Art déco in Budapest

Ausstellungsansicht (Foto: András Szántó)

Vieles, was in den 1920er und 1930er Jahren im Bereich von Architektur, Kunst und Design entstanden ist, wird mit dem Etikett „Art déco“ versehen. Wie dieser Stil, der keine eindeutige Richtung hat, zu seinem Namen kam, ist leicht zu erklären: Im Jahr 1925 fand in Paris die „Exposition internationale des arts décoratifs et industriels modernes“ statt. Die Formensprache, die dabei vorherrschte, war ornamental und dekorreich und somit eine Absage an den strengen Funktionalismus der Moderne. In der Folge wurde aus dem Ausstellungstitel die Bezeichnung für ein bestimmtes Gestaltungsspektrum der Zwischenkriegszeit entlehnt.

„Art deco Budapest“ lautet nun der Titel eines Buches sowie einer sehenswerten Ausstellung in der „Magyar Nemzeti Galéria“ in Budapest (zu sehen bis 25. September 2022). Der zeitliche Rahmen der Darstellung erstreckt sich von 1925 bis 1938, der inhaltliche Schwerpunkt liegt mit über 130 Objekten auf den Plakaten, ergänzt durch Kunsthandwerk, Mode, Gebrauchsgrafik und Filmdokumente zur Zeit. Für das Konzept der Schau zeichnen die beiden Expertinnen Katalin Bakos und Anikó Katona verantwortlich.

Ausstellungsansicht (Foto: András Szántó)

Zur Frage, von welcher Definition von Art déco man bei dem aktuellen Ausstellungs- und Buchprojekt in Budapest ausgegangen sei, meint die Kuratorin der Schau, Anikó Katona: „Ja, das Wort wird sehr oft in der Umgangssprache verwendet, und es ist oft ziemlich unklar, was damit gemeint ist. Etwas Spektakuläres, Modernes, Dekoratives, Glamouröses. Der Begriff ist problematisch, weil es keine wirklich präzise Definition und keinen eindeutigen Kreis von Künstlern gibt, auf die er angewendet werden kann. Darum widmen wir uns auch gleich zu Beginn der Ausstellung den Ursprüngen des Begriffs und der Genese seiner Verwendung.“

Ernő József Deutsch, 1927

Der Ausgangpunkt ihrer Arbeit sei, so Katona, das Buch „Art Deco Graphics“ von Patricia Frantz Kery aus dem Jahr 1986 und der Katalog der Art déco-Ausstellung des Londoner Victoria & Albert Museums (Charlotte Benton, Tim Benton, Ghislaine Wood) aus dem Jahr 2003 gewesen. Katona ergänzt: „In der ungarischen Plakatkunst ist der Modernismus – ein vom Bauhaus beeinflusster Stil, vertreten etwa durch Róbert Berény oder Sándor Bortnyik – gut bekannt und war Gegenstand mehrerer Ausstellungen und Publikationen.

Art déco entstand in der selben Zeit – also zwischen den beiden Kriegen –, ist aber mit seinen vielen verschiedenen Richtungen schwerer zu fassen als etwa der erwähnte formenreduzierte Modernismus. Es ist dekorativer, oft frivol, erotisch und raffiniert, hat aber auch einen Sinn für das Spektakuläre, Monumentale und Übertriebene. Das hier präsentierte Material ist sehr eklektisch: Orientalismus, Einflüsse der Volkskunst, Spuren der Avantgarde und vieles mehr.“

Zur Ausstellung ist ein großformatiges, sowohl in einer ungarischen als auch in einer englischsprachigen Ausgabe erhältliches Begleitbuch mit 318 Seiten erschienen, das mit Leineneinband und Goldprägung mehr die Anmutung eines Prachtbandes hat als den eines üblichen Ausstellungskataloges. Die Publikation bietet auch inhaltlich so einiges: Was die theoretischen Aspekte ihres Projektes betrifft, so verweist Katona auf diese Begleitpublikation und da im Speziellen auf den Beitrag ihrer Kollegin Katalin Bakos „Beyond Stiles. Visual Sources of Hungarian Art Deco Poster Art“.

