Die große Illusion: Theo Matejkos Plakat für den Auftritt des Magiers Erik Jan Hanussen, Wien 1919

Signatur von Theo Matejko

Es gibt unzählige Plakate zu den Themen Zirkus, Varieté, Tier- und Völkerschauen, Magier und Schausteller. Wenn man zurückblickt zu den Anfängen der Plakatgeschichte, so war es das sogenannte „fahrende Volk“, welches bereits im 18. Jahrhundert Anschlagzettel für die Kundmachungen seiner Attraktionen benutzte. Ab Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 1930er-Jahre bestimmte dann die Druckerei Adolph Friedländer in Hamburg den Stil dieser Plakate wesentlich.[1] Genau genommen hat sich das Aussehen der Plakate bis heute kaum verändert. Die angepriesene Sensation wird überhöht und möglichst bunt dargestellt, der Ort der Aufführung wird dabei oft durch Überkleber oder Zusätze bekanntgemacht. Eine völlig andere Art der Gestaltung hingegen schuf Theo Matejko 1919 in seinem Plakat für den Magier Erik Jan Hanussen.

Theo Matejko (1893-1946), Erik Jan Hanussen, Österreich, Wien, 1919, WEAG, Wien, Farblithografie, 62,0 x 93,5 cm (Ausschnitt)

Theo Matejko (1893-1946), Erik Jan Hanussen, Österreich, Wien, 1919, WEAG, Wien, Farblithografie, 62,0 x 93,5 cm (Deutsches Plakat Museum)

Das Plakat

Der Hauptakteur ist ein Magier, der aber nicht – wie üblich – im Bild zu sehen ist. Keinerlei Dekoration oder aufwendige Darstellung spektakulärer Tricks, selbst die Farbe ist sehr reduziert. Matejko wählte sozusagen ein „Gegenklischee“ zu den sonst üblichen Darstellungen. Nur eine Hand ist zu sehen, die scheinbar ganz entspannt eine mystische Energie in den Raum entlässt.

Das Plakat verzichtet auf jeglichen marktschreierischen Effekt. Das Mystische, das Undurchschaubare wird dadurch jeglichem Erklärungsversuch entzogen, wirkt geradezu seriös in dem Sinne: Da ist jemand, der verfügt einfach über diese Kräfte, die man nicht erklären kann, da ist kein Trick, kein doppelter Boden.

Die zunächst vermutete Bescheidenheit der Mittel schlägt aber geradezu in das Gegenteil um, wenn man annimmt, dass die Handhaltung selbst nicht einer zufälligen Geste entspringt, sondern der Handhaltung aus Michelangelos Fresko „Die Erschaffung Adams“ in der Sixtinischen Kapelle entlehnt wurde.[2] Hanussen als Erleuchteter oder Erlöser? Die spätere Geschichte des Erik Jan Hanussen trägt durchaus Züge von Größenwahn und Selbstüberschätzung.

Michelangelo Buonarotti (1475-1564): Erschaffung Adams; Ausschnitt aus dem Deckenfresko in der Sixtinischen Kapelle (1512)

Da das Plakat keinerlei Informationen enthält, wann und wo man denn Hanussen wird sehen können, stellt sich die Frage, was genau mit diesem Plakat bezweckt wurde. Die Recherche brachte einige interessante Fakten zutage, was Hanussen in jener Zeit, als das Plakat entstand, gemacht hat.[3] Es gab zahlreiche Auftritte[4], er war vielfach Thema in der Boulevard-Presse, auch Filmprojekte wurden gestartet.[5] Hanussen war also „in aller Munde“. Ein Hinweis auf das Plakat war (bisher) nicht zu finden. Es bleiben daher drei wesentliche Möglichkeiten der Interpretation: Die Information zu Ort und Zeit seiner Auftritte wurden auf einem separaten Blatt verkündet – was zu jener Zeit allerdings nicht mehr üblich war. Denkbar wären allenfalls Aufkleber oder ein späterer Eindruck, wie man es etwa von Eindruck- oder Blankoplakaten her kennt, wofür aber in Matejkos Hanussen-Plakat kein Platz vorgesehen ist. Möglichkeit zwei: Es handelt sich um ein Innenraumplakat, welches bei Veranstaltungen von Hanussen selbst eingesetzt wurde, um die Hereinströmenden emotional zu empfangen und sie neugierig zu machen auf das, was da kommt. Möglichkeit drei: Es ist ein reines Imageplakat. Das Genre der Imageplakate (auch wenn sie noch nicht so hießen) entstand bereits vor 1914 mit den sogenannten Starplakaten, wie sie etwa Jo Steiner (1877–1935) entwarf, allerdings stand hier das Konterfei der Protagonisten im Mittelpunkt.

