Carl Otto Czeschka – von Wien nach Hamburg

Carl Otto Czeschka, Illustration zu „Die Nibelungen“, erzählt von Franz Keim, erschienen im Verlag Gerlach und Wiedling, 1909

Ludwig Hevesi bezeichnete es als ein „Unglück“, dass Carl Otto Czeschka zum 1. Oktober 1907 seine Vaterstadt Wien verlassen würde.[1] Berta Zuckerkandl beklagte den Weggang Czeschkas nach Hamburg als „durch nichts zu rechtfertigenden Akt wildesten Bürokratismus, der frivol und leichtfertig verschuldet“ worden war.[2]

Der erst 23 Jahre alte Carl Otto Czeschka war am 28. April 1902 als Hilfslehrer für figurales Zeichnen und danach als provisorischer Leiter der graphischen Abteilung der Wiener Kunstgewerbeschule eingestellt worden und ging „mit so großer Schneidigkeit an sein Amt, dass es ihm gelang, seinen Vorgänger nicht nur zu ersetzen, sondern sogar zu überflügeln. Und als Lehrender war er noch Lernender, wuchs an der Vielartigkeit der Aufgaben, die er stellte“[3].

Aus dem Personalbogen von C. O. Czeschka, Archiv der Universität für angewandte Kunst Wien

Aus dem Wiener Adressbuch „Lehmann“, 1905

Czeschka wartete geduldig, um von der provisorischen Stelle als „Hilfslehrer“ (mit einem Jahresgehalt von 3.600 Kronen) hochgestuft zu werden auf eine „definitive“, d.h. unkündbare Anstellung. Er wurde vertröstet. Er hing „mit Leib und Seele an seinem Wien“[4], trotzdem hielt er ab 1906 Ausschau nach Alternativen und entdeckte sie in Hamburg und Leipzig: In Leipzig wurde an der „Königlichen Akademie für Graphische Künste und Buchgewerbe“ die Stelle von Friedrich Wilhelm Kleukens frei. Der aus Achim bei Bremen stammende Kleukens hatte dort von 1903 bis 1906 unterrichtet und wurde im Oktober 1906 Mitglied der Künstlerkolonie Darmstadt. In Hamburg wurde die Neuausrichtung der Kunstgewerbeschule durch Direktor Richard Meyer vorbereitet. Der Bildhauer Richard Luksch aus Wien hatte bereits die Berufung erhalten und plante seinen Umzug nach Hamburg für April 1907. Als Ausländer musste er sich bereit erklären, für die Stelle eines beamteten Lehrers die deutsche Staatsangehörigkeit anzunehmen.

Im Dezember 1906 entschied die „Kommission für die Kunstgewerbeschule“ in Hamburg über die Berufung eines neuen Fachlehrers für Flächenkunst. Das war die Stelle, für die sich Czeschka interessiert hatte. Doch man berief nicht den Österreicher Czeschka, sondern den Deutschen Friedrich Wilhelm Kleukens. Zwei neue Lehrer aus Wien, Luksch und Czeschka, das wäre selbst für den Kommissionsvorsitzenden Justus Brinckmann nur schwer durchzusetzen gewesen.

Also orientierte sich Czeschka nach Leipzig, der Stadt mit langer Buch- und Grafiktradition und ebenfalls neuen Reformideen, und bekundete mit Schreiben vom 3. April 1907 sein Interesse. Er erhielt zügig die Antwort von Direktor Max Seliger vom 5. April 1907 mit einer Stellenbeschreibung. Darauf reagierte Czeschka jedoch nicht, so dass Direktor Seliger nach zehn Tagen drängend nachfragte und bat, sich bis zum 24. April zu entscheiden. Ob Czeschka schon aus Hamburg erfahren hatte, dass Kleukens gar nicht nach Hamburg kommen würde, da er schon Mitglied der Künstlerkolonie Darmstadt geworden war, ist nicht bekannt, aber wahrscheinlich. Möglicherweise hatte Kleukens die Berufung nach Hamburg nutzen wollen, um in Darmstadt seine Verhandlungsposition beim Großherzog Ernst Ludwig von Hessen zu verbessern. Oder war er kurzerhand abgeworben worden vom Großherzog, der schon 1899 den in Wien hochgeachteten Architekten Joseph Maria Olbrich nach Darmstadt geholt und ihm in der Künstlerkolonie auf der Mathildenhöhe großzügige Entfaltungsmöglichkeiten gegeben hatte?

