Otto Dely – Grafik nach Noten

Otto Dely, Detail aus dem Plakat für die Moderedoute 1924 im Wiener Konzerthaus (Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv und Grafiksammlung)

Das Phänomen ist bekannt, aber doch immer wieder erstaunlich: Medienschaffende wie Otto Dely waren in verschiedenen Bereichen tätig und hinterließen ein facettenreiches Werk, bezüglich ihrer Lebensläufe aber war bislang relativ wenig bekannt. Nach wie vor gibt es damit für die Kulturwissenschaft noch viel an Grundlagenforschung besonders im Bereich der Populärkultur zu leisten. 

Otto Dely wurde am 8. Januar 1884 in Wien geboren, sein bürgerlicher Name lautete Otto Luis Erdélyi.[1] Als Künstler aber nannte er sich Dely, in behördlichen Angelegenheiten jedoch ist er bisweilen mit der Namensform Erdely zu finden.[2] Seine Eltern waren der in Baja in Ungarn geborene Isidor Erdélyi (1857–1926) und die in Kaschau/Košice geborene Cornelia Erdélyi (geborene Grün, 1858–1891). Seine 1881 geborene Schwester L(o)uise Erdélyi wurde unter dem Pseudonym Lisa Ertel Schauspielerin und war die Ehefrau des sozialkritischen Autors Leonhard Frank.[3]

Über Otto Delys Ausbildung ist bis dato nichts bekannt, außer dass er sich mitunter „akademischer Maler“ nannte. Diese Bezeichnung ist allerdings nach der österreichischen Rechtsordnung kein gesetzlich geschützter oder anerkannter Titel. Weder im Universitätsarchiv der Akademie der bildenden Künste in Wien[4] noch im Universitätsarchiv der Universität für angewandte Kunst[5] scheint Otto Dely unter einer seiner divergierenden Namensformen als Student auf. In seinen Meldedaten gab er überdies bisweilen Architekt, Verleger und Kunstmaler als Beruf an[6] – er dürfte wohl am ehesten dem in seiner Zeit beliebten Typus des „Selfmademan“ entsprochen haben.

Plakat, 1921 (Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv und Grafiksammlung)

Delys erste nachweislich publizierte Arbeit war eine Porträtzeichnung des englischen Gewerkschaftsführers Henry Broadhurst, die in den Berliner „Sozialistischen Monatsheften“ aus dem Jahr 1905 zu finden ist.[7] Für den „Wiener Verlag“, für den so prominente Künstler wie Joseph Maria Olbrich, Bertold Löffler und Leopold Forstner arbeiteten und der sich durch besonders gelungene Gestaltungen auszeichnete, entwarf Dely im folgenden Jahr einige Buchumschläge.

1908 könnte Otto Dely bereits in Berlin gelebt haben: Dafür spricht, dass er damals für den in jenem Jahr gegründeten „Buchverlag für das Deutsche Haus“ den Roman „Fluch der Schönheit“ von Hermann Heiberg illustrierte. Außerdem ist 1908 auch seine Arbeit für den Almanach der in Berlin publizierten „Lustigen Blätter“ nachweisbar.[8] Für diese populäre Illustrierte war Dely auch in den Folgejahren tätig.[9] 1911 wurde er von Rudolf Presber, dem langjährigen Schriftleiter der „Lustigen Blätter“, eingeladen, vier Vignetten für die von Presber herausgegebene Anthologie „Das goldene Lachen. Ein humoristischer Familienschatz in Wort und Bild“ beizusteuern.[10] Fünf Illustrationen sind es dann sogar geworden, eine davon für die Episode „Weihnachtseinkäufe“ aus dem Stück „Anatol“ von Arthur Schnitzler.[11]

In relativ kurzer Zeit war Otto Dely in Deutschland eine bekannte Persönlichkeit geworden, wie ein Artikel des Berlin-Korrespondenten des „Prager Tagblatts“ zeigt, in dem vom „Gesicht des Berliner Weltdamenzeichners Otto Dely“ die Rede ist.[12] Delys Prominentenstatus ist auch dadurch belegt, dass er im Sommer 1913 im Komitee eines Tanzturniers in Baden-Baden gemeinsam mit seinen Grafiker-Kollegen Edmund Edel, Julius Klinger und Hans Rudi Erdt vertreten war.[13] 1914 fungierte er dann bei einem drei Nächte dauernden Tanzderby in Berlin als Preisrichter und entwarf auch das Plakat für diese Veranstaltung.[14]