Es bleibt also in jedem Fall ein besonderes Plakat, das Matjeko da schuf. Die „Fähigkeiten“ einer Person in den Mittelpunkt zu stellen und nicht dessen Abbild, scheint neu, geradezu vorausschauend. Das dies ein großer Schritt sein könnte in der Entwicklung der Werbung, dessen war man sich anscheinend nicht bewusst, denn es gibt keine unmittelbaren „Nachfolger“ dieser Idee. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, warum bisher nur ein Exemplar des Blattes bekannt ist. Dieses befindet sich im Deutschen Plakat Museum in Essen, welches zum Museum Folkwang gehört.

Zur Zeit der Entstehung dieses Plakats stand Hanussen erst am Anfang seines Erfolges. Ebenfalls am Anfang seiner Laufbahn stand Theo Matejko. Dieser hat noch einmal, 1927, ein Plakat für Hanussen entworfen, zu einer Zeit, als beide ihre Karrierehöhepunkte erreicht hatten. Ob Matejko und Hanussen einander je persönlich begegnet waren, ist nicht bekannt.   

Der Hellseher

Erik Jan Hanussen[6] war das Pseudonym des deutsch/österreichischen Hellsehers Hermann Chajm Steinschneider, der 1889 im Wiener Vorort Ottakring geboren wurde. Seine Karriere begann bereits 1918 mit aufsehenerregenden Auftritten. Als „Magier von Berlin“ wurde er schließlich legendär. Anfang der Dreißigerjahre zog er in der „Scala“ täglich bis zu 5.000 Besucher in seinen Bann. Seit 1930 verkündete Hanussen auch die Ankunft eines vermeintlichen Heilsbringers, sagte den politischen Sieg Adolf Hitlers voraus.

Hanussen war schon lange vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten in die NS-Szene integriert. So gehörten NS-Größen auch zu den auserwählten Gästen seines „Palastes des Okkultismus“ in der Lietzenburger Straße in Berlin. Am 26. Februar 1933 lud Hanussen dort zu einer ganz besonderen Séance ein, bei der auch Graf Helldorf (Chef der SA Berlin-Brandenburg) zugegen war. Hier verstieg sich Hanussen zu der Prophezeiung, die ihn letztlich wohl sein Leben kosten sollte: „Flammen aus einem großen Haus“ wollte er gesehen haben – und schon einen Tag später, am 27. Februar 1933, mit dem Reichstagsbrand, wurde diese Prophezeiung Wirklichkeit. Doch Hanussen war kein Hellseher. Zahlreiche Informanten verschafften ihm das für seine Auftritte nötige Hintergrundwissen. Und auch die Angaben zum bevorstehenden Reichstagsbrand beruhten wahrscheinlich auf einer zuverlässigen Quelle, bei der es sich vermutlich um Helldorf selbst gehandelt hatte. Am 24. März 1933 wurde Hanussen von einem SA-Kommando auf Befehl von SA-Führer Karl Ernst verhaftet und ermordet. Seine Leiche wurde am 7. April 1933 in einer Tannenschonung bei Berlin von Waldarbeitern entdeckt und später auf dem Friedhof in Stahnsdorf bei Berlin beigesetzt.

Wie sehr der Fall Hanussen die Fantasie der nachfolgenden Generationen beschäftigte, belegen u.a. zahlreiche Verfilmungen. Die wohl bemerkenswerteste ist der Film „Hanussen“ aus dem Jahr 1988. István Szabó führte dabei Regie und Klaus Maria Brandauer gab den Hanussen in beeindruckender Weise.

Links: Theo Matejko, Porträtfoto, um 1930 (Wikipedia) / Rechts: Erik Jan Hanussen, Porträtfoto, um 1925 (Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv und Grafiksammlung)