Für die Hamburger kam die Absage von Kleukens völlig überraschend und war eine schwere Schlappe. Direktor Meyer musste nun rasch versuchen, Czeschka erneut für Hamburg zu interessieren und zu gewinnen. Der Unterrichtsbeginn durch den neuen Fachlehrer war schon für das neue Schuljahr, d.h. für den 1. Oktober 1907, fest eingeplant. Aber ein zweiter Wiener neben Richard Luksch? Das musste besonders sorgfältig begründet werden.

Czeschkas Personalakte gibt Aufschluss über den Ablauf der Berufungsbemühungen:
► Direktor Meyer informiert durch ein ausführliches Schreiben vom 8. Mai 1907 den Schulrat über Czeschkas bisherige Tätigkeit in Wien und von der Absicht, bei ihm anzufragen, ob er nach Hamburg wechseln wolle.
► Die Kommission für die Kunstgewerbeschule tagt am 18. Mai 1907 und empfiehlt, mit Czeschka Kontakt aufzunehmen. Als Jahresgehalt wird 6.600 Mark vorgesehen.
► Die Verwaltung des Gewerbeschulwesens schließt sich am 25. Mai 1907 der Empfehlung an und informiert den Senator.
► Mit Schreiben vom 3. Juni 1907 reicht Czeschka seinen Lebenslauf ein, so dass Direktor Meyer dies als positive Meldung für die Verwaltung des Gewerbeschulwesens versteht. Czeschka äußert einen besonderen Wunsch: Er möchte von seinen sechs Dienstjahren in Wien vier Jahre für seine Pensionszeit angerechnet bekommen.
► Inzwischen war Czeschka kurz nach Hamburg gefahren, um sich einen Eindruck über die Situation zu verschaffen.
► In seiner Sitzung am 14. Juni 1907 bittet der Senat, d.h. die Regierung der Stadt Hamburg, um nähere Mitteilungen über die Persönlichkeit, die Qualifikation und die sonstigen Umstände, die das erhöhte Anfangsgehalt rechtfertigen.
► Am 12. Juli 1907 gibt der Senat grünes Licht für Czeschkas Berufung zum 1. Oktober 1907. Senator Werner von Melle, der amtierende Präses für die Verwaltung des Gewerbeschulwesens, informiert Czeschka hierüber mit Schreiben vom 17. Juli 1907. Voraussetzung sei der baldige Erwerb der hamburgischen Staatsangehörigkeit. Er gab den Hinweis auf Gehaltssteigerungen nach jeweils drei Jahren. Jedoch „aus prinzipiellen Gründen“ könne der Anrechnung von vier Dienstjahren aus der Wiener Zeit nicht entsprochen werden.

Nachdem der Senatorenbrief in Wien eingegangen war, sprach Czeschka am 20. Juli 1907 sofort in der Direktionskanzlei der Wiener Kunstgewerbeschule vor. Direktor Oskar Beyer war nicht im Hause. Der Kanzleisekretär Adolf Ramsch nahm die Nachricht an und leitete sie weiter. Hier erfuhr Czeschka, dass ihm endlich der „definitive“ Arbeitsvertrag zugesagt werden solle, denn zum 1. Oktober 1907 werde die Stelle von Prof. Johann Hrdlička durch dessen Pensionierung frei. Doch diese Mitteilung kam zu spät.

