dabei waren Plakatwettbewerbe und Preisverleihungen zentrale Aktivitäten. Namhafte Gestalter waren unter den Preisträgern: 1998: Niklaus Troxler; 1999: Pierre Bernard / Vivian Harder; 2000: Waldemar Swierzy; 2001: Volker Pfüller; 2002: David Tartakover; 2003: Kari Pippo; 2004: Melchior Imboden; 2005: Anette Lenz; 2006: Jianping He; 2007: Istvan Orosz; 2008: Mieczyslaw Wasilewski; 2009: Alain Le Quernec; 2010: Stephan Bundi; 2011: Malte Martin.
[3] Jianping He: Entwicklungsgeschichte des Plakates in China: Anfang 19. Jahrhundert bis Ende Kulturrevolution, Berlin 2012.
[4] Jianping He erhielt hier den Gold Award für die Gestaltung des Buches über Henryk Tomaszewski, Shanghai 2017.
[5] In Deutschland ist das Plakat überwiegend für den Außeneinsatz konzipiert, d.h., das Format und die Bildidee stehen im Mittelpunkt der gestalterischen Aufmerksamkeit. Die angenommene Betrachtungsentfernung ist sehr viel größer, sodass bestimmte, kleinteilige und unauffällige Details nicht mehr auffallen können und demzufolge auch keine große Beachtung – in Entwurf und Wahrnehmung – finden.
[6] „De Sein: German Graphic Design from Postwar to Present”, Hong Kong Design Center, November 2011. Die Räume, die drei große Bereiche aufnahmen, wurden in den Farben der deutschen Fahne gehalten. Der schwarze Raum präsentierte das Corporate Design, der rote Raum die Plakate, der gelbe Raum die Bücher.
[7] Shin Matsunaga – The Three Meter Radius, OCT Art & Design Gallery, Shenzhen. Oktober-November 2015.
[8] Schriftbilder – Bilderschrift. Chinesisches Plakat- und Buchdesign heute, Museum Folkwang, Juni-Juli 2015. Zweite Station war im Frühling 2017 die Berliner Kunstbibliothek, danach das historische Gebäude der Industrie- und Handelskammer zu Hamburg.
[9] Eröffnet wurde die Galerie im Dezember 2019 mit der Ausstellung: Hideki Nakajima: Made in Japan, Tokyo.
[10] In Anlehnung an eine Aussage des Designers Henry Steiner: „Ich lebe schon seit fünfzig Jahren in Hong Kong […]. Was meine ‚kulturelle Staatsbürgerschaft‘ betrifft, so bin ich gefühlsmäßig weitgehend Euro-Brite.“ Siehe: Henry Steiner: „Eine sehr ‚weanerische‘ Sensibilität“, Henry Steiner im Gespräch mit Jianping He.
[11] René Grohnert: The distant so close – Posters by Jianping He. In: ggg (Hrsg.): Flash Back, Tokio 2012, S. 12.
[12] Die Fülle der Themen, die Jianping bearbeitet, haben mich z. B. an Koloman Moser (1868-1918) und Emil Pirchan (1884-1957) erinnert, die sich ihre Aufgabenfelder ähnlich weit gesteckt haben. Siehe dazu u.a.: Museum für Angewandte Kunst (Hrsg.): Koloman Moser: Universalkünstler zwischen Gustav Klimt und Josef Hoffmann, Wien 2019, sowie: Beat Steffan (Hrsg.): Emil Pirchan. Ein Universalkünstler des 20. Jahrhunderts, Wädenswil 2017.