Der Gestalter

Theo Matejko[7] wurde am 18. Juni 1893 als Theo Matejka in Wien geboren. Er erhielt vermutlich in Wien eine künstlerische Ausbildung. Sein außerordentliches Talent entdeckte man bereits während seines Kriegsdienstes im Ersten Weltkrieg. Daraufhin wurde er 1917, seiner gelungenen gezeichneten Kriegsberichte wegen, in die „Kunstgruppe des Kriegspressequartiers“ versetzt. Nach dem Krieg arbeitete Matejko als Presse- und Plakatzeichner. Ab 1919 entstanden zahlreiche Plakate, mit denen er sofort großen Erfolg hatte. Zunächst arbeitete Matejko mit dem ungarischen Grafiker Marcel Vértes (1895–1961) zusammen, bis sich 1920 ihre Wege trennten. Vértes ließ sich in Paris nieder, Matejko ging nach Berlin. Als Pressezeichner der „Berliner Illustrirten“ machte er sich schnell einen Namen. Seine Leidenschaft für Technik im Allgemeinen und Automobilsport im Besonderen setzte er zeichnerisch in Szene. Der Ullstein-Verlag schickte den begabten Zeichner auf zahlreiche Reisen, so mit dem Zeppelin in die USA, oder ermöglichte ihm die Teilnahme an Automobilveranstaltungen. In den 20er- und 30er-Jahren entwarf Matejko zahlreiche Plakate. Ab 1935 zeichnete er für „Die Wehrmacht“, illustrierte Berichte über Manöver und arbeitete dann ab 1939 als Kriegsberichtzeichner. Aus der Zeit nach Kriegsende sind nur kleinere Arbeiten bekannt. Matejko starb am 9. September 1946 in Vorderthiersee an einem Gehirnschlag.

Erweiterte und aktualisierte Fassung des erstmals am 6. 11. 2011 auf Austrian Posters veröffentlichten Beitrages

[1] 1872 gründete Adolph Friedländer (1851–1904) in Hamburg St.-Pauli seine Lithographieanstalt. Den „Friedländer-Stil“ prägten Künstler wie Chr. Bettels, H. Schulz, L. Wildt und B. Rahjah. Seit ca. 1890 wurden die Plakate fortlaufend nummeriert. Das letzte bekannte nummerierte Plakat trägt die Nummer 9075 und stammt aus dem Jahre 1935. Spätere Plakate waren nicht mehr nummeriert und auch das Friedländer-Signet wurde nicht mehr verwendet. Mit dieser Anonymisierung versuchte sich die Firma Friedländer vor der Aufmerksamkeit der NS-Machthaber zu schützen. Dies half nur bis 1938, dann musste die Firma schließen, die Familie emigrierte nach London. Insgesamt stellte Friedländer bis zu diesem Zeitpunkt ca. 10.000 verschiedene Plakate her.
[2]  Michelangelo Buonarotti (1475–1564): Die Erschaffung Adams, Ausschnitt aus dem Deckenfresko in der Sixtinischen Kapelle (1512). In der Episode der Erschaffung des Menschen ist die Berührung zwischen den Fingern Gottes und denen Adams der kompositorische Brennpunkt, da dadurch der Lebenshauch übertragen wird. Gott wendet sich Adam zu, der wie ein ruhender Athlet dargestellt ist. Seine Schönheit scheint die Worte des Alten Testaments zu bestätigen, wonach der Mensch als Abbild Gottes geschaffen wurde.
[3]  Für die Recherchen zu Hanussen danke ich Dr. Bernhard Denscher.
[4]  Erwähnt werden zahlreiche Auftritte im Wiener Apollo Theater, ein Auftritt im Großen Saal des Wiener Musikvereins und für Januar 1919 drei Auftritte in Prag. Mel Gordan berichtet von einer Serie von Auftritten im Apollo Theater, die über vier Monate von rund 48.000 Besuchern gesehen wurden (siehe Anmerkung 6, S. 71).
[5]  Hanussen wurden von der Kongreß-Film fünf Filme in Aussicht gestellt. Aber nur ein Film wurde 1919 realisiert: „Hypnose“ entstand unter der Regie von Otto Poll. Neben Hanussen spielten Borgia Horska und Grete Jacobson die Hauptrollen. Der Film wurde ausführlich, in Wort und Bild, in der Presse vorgestellt, u.a. in der „Kinowoche“, Heft 1 und Heft 5/1919, und in der „Neuen Kino-Rundschau“, Heft 127/1919.
[6]  Literatur zu Jan Erik Hanussen (Auswahl): Erik Jan Hanussen: Meine Lebenslinie, Berlin 1933; Wilfried Kugel: Hanussen. Die wahre Geschichte des Hermann Steinschneider, Düsseldorf 1998; Mel Gordan: Erik Jan Hanussen. Hitler’s Jewish Clairvoyant, Los Angeles 2001.
[7]  Literatur zu Theo Matejko (Auswahl): Otto Weber: Der Pressezeichner Theo Matejko 1893-1946. Das Buch zum 100. Geburtstag, Ober-Ramstadt 1993 (Begleitbuch zur Ausstellung im Museum Ober-Ramstadt).