Czeschka reiste zum Semmering, um bei seinem Freund Koloman Moser und dessen Schwiegermutter, der Baronin Editha Mautner-Markhof, in ihrem Haus am Wolfsbergkogel Abstand von Wien zu gewinnen. Dort erhielt er den offiziellen Brief von Direktor Beyer vom 29. Juli mit dem Hinweis auf die vorgesehene Definitivstellung und die Erhöhung des Gehalts auf 5.380 Kronen. Die Antwort nach Hamburg an Senator Werner von Melle war jedoch schon am 22. Juli 1907 abgesandt. Darin teilte Czeschka mit, dass er alles versuche, um die vorzeitige Lösung seines Arbeitsvertrages zu erwirken. Er konnte nun zusätzlich ins Feld führen, dass das Ministerium in Wien ihm ebenfalls eine Stelle angeboten habe und dabei die Pensionsberechtigung voll berücksichtigt würde. Die Frage der Altersversorgung sei ihm besonders wichtig, weshalb er darüber gern vor Lehramtsantritt Klarheit haben möchte. Czeschka machte damit deutlich, dass er bereit war, sich langfristig an Hamburg zu binden.

Die Berufung pressierte. Daher wurde dieses Gesuch nun doch erfüllt: Das Schreiben aus Hamburg vom 29. Juli 1907 (zeitgleich datiert wie das Schreiben von Direktor Beyer aus Wien) enthielt nur noch den formalen Vorbehalt einer Bestätigung von Senat und Bürgerausschuss.

Gemeinsam fuhren Czeschka und Kolo Moser vom Semmering nach Venedig, wo sie Hermann Bahr trafen. Czeschka schrieb aus Venedig nach Hamburg am 3. August 1907: „Ich erlaube mir, Ihnen mitzuteilen, dass ich die Wahl als Oberlehrer an der Kunstgewerbeschule Hamburg mit dem Dienstantritt vom 1. Oktober annehme.“

Auch die Lösung des Wiener Vertrags verlief wunschgemäß: Der Sektionschef des Ministeriums Graf Max von Wickenburg erteilte am 15. August 1907 die Ausnahmegenehmigung zur vorzeitigen Auflösung des Arbeitsvertrags und dementsprechend konnte Direktor Beyer am 28. August der Kündigung zustimmen.

Den formalen Voraussetzungen folgte der Ortswechsel: Der Auszug aus der Kunstgewerbeschule am Stubenring, die Auflösung seines Ateliers in der Hütteldorfer Straße 47, der Abschied vom Vater und der Auszug aus der gemeinsamen Wohnung. Allerdings sich von seinen Freunden in der Wiener Werkstätte zu verabschieden, ging fast unter in der Aufregung über das neue Projekt der WW, dem „Kabarett Fledermaus“. Das erste Programmheft hatte Czeschka gestaltet. Peter Altenbergs Stück „Masken“ war von ihm ausgestattet worden. Zum Zeitpunkt der Eröffnung des Kabaretts als „Gesamtkunstwerk“ am 19. Oktober 1907 in der Johannesgasse/Ecke Kärntnerstraße war er bereits an der Elbe. Für wenige Wochen hatte er sich vorerst eingemietet in „Wietzels Hotel“ oberhalb der Baustelle für den Elbtunnel.

Wie vereinbart begann Czeschka mit seinem Unterricht in Hamburg pünktlich am 1. Oktober 1907, kurz vor seinem 29. Geburtstag. Im selben Gebäude am Steintorplatz waren zusätzlich eine allgemeine Gewerbeschule und eine Realschule untergebracht. Das damals noch kleine Museum für Kunst und Gewerbe nutzte die Räume im Erdgeschoss. Dort befand sich auch das Büro des Museumsdirektors Justus Brinckmann, der als Vorsitzender der „Kommission für die Kunstgewerbeschule“ eine zusätzliche wichtige Funktion innehatte.

Der Gegenkandidat Friedrich Wilhelm Kleukens blieb in Darmstadt von 1906 bis 1930. Einige Jahre hatte er Flächenkunst an den „Großherzoglichen Lehrateliers für angewandte Kunst“ unterrichtet. Als Buch- und Schriftgestalter wurde er künstlerischer Leiter der Ernst-Ludwig-Presse, die er zunächst gemeinsam mit seinem Bruder Christian Heinrich Kleukens betrieb. Sein Nachfolger in Leipzig war Georg Belwe geworden.