Links: Róbert Berény, 1929 / Rechts: György Konecsni, 1936

Beim Besuch der Schau und bei der Lektüre des reich illustrierten Kataloges beeindruckt die herausragende Qualität des ungarischen Grafikdesigns der Zwischenkriegszeit. Gibt es dafür besondere Gründe? Anikó Katona weiß die Antwort: „Das ist eine sehr wichtige Frage! Historisch-soziale Umstände mögen dazu beigetragen haben. 1919, unter dem Regime der Ungarischen Sowjetrepublik, übernahmen viele moderne Künstler eine offizielle Rolle – zum Beispiel entwarfen mehrere moderne Maler Plakate –, sodass nach dem Sturz des Regimes ein bedeutender Teil der ungarischen Intelligenz, die den Modernismus vertrat, vor den harten Repressionen floh. Dies hatte den positiven Effekt, dass sie in den ‚Blutkreislauf‘ der westlichen modernen Kunst gerieten, vor allem in Wien oder in Berlin oder Weimar. Mitte der 1920er Jahre konsolidierte sich das Horthy-Regime und es wurden Amnestiedekrete erlassen, die es vielen Kunstschaffenden ermöglichten – mit der neuesten modernen Kunst vertraut –, in ihre Heimat zurückzukehren. Aufgrund ihres problematischen politischen Standings hatten sie es jedoch schwer, sich als Maler zu etablieren, aber die Werbung bot gute Verdienstmöglichkeiten. Dies gilt auch für viele Künstler jüdischer Herkunft, deren Situation in den 1930er Jahren immer schwieriger wurde. Wichtig war auch, dass es Unternehmen gab, die dem modernen Kunstgeschmack gegenüber aufgeschlossen waren. An vorderster Front stand dabei die Zigarettenpapierfabrik Modiano, die vielen guten Künstlern eine Chance gab. Da die Modiano-Plakate ein großer Erfolg waren, folgten dann andere Unternehmen diesem Beispiel.“

Links: Tibor Réz Diamant, 1928 / Rechts: Tibor Réz Diamant, 1927

Wenn sich jemand so intensiv mit einem bestimmten Bereich auseinandergesetzt hat, wie es Anikó Katona für diese Ausstellung und das Buch tat, so ist wohl die Frage berechtigt, ob es da persönliche Lieblingsobjekte gibt: „Es ist schwer, sich zu entscheiden“, meint die Kuratorin, „ich habe viele alte Lieblingsplakate. Besonders gut gefallen mir die Plakate von György Konecsni, zum Beispiel das Plakat ‚Budapest, Stadt der Bäder‘. Ich denke, dass die ungarischen Tourismusplakate in den 1930er Jahren generell von sehr hoher Qualität waren, und Konecsnis Handwerkskunst ist erstaunlich. Ein weiterer großer Favorit von mir ist Tibor Réz Diamant, zum Beispiel mit dem Plakat ‚Baker‘. Es beeindruckt durch seine Schlichtheit und Verspieltheit. Aber auch sein ‚Tiller Girls‘-Plakat gefällt mir sehr gut. Auch das Meinl Tea-Plakat von János Tábor spricht mich mit seiner Raffinesse und dem japanischen Stil sehr an. Diese Plakate kenne ich schon lange, einige andere aber habe ich bei den Vorbereitungen für die Ausstellung entdeckt. Eines davon ist das Autoplakat von Gyula Batthyány, ein kurioses Werk eines bedeutenden ungarischen Malers. Oder István Irsais Plakatentwurf für Elza Brandeisz, der ebenfalls ein sehr interessantes Thema hat, außerdem ist das Plakat sehr elegant.“

Tibor Réz Diamant, 1927

Ergänzt wurde die Schau durch eine kleine, aber feine Präsentation zum Thema „Dancing 1925. Ungarische Künstler im Pariser Nachtleben“. Die grafischen Arbeiten von Marcell Vértes, János Vaszary und Miklós Vadász geben eine Vorstellung vom Ambiente und der Atmosphäre in den Pariser Nachtclubs der 1920er Jahre. Im Mittelpunkt der Ausstellung steht das Grafik-Album von Marcell Vértes mit dem Titel „Dancing“, das 1925 erschien – also in jenem Jahr, in dem die „Exposition internationale des arts décoratifs et industriels modernes“ in Paris stattfand. Ergänzend dazu sind Werke von János Vaszary und Miklós Vadász zu sehen, die in der französischen Hauptstadt entstanden sind. Sowohl Vértes als auch Vadász haben zu Beginn der 1920 Jahre ebenso eine Rolle in der Grafik-Szene Wiens gespielt: Vértes hat eine Zeit lang mit Theo Matejko ein gemeinsames Atelier geführt und dafür einige Plakate geschaffen, und Miklós Vadász war auch als Zeitungszeichner für österreichische Blätter tätig.

Katona, Anikó (ed.): Art Deco Budapest. Posters, Lifestyle and the City (1925–1938), Museum of Fine Arts – Hungarian National Gallery, Budapest 2022.

Weitere Hinweise:
Magyar Nemzeti Galéria