Ab jener Zeit ist auch Delys Tätigkeit in verschiedenen Bereichen des Films nachweisbar. So etwa führte er für die Wiener Film-Gesellschaft Philipp & Pressburger Regie bei dem Streifen „Zwei glückliche Paare. Ein glänzendes Lustspiel in einem Akt“, der 1915 in die Kinos kam.[15] Und Otto Dely wurde in jenen Jahren auch zu einem der Pioniere des deutschen und österreichischen Animationsfilms: Zu nennen sind hier Titel wie „Neue Lichtspielereien“ (1915), die an „groteskem Humor den ersten Erscheinungen dieser Art nicht nachstehen“[16], „Die drei Mäderln. Eine parodistische Karikatur“ (1917)[17] oder „Der unterbrochene Ringkampf“ (1917)[18]. Aber auch im Bereich der Kriegspropaganda lieferte Otto Dely Arbeiten für das Kino, die als „Delys lebende Karikaturen“ beworben wurde.[19]

Auch Dely musste im Laufe des Ersten Weltkriegs zum Militär, unter der Berufsbezeichnung „Fähnrich“ war er jedoch, wie aus den Meldeunterlagen hervorgeht, von Herbst 1917 bis 1918 in verschiedenen Wiener Hotels registriert. Die Meldedaten ergeben generell ein sehr unstetes Leben des Grafikers, der nur von 1920 bis 1926 in der Wohllebengasse 3 im 4. Wiener Gemeindebezirk eine längerfristige Bleibe hatte, sonst aber ständig in Hotels oder kurzzeitigen Untermietungen logierte.[20] In „Kaindl’s Reklamebücherei“ wurde seine Adresse im Jahr 1920 mit Wien I. Trattnerhof angegeben, was ident mit jener von Ernst Deutsch-Dryden war.[21] Es dürfte sich hier allerdings lediglich um Delys Atelieradresse gehandelt haben, weil der Trattnerhof weder in den Meldeunterlagen noch in „Lehmanns Allgemeinem Wohnungs-Anzeiger“ bezüglich Erdélyi/Erdely/Dely aufscheint.

Notentitelblätter, links: 1925, rechts: 1923

Von 1918 bis 1926 lebte und arbeitete Dely in Wien – unterbrochen durch Aufenthalte in Paris und Berlin[22] –, und er war in jenen Jahren überaus produktiv. Neben einer ganzen Reihe von Plakaten, von Grafiken für Theaterprogramme sowie von Illustrationen für die Periodika „Die Muskete“, „Die Bühne“, „Die Stunde“ und die „Neue Freie Presse“ gestaltete er vor allem eine große Zahl von Notentitelblättern. Die weitaus meisten Entwürfe mit über 100[23] Sujets lieferte Dely für den „Wiener Bohème-Verlag“[24].  Zusätzlich war er in Wien für den Mignon-Verlag, den Presto-Verlag, den Figaro-Verlag und den Excelsior Verlag tätig sowie für den Berliner Rondo-Verlag, den Kopenhagener Wilhelm Hansen Musik-Forlag und die Warschauer Edition J. Altschuler.[25]

Mit diesen Arbeiten, die meist den damals aktuellen Schlagern gewidmet waren, gelang es Otto Dely wie kaum einem anderen, mit scheinbar leicht hingestrichelten Zeichnungen den Geist der sogenannten „Wilden Zwanziger“ zu vermitteln. Zu den mondänen Bildern passte auch Delys Lebensstil: So etwa wohnte er meist in luxuriösen Hotels, zeichnete sich durch ein elegantes Auftreten aus, das dem seines Kollegen Ernst Deutsch-Dryden ähnlich gewesen sein muss, und er war eine Zeitlang mit der legendären Tänzerin Lena Amsel[26] liiert.

Notentitelblätter: links: 1925, rechts: 1927

Ende des Jahres 1925 ging Otto Dely wieder nach Berlin, um dort – wie er in einem Brief an den deutschen Grafiker Max Aurich schrieb ­– „die für Zeichner nicht ungünstige Konjunktur auszunutzen“[27]. Neben seinen Arbeiten für den Musikbereich war er auch in Berlin als Grafiker für verschiedene Zeitschriften tätig. Außerdem lieferte er weiterhin Illustrationen für das Wiener Periodikum „Die Bühne“. Von 1928 bis 1930 gab Otto Dely in Berlin gemeinsam mit Walter Becker das exklusive Magazin „Blau-Rot. Eine Monatsschrift für den Herrn“ heraus.[28]

Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung in Deutschland kehrte Otto Dely wieder nach Wien zurück, wo er vom 8. Juli 1933 bis 20. Februar 1934 im repräsentativen Hotel Imperial residierte. Insgesamt war er nach seiner Rückkehr aus Deutschland bis zu seinem Tod in Wien an nicht weniger als neun verschiedenen Adressen gemeldet.[29] Otto Dely starb am 9. Juni 1935 im Wiener Allgemeinen Krankenhaus und wurde am 12. Juni 1935 auf dem Wiener Jüdischen Friedhof (Zentralfriedhof) im Grab seiner früh verstorbenen Mutter bestattet.[30]

[1] Israelitische Kultusgemeinde Wien, Geburtsmatrik 2097/1884. DSA Irma Wulz BA wird für die diesbezügliche ausführliche Recherche gedankt.
[2] Wiener Stadt- und Landesarchiv, Meldeunterlagen, Auskunft vom 23.6.2021.
[3] Siehe Fußnote 1. Siehe zu Delys Schwester: Rudolph, Katharina: Rebell im Maßanzug. Leonhard Frank. Die Biographie, Berlin 2020.
[4] Freundliche Auskunft von Dr. Eva Schober vom 26. Juni 2021.
[5] Freundliche Auskunft von Araya Laimanee vom 6. Juli 2021.
[6] Siehe Fußnote 2.
[7] Sozialistische Monatshefte 1905, 4. Heft, S. 370.
[8] Die lustigen Blätter, 1908, Nr. 31.
[9] Z. B.: Die lustigen Blätter, 1910, Nr. 1; Nr. 9; Nr.26; Nr. 39; Nr. 52 und weitere.
[10] Brief von Rudolf Presber an Otto Dely vom 11.9.1911, Wienbibliothek, Handschriftensammlung, H.I.N.-247430.
[11] Presber, Rudolf (Hrsg.): Das goldene Lachen. Ein humoristischer Familienschatz in Wort und Bild, Berlin 1912.
[12] Prager Tagblatt, 4.5.1912, S. 1.
[13] Neues Wiener Tagblatt, 21. 7. 1913, S. 13.
[14] Deutsches Plakat Museum im Museum Folkwang Essen, DPM 16630. Freundliche Auskunft von René Grohnert.
[15] Kinematographische Rundschau, 4.7.1915, S. 12.
[16] Kinematographische Rundschau, 28.3.1915, S. 45.
[17] Kinematographische Rundschau, 19.11.1916, S. 24.
[18] Kinematographische Rundschau, 28.1.1917, S. 18.
[19] Chronologie zum Animationsfilm in Deutschland 1910–19.
[20] Siehe Fußnote 1.
[21] Kaindl’s Reklame-Bücherei, 2. Band: Künstlerlexikon, Wien 1920, S. 29.
[22] Brief an den deutschen Grafiker Max Aurich vom 8.12.1925, Wienbibliothek, Handschriftensammlung, H.I.N.-247428.
[23] Labhart, Walter – Christian Brändle – Claude Lichtenstein: Oh, Donna Clara …. Musiktitel aus der Zeit des Art Déco, Biel 2017, S. 226.
[24] Hall, Murray G.: „Ausgerechnet Bananen …“. Zur Geschichte des Wiener Bohème-Verlags, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Buchforschung in Österreich 2018/2, S. 7ff.
[25] Kornberger, Monika: „Einmal sang die Liebe uns ein Lied“. Deutscher Schlager der Zwischenkriegszeit und seine Protagonisten in Wien, Diss., Graz 2018, S. 176.
[26] Piffl, Gerald: Ein Genie des Lebens, in: Der Standard – Album, 31.10.2009.
[27] Siehe Fußnote 22. Delys offizielle Abmeldung aus Wien erfolgte erst mit 1.7.1926.
[28] Brief an Max Aurich auf Briefpapier der Herausgeber von „BLAU ROT“ vom 7.1.1929, Wienbibliothek, Handschriftensammlung, H.I.N.-247429; Zur Zeitschrift siehe: Rasche, Adelheid: Der männliche Blick. Das Bild der ›Neuen Frau‹ in Männer-Zeitschriften, in: Querelles. Jahrbuch für Frauen- und Geschlechterforschung, 2006/11, S. 118ff.
[29] Siehe Fußnote 2.
[30] Israelitische Kultusgemeinde Wien, Sterbematrik 1349/1835.