Links: C. O. Czeschka, Titelblatt für den Katalog zur Osterausstellung 1908 der Kunstgewerbeschule Hamburg, Czeschka-Nachlass, Hamburg / Rechts: Drei Plakate von Schülern der Czeschka-Klasse auf der Osterausstellung 1908. Die Namen sind nur in einem Fall bekannt: Das dreifarbige Feuerwerk-Plakat gestaltete Oskar Meding (Aus: Dr. Theodor Raspe: „Die Ausstellung der Hamburger Kunstgewerbeschule Ostern 1908“, S. 168, Universitätsbibliothek Heidelberg – Digitalisat)

1908, das erste Jahr in Hamburg, brachte Czeschka gleich mehrere besondere Ereignisse:
► Die Osterausstellung 1908 der Hamburger Kunstgewerbeschule war ein voller Erfolg. Ein großer Teil der Schülerarbeiten wurde vom Museum für Kunst und Gewerbe angekauft.  
► Er beteiligte sich an einer Ausstellung in Prag.
► Im Verlag Gerlach & Wiedling Wien erschien in Gerlachs Jugendbücherei das Büchlein „Die Nibelungen. Dem deutschen Volke wiedererzählt von Franz Keim“ mit Czeschkas Illustrationen, die weltberühmt wurden. (Ein Sammler aus Chicago besitzt die Originale seit 2017.)
► In Wien fand von 1. Juni bis 16. November 1908 die „Kunstschau Wien 1908“ statt mit zahlreichen Exponaten von Czeschka, u.a. mit der sog. Kaiser-Kassette und der silbernen „Wittgenstein-Vitrine“. (Sie ist seit 2013 in der Sammlung des Dallas Museum of Art.)
► Am 22. Juli 1908 wurde Czeschka die Urkunde überreicht, die ihn zum „Hamburgischen Staatsbürger“ machte, um einen Monat später (am 29. August 1908) vereidigt zu werden und die Anstellungsurkunde als Beamter des Hamburgischen Staates zu erhalten.
► Am 16. September 1908 war im Deutschen Theater in Berlin die Premiere von Shakespeares „König Lear“ mit Czeschkas Bühnenbildern und Kostümen. Die Regie hatte Max Reinhardt geführt.

Die Art seines Unterrichts motivierte die Schüler auf besondere Art. Daneben konnte er weiterhin zahlreiche Entwürfe für die Wiener Werkstätte fertigstellen, denn der Kontakt mit der Wiener Werkstätte wurde bis ins Jahr 1912 aufrechterhalten. Hierüber entstand ein reger Briefwechsel insbesondere mit Fritz Waerndorfer, dem Geschäftsführer der WW. Diese sorgfältig aufbewahrten Briefe aus Czeschkas Nachlass sind in dem 2019 erschienenen Buch Carl Otto Czeschka. Eine Wiener Künstler in Hamburg nachzulesen.

Allerdings, in dem Buch fehlt ein Schreiben: Der Brief aus Wien vom 5. Oktober 1908 war so brisant, dass er Teil der Personalakte wurde. Während man in Wien frohlockte, löste er in Hamburg eine Alarmstimmung aus. Offenbar war in Wien der neue Sektionschef des Ministeriums, Dr. Adolf Müller, immer wieder wegen des durch die Ministerialbürokratie verursachten Weggangs Czeschkas angeprangert worden. Sektionschef Müller beauftragte schließlich Josef Hoffmann zu versuchen, Czeschka mit einem attraktiven Angebot nach Wien zurückzuholen. In großer Eile und Aufregung verfasste Fritz Waerndorfer am 5. Oktober 1908 den erbetenen Brief. Eine kurzfristige Entscheidung von Czeschka wurde gefordert.

Schreiben von Fritz Waerndorfer an C. O. Czeschka vom 5. Oktober 1908, aus der Personalakte von C. O. Czeschka in der Hochschule für Bildende Künste Hamburg

Lieber Freund, in rasendster Eile und woertlich wie inhaltlich praegnantester Form theile ich Dir mit, dass Sectionschef Mueller den Hoffmann beauftragt hat Dir mitzutheilen, dass wenn Du ja sagst, Du sofort unter den gleichen Bedingungen wie Hoffmann (also mit der gleichen Zulage, dann Erhoehung von K. 600.) und in der gleichen Rangklasse wie Hoff in der Kunstgewerbeschule Professor werden kannst. Mueller braucht nur Deine Zusage dass Du kommen willst und wirst, und Du bist hier Professor.
[…]
Die Entscheidung muss aber eine rasche sein, telegrafiere dass Du bereit bist, nach Wien zu kommen, und Du bist endlich uns fuer immer gesichert.
Servus Dein Fritz.

Nur drei Tage später hielt Czeschka diesen Brandbrief in seinen Händen. Statt zu antworten, eilte er zu Justus Brinckmann. Als dem Vorsitzenden der Kommission war es Brinckmann sofort klar, dass der Verlust von Czeschka für die Kunstgewerbeschule dringendst verhindert werden muss. Ohne zu zögern, informierte er Direktor Meyer und den inzwischen zuständigen Senator Johann Refardt.

Aus der Personalakte von C.O. Czeschka, HFBK Hamburg

 […] Angesichts der großen Dringlichkeit, den Verlust der ausgezeichneten Kraft des Herrn Czeschka abzuwenden, habe ich heute sofort mit Herrn Prof. Meyer und Herrn Schulrat Thomae gemeinsam die Angelegenheit besprochen, sodann mit diesen Herrn Senator Refardt besucht. Dieser nahm unseren in der Anlage weiter begründeten Antrag wohlwollend auf und will ihn, wenn er von der Kommission gestellt wird, unverzüglich an die entsprechende Stelle weiter geben. Bei dieser Sachlage ersuche ich um schriftliche Abstimmung über den Antrag, der dahin geht Herrn Czeschka unter Ernennung zum Professor sein Dienstalter so zu bemessen, dass ihm vom 1. Januar 1909 ein Gehalt von 8000 Mark gewährt wird.
8.
Okt. 1908 Justus Brinckmann

So konnten im schriftlichen Abstimmungsverfahren, d.h. mit dem Votum der anderen fünf Kommissionsmitglieder, bereits noch am selben Tag die Bleibeverhandlungen eingeleitet werden. Das Ziel: Zum 1. Januar 1909 erhält Czeschka eine Höherstufung seines Jahresgehalts von 6.400 Mark auf 8.000 Mark und damit verbunden die vorzeitige Verleihung der Professur. Unter diesen Umständen erklärte Czeschka, dem Ruf nach Wien keine Folge zu leisten. Diese Mitteilung konnte der Schulrat erleichtert am 16. Oktober weiterleiten. Schließlich informierte der Senator am 31. Oktober 1908 die Schulleitung vom Senatsbeschluss, das erhöhte Gehalt für Czeschka nachträglich in das Budget der Stadt für 1909 einzustellen. Das Verfahren, „um den ausgezeichneten Lehrer und Künstler der Anstalt zu erhalten“ wurde abgesichert durch eine ausführliche Begründung über Czeschkas Einfluss bereits in seinem ersten Jahr in Hamburg. Er wurde am 5. Mai 1909 zum Professor ernannt.

Unterdessen lauerte Fritz Waerndorfer in Wien ungeduldig auf die Antwort auf seinen Lockbrief vom 5. Oktober. Doch Czeschka antwortete nicht. Am 13. Oktober 1908 fragte Waerndorfer erregt nach:                                                                                                              

Wien, 13.10.08.
Fass ich, was Du verschweigst, verschweig ich nicht, was Du nicht fasst […], dass Du nämlich ein Tepp bist. Warum antwortest Du denn eigentlich nicht? Zu dumm! Wenn Du nicht weißt, was Du tun sollst, so schreib wenigstens, dass Du nicht weißt, was Du tun sollst. Aber wir müssen doch irgendetwas wissen.
[…]
Polgar war in Berlin, ist begeistert von dem Lear, der glänzend geht. Gratuliere.
Auf einmal gehtʼs und wird alles gehen, und Du wirst in Hamburg ganz verteppen.
Servus   FZ
S C H R E I B[5]

Czeschka blieb ruhig und informierte nicht darüber, was der Brief aus Wien ausgelöst hatte. Vermutlich hat er erst im November wieder nach Wien geschrieben, nachdem alle Entscheidungen über seinen Verbleib in Hamburg gefallen waren. Seine Briefe sind leider nicht erhalten. Daher können hier nur die Reaktionen von Josef Hoffmann und Koloman Moser, den beiden Kollegen aus der Wiener Werkstätte, wiedergegeben werden: Josef Hoffmann war gekränkt. Er schrieb am 23. November 1908, dass er sich „höchlich wundere“:

Wien (Poststempel 23. 11.1908)
Lieber COC!
Besten Dank für Deinen lieben Brief, über den ich mich aufrichtig gesagt, höchlich wundere.
Du wirst doch nicht wirklich glauben, dass wir von Dir verlangen, dass Du unseretwegen zurückkommst. Ich habe Dir nur sagen lassen, dass mich Sektionsrat Müller beauftragt hat, Dir zu schreiben, dass er Dich wieder anstellen möchte, und zwar mit den bei uns denkbar günstigsten Bedingungen. Ich habe Dir deshalb sagen lassen, dass es für Dich, sofern Du überhaupt daran denkst, momentan die beste und letzte Gelegenheit gibt, nach Wien zu kommen.
Wenn Du aber glaubst, in Hamburg für Dich den richtigen Platz gefunden zu haben, so ist es für uns alle selbstverständlich, dass Du dort bleiben musst. Ich wünsche natürlich nichts mehr, als Deine ungehinderte Entwicklung, das ist doch klar. Auf die [Wiener] Werkstätte brauchst Du selbstverständlich keine Rücksicht zu nehmen, um noch mehr, als Du anzunehmen scheinst, dass sie Dir eher hinderlich war. Wir werden uns schon zu behelfen wissen. Die Hauptsache ist, dass Du Dich in jeder Beziehung wohl fühlst und uns mit unerhört schönen Sachen überraschst.
Herzlichst Dein Jos. Hoffmann[6]

Kolo Moser dagegen, der sich schon 1907 von der Wiener Werkstätte getrennt hatte, begrüßte die Entscheidung seines Freundes Czeschka, in Hamburg zu bleiben: 

Wien, undatiert (wohl November 1908)
Lieber Cheks!
[…] Müller hat auch [Franz] Čižek ersucht, zu Dir zu fahren, der aber ersuchte Larisch, der jedoch sagte: „Lasst mich mit dem Gʼlumpert in Ruhe“; das weiß Hoffmann. Er sagte mir nur, dass Du bestimmt nach Wien kommst, wenn ich Dich nicht davon abbringe.
Hoffmann sollte nach Darmstadt an Stelle Olbrichts! [!] – Großherzog hat an Klimt schreiben lassen, und wir sind nicht obiger Meinung. […]
Ich bin sehr froh, dass Du so vernünftig bist und in Hamburg bleibst.
Ich wäre der erste, der sich nicht nach Dir sehnt, aus rein persönlichen Gründen, denn ich habe Dich, als ich Deine ersten Zeichnungen im „Scherer“[7]  sah, schon liebgewonnen. Und seit der Zeit kann ich nicht sagen, dass ich weniger für Dich empfinde. Ja, ich habe oft eine solche Sehnsucht nach Dir, die beinahe komisch ist; doch ich verkehre eigentlich mit Niemandem mehr. […] Für Deine Zusage, mir Deine Lear-Skizzen zu überlassen, vielen herzlichen Dank […]
Und sei versichert, dass ich Dich begreife. Man hat nur wenige Momente im Leben, die wichtig sind. Du scheinst das Richtige gewählt zu haben – Du lebst Deinem Ich!! Das, nur das rein Menschliche, hat dauernden Wert. Bleib Dir treu, dann bist Du ein Echter.
Herzlichst Kolo[8]                                                                                                  

Czeschka war seinem inneren Kompass gefolgt. Er hatte sich mit großem Engagement schon in kurzer Zeit in Hamburg ein neues Leben aufgebaut und er wollte dies nicht wieder aufgeben. Die so positive Reaktion der Senatsverwaltung auf den Abwerbeversuch aus Wien war für sein Bleiben vermutlich nicht ausschlaggebend. Aber die durch den Brief aus Wien sichtbar gewordene hohe Wertschätzung insbesondere durch Justus Brinckmann muss ihm gutgetan haben.

Was für Ludwig Hevesi das „Unglück“ gewesen war, wurde für die Hamburger Kunstgewerbeschule und zahlreiche Schüler ein besonderes Glück. Czeschka blieb. Nach 36 Jahren wurde er zum Jahresende 1943 pensioniert.

Die Hamburger Kunstgewerbeschule, die heutige „Hochschule für Bildende Künste“, erhielt 1913 einen großen Neubau am Lerchenfeld. Fritz Schumacher, Hamburgs Baudirektor, vergab die Aufträge für den Bauschmuck an die Lehrer der Schule. Das große, bezaubernde Hellglasfenster „Die Schönheit als Botschaft“ in der Eingangshalle entwarf Czeschka. Es wurde eines seiner Hauptwerke und gleichzeitig ein Dokument der Wiener Secession in Hamburg.

Eingangshalle der heutigen „Hochschule für Bildende Künste“ in Hamburg, Foto: Hella Häussler

Hella Häussler: Geboren 1947 in Hamburg. Studium der Stadt- und Regionalplanung an der TU Berlin. Diplom-Ingenieur. Von 1980 bis 2010 Standortberaterin in der Handwerkskammer Hamburg. Für das Kammergebäude hatte Carl Otto Czeschka (1878-1960) in den Jahren 1914/1915 die Bleiglasfenster „Die Handwerke“ des großen Festsaales entworfen. Sie waren 1943 zu Bruch gegangen und wurden anschließend (fast) vergessen. Czeschkas Nachlass befindet sich im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg. Dort werden auch die Originalkartons für die 15 dreiteiligen Fenster verwahrt, so dass nach fast 70 Jahren eine Rekonstruktion der Czeschka-Fenster möglich wurde. Die Initiative hierzu und die Betreuung des Projektes wurde seit 2010 verbunden mit Recherchen über das Leben und das Werk von Carl Otto Czeschka. Mitarbeit an der Ausstellung von Heinz Spielmann „Carl Otto Czeschka – ein Wiener Künstler in Hamburg“ in der Handelskammer Hamburg (IHK) (2011) und Mitarbeit an dem Buch von Heinz Spielmann „Carl Otto Czeschka. Ein Wiener Künstler in Hamburg“ mit unveröffentlichten Briefen insbesondere zu Czeschkas Tätigkeit für die Wiener Werkstätte und Beitrag „Die Fenstersuite des Hamburger Gewerbehauses“ (2019).

[1] Hevesi, Ludwig: Altkunst – Neukunst, Wien 1909, Reprint: Klagenfurt 1996 – Artikel am 9. August 1907, S. 237 (im Kapitel „C.O. Czeschka“ S. 236–240).
[2] Zuckerkandl, Berta: Kunst und Kultur. Die Nibelungen. In: Wiener Allgemeine Zeitung, Nr. 9258, 6.2.1909.
[3] Zuckerkandl, Berta: Von den definitiven Provisorien. In: Zeitkunst. Wien 1901–1907, Wien – Leipzig 1908, S. 178.
[4] Zuckerkandl, „Zeitkunst“, S. 180.
[5] Spielmann, Heinz: Carl Otto Czeschka. Ein Wiener Künstler in Hamburg. Mit unveröffentlichten Briefen sowie Beiträgen von Hella Häussler und Rüdiger Joppien. Göttingen 2019, aus dem Brief von Fritz Waerndorfer vom 13. Oktober 1908, S. 110.
[6] Ebenda, aus dem Brief von Josef Hoffmann vom 23. November 1908, S. 227.
[7] So wie sich Koloman Moser in der Zeit von 1895 bis 1897 als Grafiker bei den „Meggendorfer Humoristischen Blättern“ Geld verdient hatte, fertigte Czeschka 1899 einige Zeichnungen an für das Tiroler Witzblatt „Der Scherer“.
[8] Spielmann, a.a.O., aus dem undatierten Brief von Kolo Moser, wohl vom November 1908, S. 274f.